U-Bahn: 112-Meter-Wurm schickt "Silberpfeil" in Pension

"Presse"-Test. Wie der V-Wagen in die gute, neue Zeit fährt.

Wien. Früher war alles besser. So beschwören traditionsbewusste Wiener die gute, alte Zeit. Diese geht nun auch im Untergrund zu Ende, denn die von vielen lieb gewonnen U-Bahn-Züge, die "Silberpfeile", fahren in Pension. Der Nachfolger, ein neumodischer Zug mit der sperrigen Bezeichnung V-Wagen, nahm im Sommer (nach heftigen Meinungsverschiedenheiten mit dem Verkehrsministerium) den Betrieb auf. "Die Presse" hat die neuen Züge getestet.

"Schau Mama, das ist der Neue", begrüßt ein begeisterter Knirps den 112 Meter langen Stahlwurm bei der Einfahrt in die Station Stephansplatz. Dass er beim Einsteigen mit dem Hinweis "Dieser Zug wird videoüberwacht" begrüßt wird, schreckt ihn nicht ab, er kann ja nicht lesen.

Umso mehr genießen er (unbeschwert) und der "Presse"-Tester (unauffällig die Kameras suchend) die Kühle im Inneren. Die Klimaanlage funktioniert - anders als in der Niederflur-Straßenbahn "Ulf" - bestens. Selbst reges Fahrgastaufkommen zur Rush Hour lässt den fahrenden Kühlschrank kalt.

Farbgebung und Innenausstattung sind wenig spektakulär. Dennoch versprühen die schwarz-gelb-rot-orangen Zierleisten an der Decke mehr Freundlichkeit als das eintönige Interieur der "Silberpfeile".

Auf Gerüche ansprechende Fahrgäste werden sich sofort an den an eine Zahnarzt-Praxis gemahnenden "Duft" aus den "Ulf"-Straßenbahnen erinnert fühlen. In der Pariser Metro haben das die Verantwortlichen besser hinbekommen. Dort hat der eigens kreierte Wohlgeruch sogar einen klingenden Namen: Madlaine.

Der Boden im V-Wagen ist rutschfest, ein echter Fortschritt zum "Silberpfeil" sind die Kunststoffsessel. Zwar sind diese weder bequem noch rutschfest, dafür ungleich hygienischer als die Polsterstühle des Vorgängers. Allein die Vorstellung, was der "Vorsitzer" dort alles hinterlassen haben könnte, ließ bisher so manchen auf einen Stehplatz ausweichen. Apropos Stehplatz: Die neuen Halteschlaufen sind zwar schick, hängen subjektiv gesehen jedoch höher als gewohnt.

Im Praxistest als angenehm stellte sich die durchgängige Begehbarkeit des Zuges heraus. Während sich bei den "Silberpfeilen" das Fahrgastaufkommen auf jene Wagons konzentriert, die den Auf- und Abgängen der Stationen am nächsten sind, verteilen sich die Reisenden im V-Wagen auf die gesamte Zuglänge.

Auch überzeugte Allein-Sitzer werden damit ihre Freude haben, denn wer ein paar Meter Fußmarsch in Kauf nimmt, hat gute Chancen auf eine Sitzreihe mit Ellbogen-Freiheit.

Wirklich praktisch sind die großen Freiflächen am Anfang und Ende jedes Zuges. Durch aufklappbare Sitze (auch das gehört in der Pariser Metro längst zum Standard) wird so Raum frei, auf dem theoretisch ein Kleinwagen Platz hätte. In der Praxis findet man dort ausreichend Platz für Kinderwägen, Fahrräder oder sperrige Gepäckstücke. Einzig: Der Rückhaltemechanismus der Sitze ist zu schwach. In dem von der "Presse" getesteten Zug war dieser überhaupt defekt.

Die 3500 PS jedes Zuges reichen für eine Spitzengeschwindigkeit von 80 km/h. Die Beschleunigung erfolgt rasch, ruckfrei, angenehm. Die Fahrgeräusche sind leiser als im alten Modell. Unklar ist, ob das auf die geschlossenen Fenster (Klimaanlage!) oder ein besseres Fahrwerk zurückzuführen ist. In der Praxis ermöglicht der niedrige Schallpegel auch Handy-Telefonate, bei denen nicht gleich der ganze Zug mithört.

Wer dennoch des Fahrgastraums verwiesen wird oder einfach nur aussteigen will, kann dies im V-Wagen dezenter tun als im "Silberpfeil". Anstatt gewaltsam an den oftmals sperrigen Türhebeln zu ziehen, reicht ein leichter Druck auf einen Knopf. Bei den Türen an Anfang und Ende des Zuges fahren sogar kleine Rampen aus, die den Spalt zum Bahnsteig überbrücken - fehlt nur noch der Rote Teppich.

Beim "Außer-Dienst-Stellen" des V-Wagens in einigen Jahrzehnten werden sich viele Wiener wehmütig von der guten, alten Zeit verabschieden müssen.


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.