Brennertunnel: Mehr Rechte für Bürger

(c) EPA (Martin Schutt)
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Die Gegner des Tunnelbaus werden gestärkt: Sie können nun beim Verwaltungsgerichtshof berufen. Dies könnte Großprojekte wie den Brennerbasistunnel um Jahre verzögern.

Wien. Für die Gegner großer Infrastrukturprojekte in Deutschland ist es kein guter Tag: Nach einem Volksentscheid ist das Milliardenprojekt Stuttgart21 nun trotz allen Widerstands endgültig auf Schiene. In Österreich können die zahlreichen Bürgerinitiativen gegen Großprojekte unterdessen einen wichtigen juristischen Sieg für sich verbuchen, der Projekte wie den Brennerbasistunnel (BBT), die Fertigstellung der Nordautobahn A5 oder den Lobautunnel noch einmal um Jahre verzögern könnte.

Konkret geht es um eine rechtliche Odyssee des Transitforums Tirol, einer Bürgerinitiative gegen den BBT, die vor mehr als zweieinhalb Jahren begann. Im April 2009 hat das Infrastrukturministerium den mit zwischen Österreich, Italien und der EU aufgeteilten Kosten von 8,1 Milliarden Euro veranschlagten Tunnelbau genehmigt. Das Transitforum ging dagegen beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH) in Berufung.

Der erklärte sich in einem folgenreichen Beschluss im September 2010 aber für unzuständig: seiner Meinung nach sei – in direkter Anwendung einer EU-Richtlinie – für die inhaltliche Prüfung von Umweltverträglichkeitsverfahren (UVP) für Autobahnen und Hochleistungseisenbahnstrecken der beim Umweltministerium angesiedelte Unabhängige Umweltsenat zuständig.

Kopfwäsche für Verwaltungsrichter

Eine Entscheidung, die viele Fachleute verwunderte – der Umweltsenat war vom Gesetzgeber nicht für die Prüfung derartiger Verfahren vorgesehen worden. Das sah der Senat in weiterer Folge auch selbst so: Eine neuerliche Beschwerde des Transitforums gegen den BBT wies er im Juni dieses Jahres zurück. Das Transitforum ließ wiederum nicht locker und zog zum Verfassungsgerichtshof – und fand dort schließlich Gehör.

Grafik: Die Presse

Mit einem Erkenntnis vom 26. September (K I-1/11-11) verpassten die Verfassungsrichter dem VwGH eine juristische Kopfwäsche: Nicht nur sei er mit seiner Entscheidung, sich für unzuständig zu erklären, rechtlich völlig falsch gelegen – auch den Umweltsenat mittels EU-Recht zur Prüfung zu berufen, sei unzulässig gewesen. Schlussfolgerung: Der VwGH muss die Berufung des Transitforums gegen den BBT-Bau neu prüfen – und das nicht nur formell, sondern auch inhaltlich.

Eine Entscheidung, mit der sich nicht nur die Bürgerinitiative glücklich zeigt („Ein jahrelanges grobes Unrecht wird beseitigt“, so Transitforum-Obmann Fritz Gurgiser), auch im Infrastruktur- und Umweltministerium begrüßt man die Klärung der Rechtslage: Die Regierung hatte ja nach der ersten VwGH-Entscheidung im vergangenen Jahr geplant, einen „Infrastruktursenat“, eine neue Behörde als Berufungsinstanz für die betroffenen Verfahren, zu schaffen.

Der VwGH hat bereits mit der neuerlichen Prüfung des BBT begonnen – während sie sich noch über Monate hinziehen wird, könnte schon in den nächsten Tagen eine erste Entscheidung fallen: Das Transitforum hat für das Verfahren vergangene Woche einen Antrag auf aufschiebende Wirkung eingebracht – geben die Richter dem statt, bedeutete das für das weltgrößte Bahntunnelprojekt – die Vorarbeiten laufen schon – monatelangen Stillstand.

Wien: Rot-grüner Zwist um Lobautunnel

Um ein anderes Projekt, das künftig von der neuen Rechtslage erfasst wird, die Lobauautobahn, gab es am Montag in Wien einen Koalitionsstreit. Das umstrittene Projekt liegt bis Donnerstag im Rahmen der UVP zur öffentlichen Auflage auf. Die Grünen fordern aber jetzt einen Stopp aller Planungen und einen „Neustart“ der UVP. Grund sind laut Verkehrssprecher Rüdiger Maresch falsche Verkehrsprognosen der Asfinag. Vom Koalitionspartner SPÖ, der die Lobau-Autobahn befürwortet, kam postwendend ein Nein zu den grünen Wünschen. Man werde sicher keinen Planungsstopp befürworten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2011)

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