Es wird ernst: Polizei erhält (noch) mehr Rechte

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Symbolbild(c) Clemens Faby
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Bald darf der Staatsschutz Bürger überwachen, die zwar nicht straffällig wurden, die er allerdings für gefährlich hält. Das kann Grundrechte einschränken - und erhöht für die Behörde den Erfolgsdruck.

Wien. Wie tief darf die Exekutive zum Schutz von Freiheit und Bürgerrechten in ebendiese eingreifen? Bei der Beantwortung dieser Frage – und der bevorstehenden Reformierung des eben diese Kompetenzen regelnden Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) – gehen die Meinungen weit auseinander.

Fest steht: Morgen, Donnerstag, wird der Innenausschuss des Parlaments das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) mit neuen Befugnissen ausstatten. So darf der Inlandsnachrichtendienst ab voraussichtlich 1.April 2012 auch gegen Einzelpersonen ermitteln, die bisher noch keinerlei Straftat begangen haben, eine ebensolche aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen – Stichwort Terrorismus – jedoch theoretisch verüben könnten. Und das mit umfassenden Methoden. Zum Arsenal der sogenannten „erweiterten Gefahrenerforschung“ des Staatsschutzes gehören Datenermittlungen jedweder Art, Auskunftseinholung und Observation.

Künftig ebenfalls erlaubt ist der Einsatz von Peilsendern, die bisher schon mögliche Ortung von Mobiltelefonen wird ausgeweitet. So dürfen künftig auch Handys von Dritten angepeilt werden, die sich – auf Basis von Vermutungen – in der Nähe der Zielperson aufhalten könnten.

Pro: All dies ist – anders als bei der Aufklärung bereits begangener Verbrechen – ohne richterliche Genehmigung möglich. Ist deshalb – wie Kritiker meinen – die Freiheit jedes Einzelnen in Gefahr? Zumindest nicht zwangsläufig.

Jede Gefahrenerforschung ist vom (formal unabhängig gestellten) Rechtsschutzbeauftragten des Innenministeriums zu genehmigen. Verweigert er die Zustimmung, rückt kein Beamter aus.

Die Voraussetzungen für eine Genehmigung sind eng gefasst. Zwei Bedingungen sind zu erfüllen. Erstens: Die Person muss – beispielsweise einen Anschlag – gutheißen oder die dafür nötigen Mittel (etwa Sprengstoff) und Kenntnisse (Bombenpläne) besitzen. Zweitens: Die erwartbare Gefährdung für Menschen oder Sachen muss hoch sein.

Das klingt theoretisch. In der Praxis, glaubt sogar BVT-Direktor Peter Gridling, hätte aber wohl nicht einmal das berühmt gewordene „Manifest“ des norwegischen Attentäters Anders Breivik dazu gereicht, um mit der Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden Anschlags zu argumentieren. Wozu also das Ganze?

Die Polizeibefugnisse für die Aufklärung von Verbrechen in Planung sind aus gutem Grund beschränkt. Bei einem Bankräuber, der mit Maske und Waffe die Schalterhalle betritt, es sich im letzten Moment jedoch anders überlegt, gibt es für die Exekutive nichts zu tun. Und die Meinungsfreiheit garantiert (Ausnahme: NS-Verbotsgesetz), dass auch krude Weltanschauungen erlaubt sind.

Im Fall von Terrorismus sehen Staaten jedoch nun höhere Güter gefährdet – und gewähren den Behörden Sonderrechte zur Früherkennung. Das hat – wenn Ermittlungen und deren Kontrolle funktionieren – auch Vorteile. Bei aller Kritik von Grundrechts- und Datenschützern besteht nämlich die Chance, dass Terroranschläge verhindert werden. Unter anderem auch aus folgendem Grund: Mit dem Inkrafttreten der SPG-Novelle steht das BVT unter Beobachtung. Wo das Gesetz bisher Ermittlungen gar nicht zuließ – nämlich im weiteren Vorfeld theoretisch möglicher Terrorakte – steht der Inlandsnachrichtendienst künftig in der Pflicht zu handeln – und dem Parlament über ebendieses Handeln Rechenschaft abzulegen.

Kontra: Und dennoch sieht Transparenz anders aus. Welche Gefahren das BVT nämlich tatsächlich erforscht, bleibt geheim. Der zuständige Unterausschuss ist – genauso wie der Rechtsschutzbeauftragte – zu Verschwiegenheit verpflichtet. Missbräuchlicher Einsatz von Befugnissen käme kaum jemals an die Öffentlichkeit. Eine Regelung, die nicht gerade Vertrauen schafft. Die Skepsis gegenüber einer Gedankenpolizei, die im kleinen Kreis argumentiert, welche Weltanschauung nun gefährlich ist und welche nicht, ist groß.

Dabei scheint das Misstrauen zwischen Bürgern und Staat auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Das Innenministerium hat nicht vor, die vom BVT mit Ermittlungen bedachten Personen darüber zu informieren. Das trifft weniger Terroristen, die das spätestens bei ihrer Festnahme erfahren. Bürger, bei denen sich die Annahmen des Staatsschutzes nicht bestätigen, erfahren niemals, dass sie unter Beobachtung standen. Immerhin ist das Amt dazu verpflichtet, alle ermittelten Informationen nach neun Monaten aus seinen Archiven und Datenbanken zu löschen.

Wobei: Sicherheit schafft auch das nicht. 2011 geriet der Verfassungsschutz unter anderem deshalb in die Schlagzeilen, weil er die ehemalige ÖH-Vorsitzende Sigrid Maurer in einer internen Liste als politische Extremistin führte. Grund war eine unangemeldete Flugblattaktion Maurers im Parlament. Nach dem Bekanntwerden des Listings entschuldigte das BVT den Umstand mit menschlichem Versagen. Fehler könnten schließlich jedem einmal geschehen.

Das größte Risiko des neuen SPG ist jedoch die Signalwirkung, die davon ausgeht. Was der Bürger bisher zur Kenntnis nahm: Seit den Anschlägen vom 11.September 2001 diente jedes weitere Ereignis zur Rechtfertigung noch weiterer Befugnisse für die Behörden. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Auf einen Blick

Der Verfassungsschutz darf künftig Einzelpersonen zur Terrorabwehr beobachten und gegen sie ermitteln. Stellt sich der Verdacht nachträglich als falsch heraus, müssen sämtliche Ermittlungsdaten gelöscht werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2012)

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