Brisanter Bericht der Staatsanwaltschaft: Weltweit wurde wegen rätselhaften Codes „Be kind slow“ in Sado-Maso-Szene ermittelt. Heeresabwehramt-Sonderoperation „Dürer“ gegen weiteren Offizier.
Wien. Haben fünf Staatsanwälte bei der Aufklärung der Entführung von Natascha Kampusch Ermittlungsansätze unter den Teppich gekehrt? Dies wurde von der Staatsanwaltschaft Innsbruck eingehend untersucht; am Ende stand die Einstellung des gegen die fünf Verdächtigen laufenden Amtsmissbrauchsverfahrens. In diesem Verfahren wurden nun auch die 2009 gelaufenen Ermittlungen rund um einen Milizoffizier durchleuchtet. Ein geheimer Bericht der Staatsanwaltschaft Innsbruck enthüllt, dass die Rolle des Offiziers B. Anlass zu „umfangreichen“ Nachforschungen – auch in der Sado-Maso-Szene – geboten hat.
Ex-OGH-Präsident Johann Rzeszut (er hat der Kampusch-Evaluierungskommission angehört) hat den im Entführungsfall zuständigen Anklagevertretern, darunter sind der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, Werner Pleischl, und der Chef der Staatsanwaltschaft Graz, Thomas Mühlbacher, gravierende Versäumnisse vorgeworfen. Gestern, Donnerstag, begann ein geheimer Unterausschuss des Parlaments, ebendiese Vorwürfe erneut zu untersuchen.
Ein Entführungsfall, der nicht zur Ruhe kommt
Im Telefonspeicher des Priklopil-Freundes
Zentrale Fragen: Wurden die Aktivitäten des Milizoffiziers B. ausreichend geprüft? Wurde erhoben, ob B. Kontakte in die Pornoszene hat? Wurde in Richtung eines eventuellen Kinderpornorings ermittelt? Oder hält jemand seine schützende Hand über B.? Laut dem Innsbrucker Bericht – „Die Presse“ verfügt über die entscheidenden Passagen – hat die polizeiliche Kampusch-Sonderkommission „über Auftrag der Staatsanwaltschaft Wien“ sehr wohl genauer hingesehen. Die Fakten: Die Mobiltelefonnummer von Milizoffizier B. war im Handy eines gewissen Ernst H. gespeichert. H. ist kein anderer als der frühere langjährige Freund und Geschäftspartner des Kampusch-Entführers Wolfgang Priklopil. Letzterer nahm sich am 23.August2006 unmittelbar nach Kampuschs Flucht das Leben.
In Verbindung mit der Nummer des Milizoffiziers war nicht dessen Name im Telefonspeicher des H. eingegeben, sondern der bis heute rätselhafte Code „Be kind slow“. Und: Es gab auffällige zeitliche Parallelen zwischen Telefonaten, die H. und Offizier B. führten, und solchen, die H. mit der Geschäftsführerin eines Sexshops führte. Zunächst zu „Be kind slow“: Die „Bedeutung“ dieser Formel müsse „offen bleiben“, heißt es in dem geheimen Bericht. Aber: „Aufgrund umfangreicher Abklärungen kann ausgeschlossen werden, dass es sich bei der Wortfolge um eine Bezeichnung aus der Pädophilen-/Porno-/Sado-Maso-Szene handelt.“ Laut einem Soko-Mitglied sei diese Bezeichnung sogar „weltweit abgeklärt“ worden. Eine mögliche, aber nicht überzeugende Erklärung: Die Frau des Offiziers gab an, sie habe zur Zeit der Telefonate (April, Mai 2006) eine von H. inserierte Wohnung in der BErgsteiggasse für ein KINDermädchen aus der SLOWakei gesucht.
