Polnische Migranten: Die Unauffälligen

Polnische Migranten Unauffaelligen
Polnische Migranten Unauffaelligen(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Österreichische Integrationsfonds hat eine Studie zu den in Österreich lebenden Polen erstellt. Das Fazit lautet: Polnische Migranten sind hierzulande besonders gut eingebettet.

Sylwia Bukowska ist das Paradebeispiel dafür, dass man als Migrant in Österreich einerseits das krasse Gegenteil aller gängigen Klischees sein kann und damit auf der anderen Seite keine Minderheit ist, sondern zum Mainstream zählt. Die Frau, die im Dezember 1985 im Alter von zwölf Jahren mit ihrer Familie aus der polnischen Hauptstadt Warschau nach Wien kam, entspricht ganz und gar nicht jenen Stereotypen, die dem Durchschnittsösterreicher im Zusammenhang mit Polen in den Sinn kommen mögen: geschickte Handwerker, schnauzbärtige Spargelstecher und pausbäckige Frauen, die in den gutbürgerlichen Haushalten im Osten Österreichs putzen und bügeln, nach Dienstschluss zur Abendmesse eilen und jedes freie Wochenende in der Heimat verbringen. Bukowska ist nicht gläubig, die Verwandtschaft in Polen besucht sie höchstens einmal im Jahr und ihren Lebensunterhalt verdient sie nicht als Haushaltshilfe, sondern als Leiterin der Abteilung Frauenförderung und Gleichstellung an der Universität Wien.

Man könnte Sylwia Bukowska an dieser Stelle als statistischen Ausreißer abtun, als eine talentierte Ausnahmeerscheinung, die sich brav an alle Spielregeln gehalten und es auf diese Weise zu etwas gebracht hat – wäre da nicht eine aktuelle Studie des Österreichischen Integrationsfonds über polnische Migranten in Österreich, die dieser Tage veröffentlicht wird und der „Presse“ bereits vorliegt. Und die Quintessenz dieser Studie lautet: Die Austropolen sind in Österreich so gut integriert wie kaum eine andere Zuwanderergruppe.

Siebter Platz im Migrationsranking.
Doch zunächst einmal einige Eckdaten zu dem Thema: Mit Stichtag 1. Jänner 2011 lebten hierzulande exakt 57.587 Polen bzw. Österreicher polnischer Herkunft, davon die meisten in Wien (37.470 Personen), gefolgt von Niederösterreich (8393) und Oberösterreich (4238). Nach Berechnungen der Statistik Austria rangieren Migranten aus Polen im österreichischen Einwanderungsranking auf Platz sieben – weit hinter Deutschen, Türken, Kroaten und Serben, aber deutlich vor Tschechen, Ungarn, Italienern und Slowaken. (An dieser Stelle ist eine Offenlegung fällig: Auch der Autor dieser Zeilen hat polnische Wurzeln.)

Was das berufliche Engagement anbelangt, unterscheiden sich die in Österreich lebenden Polen kaum von den „echten“ Österreichern. Die Differenz in der Beschäftigungsquote ist marginal – 73 Prozent der Österreicher und 70 Prozent der Polen (bzw. der Migranten aus den Ländern der Europäischen Union, denn das Statistikamt weist die Nationalitäten nicht einzeln aus) gingen im Jahr 2010 einer Beschäftigung nach. Der Durchschnittswert für alle Personen mit Migrationshintergrund lag in diesem Zeitraum bei lediglich 65 Prozent.

Viele österreichische Freunde. Monika Potkanski, die Autorin der Studie, hat ermittelt, dass sich die in Österreich lebenden Polen überdurchschnittlich stark mit ihrer neuen Heimat identifizieren. 91,6 Prozent der Befragten fühlen sich in Österreich völlig bzw. eher heimisch; 71,6 Prozent beantworten die Frage, welchem Staat sie sich eher zugehörig fühlen, mit Österreich. Dieses Zugehörigkeitsgefühl manifestiert sich auch darin, dass die polnischen Migranten in ihrem Privatleben über die meisten Kontakte zu Österreichern verfügen (auf den Rängen zwei und drei folgen Personen aus Kroatien und Rumänien). Auch die Deutschkenntnisse der Austropolen sind gemäß der Studie des Integrationsfonds überdurchschnittlich gut.

