Pfarrer Joe Egle: Der Schnapspfarrer

Pfarrer Egle Schnapspfarrer
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In der kleinen Vorarlberger Gemeinde Gaschurn ist Pfarrer Joe Egle Seelsorger und "Heilmediziner" zugleich: Er produziert und verkauft Hochprozentiges.

Von Kardinal Christoph Schönborn ist Joe Egle ein weites Stück entfernt. Da wäre zum ersten die physische Distanz: Während der Vorarlberger Schönborn im imperialen Wien residiert, sitzt der Vorarlberger Pfarrer Egle in einem Häuschen aus Holz im bergigen Gaschurn, einer 1500-Seelen-Gemeinde, wohin der Bus aus Schruns in beachtlichen Zeitabständen hochfährt. Dann wäre da noch ihre Erscheinung. Schönborn verleihen seine Bischofs- und Kardinalsinsignien eine sakrale Aura, Egle hingegen sitzt in Cordhose, Hemd und einem gefütterten Gilet im Empfangsraum des Pfarrhauses.

Aber vor allem was die Gesundheit der Schäfchen betrifft, hat Egle eine ganz bestimmte Vorstellung. Er verkauft selbst gebrannten Schnaps – und schwört auf die heilende Wirkung desselben. Der 70-Jährige führt durch den knarrenden Gang des rustikalen Pfarrhauses, bleibt am Treppenabsatz in Richtung Keller stehen und zeigt auf ein Papier an der Wand: Es ist die Produktliste, die gleichzeitig auch der Beipackzettel ist. Hagebuttenschnaps erhöht die Abwehrkräfte, Meisterwurzschnaps reguliert den Magen, Thymianschnaps hilft der Lunge und den Bronchien. Er empfehle seinen Kunden ein kleines Gläschen am Tag, gerne auch zwei, aber Vorsicht: Bei zu viel könne man – Egle drückt es elegant aus – „kippen“.

Orgelpfeifen als Tarnung. In einem Raum im Keller befindet sich die „Werkstatt“ des Pfarrers. Die Wände zieren Bilder von verschiedenen Pflanzen, in der Mitte steht das bronzene Destilliergerät, ein ausgestopftes Murmeltier ziert einen kleinen, runden Tisch. Seine Rohzutaten stammen alle aus der Region, erzählt Egle; die Kräuter gehe er selbst sammeln, dabei halte er sich an gewisse Regeln. Die Blütenpflanzen zum Beispiel pflücke er bei trockenem und sonnigem Wetter, „nur dann entfaltet sich das Aroma“. Es sei gar nicht lange her, da habe Egle in einem Tal in Tirol die Moschusschafgarbe entdeckt. Laut „Beipackzettel“ stärkt dieser Schnaps nicht nur die Nerven, sondern reguliert auch Magen und Darm. Überhaupt scheinen die meisten Schnäpse des Pfarrers gut für den Magen zu sein. Was kein Zufall ist, sein Credo lautet: „Wenn der Magen funktioniert, funktionieren auch alle anderen Organe.“

Trotzdem, ein Arzt sei er nicht. Habe jemand Augenbeschwerden, „kann ich das nicht mit Schnaps heilen“.Von der gesundheitsfördernden Wirkung seiner Produkte ist Egle freilich trotzdem überzeugt. Ob sein Schnaps dem Kunden schmeckt oder nicht, sei hier nur Nebensache, sagt er und zeigt auf einen hölzernen Schrank mit eingebauten Orgelpfeifen. Eine Orgel im Schrank? Nein, eine ganz andere „Story“, lacht er und öffnet die Tür. Dahinter verbergen sich mit bunten Schnapsflaschen gefüllte Regale. Als ein hoher Geistlicher ihn einmal besuchte, habe er ihm verdeutlicht, dass es sich für einen Pfarrer nicht zieme, die Räume mit Schnaps zu füllen. Daher der Schrank, daher die Orgelpfeifentarnung.

Abgesehen davon hält sich der Pfarrer mit seinen Produkten nicht zurück, er macht aber auch nicht aktiv Werbung dafür. Die Schnäpse verbreiten sich per Mundpropaganda, viele Hotels in der Region schenken ihren Gästen Egle-Schnaps ein. Ein Umsatzreißer sind seine Produkte daher nicht. Die Kosten für das Rohmaterial könne er einnehmen, den Rest sende er an seinen Freund Erwin Kräutler (Bischof von Xingu in Brasilien) oder lasse kleine Broschüren über die Gaschurner Kirche herausgeben, die dann verkauft werden. Der Erlös fließt dann in die Kassa der Pfarrgemeinde. „Ich könnte schon professioneller sein“, sagt Egle fast entschuldigend. Bereits seit 30 Jahren schon pflückt und destilliert der Pfarrer. Warum er das macht? Wenn man auf dem Land aufwächst, oder „in der Landwirtschaft“, wie Egle sagt, habe man einen praktischen Zugang zu Kräutern und Heilmedizin. Früher habe es bei Erkältungen Schlüsselblumentee gegeben, bei Furunkel Bockshornkleesalben und bei Keuchhusten den Saft von in Zucker aufgelösten Nacktschnecken.

Und als Egle vor 15 Jahren begann, seine Schnapskreationen zu verkaufen, habe er auf diese Hausmittel zurückgreifen können (nein, aus den Nacktschnecken wird kein Schnaps). Mit der Zeit kamen neue Kräuter und Ideen dazu, und „irgendwann wurde ich süchtig.“ Was die Herstellung betrifft, nicht das Trinken, wohlgemerkt.

Ein großes Geheimnis sind seine Rezepte auch nicht geblieben: Vor fünf Jahren gab der Pfarrer das Buch „Elixiere aus der Natur“ (Tyrolia Verlag) heraus. Vorbei an den Geweihen, die überall im Keller hängen, führt Egle wieder den Weg hinauf in den urigen und schlicht gehaltenen Empfangsraum. Hier hängt kein Kreuz, dafür steht auf einem Beistelltisch ein opulenter Chanukkaleuchter – ein Mitbringsel aus Israel. Dieses Bild verwundert allerdings nur auf den ersten Blick, denn Egle ist das, was man einen liberalen Pfarrer nennen könnte.

Weil sich einige Dinge innerhalb der katholischen Kirche in Österreich ändern müssten, habe er sich der Pfarrerinitiative Helmut Schüllers – der zum „Ungehorsam“ gegenüber Rom aufgerufen hatte – angeschlossen. Egle tauft auch Kinder, deren Eltern von der Kirche ausgetreten sind. Und er werde zornig, wenn man nicht ernsthaft über das Frauenpriestertum reden könne. Was seine Gemeinde betrifft, wolle er nicht, dass Gläubige scheuklappenmäßig alles hinnehmen, ohne zu hinterfragen. Diskurs sei ihm wichtig, sagt er, im kleinen, wie im großen Kreis.

Alkohol wird Nebensache. Wenn Egle seine Produkte verkauft, im hölzernen Pfarrhaus neben der Kirche, dann geht das sowieso nicht ohne eine kleine Plauderei. Zum einen müssen die Inhalts- und Wirkstoffe näher erläutert werden – vor allem Zirbe, Preiselbeere und Dost (wilder Majoran) sind sehr gefragt –, aber auch persönliche Anliegen kommen hier zur Sprache. Bisweilen wird aus dem Schnaps eine Nebensache, denn letzten Endes, sagt Joe Egle, „bin ich ein Pfarrer“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2012)

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