Deshalb habe H. vielleicht die Nummer des Milizoffiziers B. in seinem Handy gespeichert. Folgt man dem, dürfte H. nur mit der Frau telefoniert haben. Diese wiederum müsste die Anrufe mittels Mobiltelefons ihres Mannes aktiv getätigt und entgegengenommen haben. Jedenfalls wollen Offizier B. und Ernst H. einander nicht kennen.
Geldeintreiben statt Sexshopkontakt
Bleiben noch die zeitnahen Anrufe von H. bei Pornohändlerin G. Bei diesen Gesprächen soll laut dem Bericht aus Innsbruck auch nicht die Pornohändlerin selbst, sondern deren Mann abgehoben haben: „Es stellte sich hinsichtlich G. ganz klar heraus, dass die Telefonkontakte in Wahrheit zwischen dem Ehemann der Genannten und H. erfolgten, weil Letzterer offene Betriebskosten eintreiben wollte, wobei H. letztlich sein nicht so häufig verwendetes Handy benützt hatte, weil A. G. (der Mann der Pornohändlerin, Anm.) bei Erkennen der anderen Rufnummer des H. den Anruf nicht mehr entgegennahm.“ Zur Erklärung: Der Sexshop befand sich in einer von H.s Immobilien.
Hatte der Offizier (Ermittlungen gegen ihn wurden im September 2009 eingestellt) wirklich Verbindungen nach „ganz oben“? Jedenfalls hat er einst gemeinsam mit der früheren Justizministerin Claudia Bandion-Ortner für einen karitativen Zweck Punsch ausgeschenkt. Laut Rzeszut war er auch Beisitzer in einem Verwaltungssenat, der von Bandion-Ortner geführt wurde. Innsbruck schreibt dazu: „Die Erwähnung des beruflichen und karitativen Kontakts zwischen B. und Bandion-Ortner mag zwar den Boden für weitere Verschwörungstheorien bereiten“ – es könne aber „festgehalten werden, dass keinerlei Einflussnahme der damaligen Frau Bundesministerin“ auf die staatsanwaltliche Tätigkeit „aktenkundig“ sei.
Doch da ist noch etwas: Milizoffizier B. soll einst in einem Disziplinarverfahren ausgesagt haben, das gegen einen Kollegen, Offizier A., geführt wurde. A. habe sich, so erfuhr die Evaluierungskommission, rechtfertigen müssen, weil er ein Bild seiner Genitalien ins Internet gestellt habe. Die Fotoaffäre sei „nicht aktenkundig“, heißt es nun im Bericht. Aber: Laut „Presse“-Informationen lief im Heeresabwehramt die streng geheime „Sonderoperation Dürer“ (Aktenzahl GEH ABW/98). Dabei wurde die Affäre durchleuchtet. Der Akt ist verschwunden.
Auf einen Blick
Warum die Ermittlungen im Fall Kampusch ad acta gelegt worden sind, ergibt sich aus einem geheimen Bericht der Staatsanwaltschaft Innsbruck. Demnach geht der Vorwurf, die Wiener Anklagebehörde sei untätig gewesen, ins Leere. So ist von „mehrmonatigen umfangreichen Umfelderhebungen“ im Auftrag der Staatsanwaltschaft die Rede. Im Fokus: Die eigenartige Rolle des Milizoffiziers B. Seine Telefonnummer fand sich im Telefonspeicher des Priklopil-Freundes H. Es gab auch Anrufe, aber laut Anklagebehörde wurde das Handy des Offiziers von dessen Frau benutzt. Und diese sei nur auf Wohnungssuche gewesen.
Mehrere tausend Euro dürfte ein Polizist bekommen haben, der im Fall Kampusch auf eigene Faust ermittelt haben soll. Auftraggeber soll der Bruder eines verstorbenen Kampusch-Chefermittlers sein. Dieser dementiert jedoch.
Mit Hilfe des FBI soll die Entführung von Natascha Kampusch neu aufgerollt werden. Chefankläger Werner Pleischl sieht Österreichs Behörden in einer schweren Vertrauenskrise.
Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.