Die Frage nach den Ursachen für dieses gute Abschneiden kann die Studienverfasserin nicht eindeutig beantworten – am ehesten gehe es den Polen wohl darum, sich möglichst gut an das Leben in Österreich anzupassen, mutmaßt Potkanski.

Sylwia statt Silvia. Bei Bukowska hat die Anpassung die wohl höchstmögliche Stufe erreicht. Die Juristin spricht akzentfreies Deutsch, auf ihrer Visitenkarte sind die akademischen Grade (Mag. iur. und Bakk. phil.) akkurat angeführt, so wie es in Österreich gang und gäbe ist. Sie fühlt sich (wie die Mehrheit der für die Studie befragten Polen) mehr in Österreich als in Polen daheim und wird so gut wie nie als Migrantin wahrgenommen – „und wenn, dann am ehesten aufgrund der Schreibweise meines Vornamens“. Also Sylwia statt Silvia.

Diese Fähigkeit zur Anpassung an die Sitten und Gebräuche des Gastlandes ist wohl eine der markantesten Eigenschaften der polnischen Zuwanderer. „Polen sind unauffällige Migranten“, stellt Ursula Struppe fest, die als Leiterin der Wiener Magistratsabteilung 17 für Integration und Diversität in der Bundeshauptstadt zuständig ist. Aus dem Staatssekretariat für Integration wiederum wird die Anekdote übermittelt, der zufolge Ressortchef Sebastian Kurz erst nach Monaten erfuhr, dass sein enger Mitarbeiter, der die Veranstaltungsreihe „Zusammen: Österreich“ organisiert hat, in deren Rahmen prominente Migranten als „Integrationsbotschafter“ in Schulen geschickt werden, einen familiären Bezug zu Polen hat. „Polnische Zuwanderer gehören nicht zu den Problemgruppen, sondern sind im Gegenteil gut integriert“, heißt es folglich aus dem Kabinett von Kurz. Die Problemfälle kämen aus der Türkei, den arabischen Ländern und teilweise vom Balkan.

Doch hat die Kategorisierung in Musterschüler der Migration und renitente Problemfälle überhaupt Sinn? Magistratsbeamtin Struppe erinnert daran, dass die Polen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 in Österreich „nicht grade wohlgelitten“ waren. „Außerdem ist die Community in Wien durchaus sichtbar, man nehme etwa die polnische Kirche am Rennweg“. Auch das immer wieder in Stellung gebrachte Argument, der Islam sei der Integration nicht zuträglich, will Struppe nicht gelten lassen und verweist auf die bestens angepassten Zuwanderer aus dem Iran. Der Integrationsfonds wiederum betont, dass seine Studien auf objektiven Daten basieren und keine ideologischen Schlussfolgerungen enthalten – obwohl laut Potkanski durchaus die Gefahr bestehe, dass ihre Arbeit jenen Politikern Munition bieten könnte, die Migranten in gute und böse einteilen wollten.


Start ohne Deutschkenntnisse. Das Beispiel von Sylwia Bukowska verdeutlicht hingegen ein anderes Problem: Nicht alles, was momentan als schlecht für die Integration gilt, ist es auch tatsächlich. Bukowska wurde nach ihrer Ankunft in Wien an einer AHS aufgenommen, und zwar mitten im Schuljahr und gänzlich ohne Deutschkenntnisse – was heutzutage völlig undenkbar erscheint, denn eine rudimentäre Kenntnis der Sprache vor der Ankunft in Österreich gilt mittlerweile als Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Adaptation. Und sie hat sich auch nie zwischen ihrer Muttersprache und der Sprache ihrer neuen Heimat entscheiden müssen, sondern durfte ihr Polnisch im Ergänzungsunterricht perfektionieren. Auf eine Identität festnageln lassen will sich Bukowska jedenfalls nicht: „Es ist kein Widerspruch, sich gleichzeitig als Österreicherin und Polin zu fühlen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2011)

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