Chefagent Tschetscheniens ausgewiesen

(c) AP (MUSA SADULAYEV)
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Das Innenministerium hat den Anführer der berüchtigten Kadyrow-Brigaden des Landes verwiesen. Laut Verfassungsschutz sind noch rund 300 tschetschenische Agenten-Kollegen im Land

Das Doppelleben des sechsfachen Vaters und Konventionsflüchtlings Wolfgang F. ist zu Ende. Anfang Februar verwies das Innenministerium den 45-Jährigen des Landes. Hinter der biederen Fassade des Mannes, der zur Tarnung einen typisch österreichischen Namen annahm, verbarg sich nämlich der Chefagent des autoritären Präsidenten Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, in Österreich. Ob er noch in Österreich als U-Boot lebt oder bereits das Land verlassen hat, ist nicht klar. Fix ist, dass er keinerlei Berechtigung mehr hat, sich hier aufzuhalten.

„Die Presse“ hat den Fall F. nun rekonstruiert. Er wirft die Frage auf, ob die Republik sowohl bei der Verleihung als auch bei der nachträglichen Aberkennung des Flüchtlingsstatus zu nachlässig vorging. Er zeigt, dass der Verfassungsschutz die Gefahr unterschätzte, die sich durch das Einsickern von als Asylwerber getarnten Agenten ergab. Und sein Ende ist nun ein später Wink mit dem Zaunpfahl für die im Land verbliebenen Helfer des berüchtigten Tschetschenen-Präsidenten, der seine Feinde sogar im Ausland mit aller Brutalität verfolgen lässt. Die stark vereinfacht formulierte Botschaft Österreichs an die Kadyrow-Sympathisanten lautet: Wer sich – freundlich gesagt – danebenbenimmt, muss gehen.

Das war nicht immer so. Im Frühling 2011 berichtete „Die Presse“, dass F., der eigentlich Suliman E. heißt, zweimal von Österreich nach Tschetschenien reiste (2009 und 2010). Schon das erste Mal hatte das Bundesasylamt versucht, F. den Flüchtlingsstatus abzuerkennen. Doch man scheiterte beim Höchstgericht. Der Beschuldigte behauptete, nur unter großer Gefahr seinen jüngsten Sohn besucht zu haben. Die Richter glaubten ihm. Im Zuge seiner zweiten Reise trat er mit Kadyrow auf, traf sich also genau mit jener Person, die ihm laut Asylantrag nach dem Leben trachtete. Ein Video davon ist bis heute auf YouTube abrufbar. Ein klarer Verstoß gegen die Asylauflagen.

Kampfname: „Karamasow“

Und die Behörde? Die tat zuerst nichts. Das verpflichtend einzuleitende Aberkennungsverfahren blieb (zunächst) aus. F. fühlte sich sicher, behauptete sogar, seine Reisen seien von Beamten des Staatsschutzes genehmigt worden. Wenn dieser Vorwurf stimmt, wäre das ein glatter Amtsmissbrauch. Futter für diese Annahme barg die Tatsache, dass das Innenministerium nicht sofort alles daran setzte, F. den Flüchtlingsstatus abzuerkennen. Der Grund für das Zögern war jedoch ein anderer. Erst nach und nach dämmerte es dem Verfassungsschutz nämlich, wen man da – neben den 20.000 „echten“ Flüchtlingen aus Tschetschenien – ins Land gelassen hatte. Heute befinden sich nach Erkenntnissen des Inlandsnachrichtendienstes etwa 300 Agenten Kadyrows im Land. Ihre Aufgabe: dessen Gegner so weit unter Druck zu setzen, dass sie nicht wagen, von den vermuteten Folterungen und Kriegsverbrechen zu erzählen. Wolfgang F., alias Suliman E., der den Kampfnamen „Karamasow“ trägt, war der Anführer der Agenten.

Als vor drei Jahren der in Wien lebende Ex-Weggefährte Kadyrows, Umar Israilow, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auspacken wollte, erschoss ihn ein Killerkommando in Floridsdorf auf offener Straße. Der Prozess gegen die Täter – tschetschenische Flüchtlinge – endete vergangenen Sommer mit (nicht rechtskräftigen) Schuldsprüchen für eine „politisch motivierte Tat“.

Hohes Risiko bei Asylaberkennung

Vor dem Hintergrund des Anschlags war es dem Innenministerium offenbar peinlich, einer brandgefährlichen und von einem fremden Staat gelenkten Kampftruppe Asyl gewährt zu haben. Es stellte sich die Frage: Wie wird man diese Gruppe wieder los? Das gescheiterte Verfahren von 2009 durfte sich auf keinen Fall wiederholen. Die Signalwirkung wäre fatal gewesen.

Aus diesem Grund zögerte man auch, als F. im Oktober 2010 erneut von einem Aufenthalt in Tschetschenien zurückkehrte. Die Befürchtung der Beamten von Staatsschutz und Bundesasylamt klingt in den Ohren von Menschenrechtlern zynisch, war angesichts der Gefährlichkeit der Personengruppe, um die es ging, jedoch nachvollziehbar: Selbst bei einer Ausweisung konnten F.s Anwälte wegen der langen Aufenthaltsdauer im Land und seiner Familie immer noch um dauerhaften humanitären Aufenthalt ansuchen.

Also versuchte man es anders, probierte, den Chefagenten Kadyrows im Zuge einer strafrechtlichen Verurteilung außer Landes zu bekommen. Das erschien vielen sicherer, als sich auf einen Stempel im Pass und ein Video auf YouTube zu verlassen. Anlass gaben angebliche Übergriffe und Drohungen F.s gegenüber anderen Flüchtlingen. Allein: Es stand Aussage gegen Aussage. F. stritt alles ab. Also blieb dem Innenressort letztlich nichts anderes übrig, als nach langen Überlegungen schließlich doch noch das mit allen Risken behaftete Aberkennungsverfahren zu führen.

Es funktionierte. Unter anderem auch deshalb, weil F. während dieses Verfahrens im September 2011 erneut seinen obersten Befehlshaber, Kadyrow, in Grosny besuchte. Nach „Presse“-Informationen verzichtete er danach sogar darauf, die Aberkennung des Flüchtlingsstatus beim Asylgerichtshof zu beeinspruchen.

300 Agenten in Warteposition

Die in Österreich verbliebenen Agenten Kadyrows dürften den Fall aufmerksam mitverfolgt haben und werden wohl – angesichts des Ausgangs des Verfahrens gegen F. – ihre bis zuletzt rege Reisetätigkeit in die Heimat einstellen und sich ruhig verhalten. Einfach des Landes verweisen kann Österreich sie nämlich nicht. Es ist nicht erlaubt, die beim Staatsschutz vorliegenden nachrichtendienstlichen Informationen über sie mit den Daten des Bundesasylamts abzugleichen.

Warum die Ausweisung von Kadyrows oberstem Handlanger aber mehrere Jahre dauerte? Ein Sprecher des Ministeriums begründet das so: „Wir beantragen die Aberkennung des Flüchtlingsstatus nie leichtfertig. Im Interesse der Rechtsstaatlichkeit braucht ein solches Verfahren seine Zeit.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2012)

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