Imam-Ausbildung in Österreich: „Ja, aber...“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Mehmet Görmez will Österreich dabei helfen, selbst Imame auszubilden – unter der Bedingung, dass die Ausbildung so umfangreich ist wie in der Türkei.

Die Presse: Österreich feiert dieser Tage 100 Jahre Islamgesetz – wie wirkt das aus türkischer Sicht? Wie gut geht es den Muslimen in Österreich?

Mehmet Görmez: Österreich war ja damals ein Reich wie die Türkei. Viele Religionen haben damals dort gelebt, das ist jetzt auch so. Und Österreich hat auf diesem Gebiet immer eine Vorreiterrolle gespielt. Ich halte die Feier für so wichtig wie das Gesetz selbst. Es zeigt, dass Österreich diese Ansichten nach 100 Jahren wieder bestätigt hat.

Die Feierlichkeiten sind die eine Sache, die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber Muslimen eine andere.

In mehreren europäischen Staaten erklären Staatsführer, dass Multikulti kein Erfolg war – wenn Österreich im Gegensatz dazu feiert, ist das ein besonders schönes Zeichen. Wir wissen alle, was für eine Diskussion es ausgelöst hat, als der deutsche Ex-Präsident Wulff gesagt hat, dass die Muslime zu seinem Land gehören. Während in einigen Staaten diskutiert wird, ob der Islam dazugehört, zeigt Österreich, wie man den Muslimen Platz in der Gesellschaft einräumt.

Das Gesetz in allen Ehren, aber allein das sorgt noch lange nicht für ein gelungenes Zusammenleben.

Allein die Tatsache, dass es ein Gesetz gibt, bedeutet nicht, dass es alle Probleme löst. Wichtiger wäre, dass das ganze zu einer Kultur wird. In einer modernen Welt sollte es keine monolithischen Kulturen geben. Und damit wir in Frieden leben können, werden wir uns daran gewöhnen müssen, dass unsere Gesellschaften multikultureller, multiethnischer, multireligiöser werden.

Viele Imame werden ja noch in der Türkei von Ihrem Präsidium ausgebildet – wäre es nicht sinnvoller, Imame hierzulande selbst auszubilden?

Das sollte man nicht nur in Österreich, sondern für ganz Europa in Erwägung ziehen. In Europa leben etwa vier Millionen Türken. Und 20, 30 Jahre lang hat sich niemand um sie gekümmert. Sie haben eigene Vereine gegründet, eigene Moscheen – und da es praktisch keine Fachleute gab, haben sie sich eben an unser Präsidium gewandt. Wir haben dann in Zusammenarbeit mit den Behörden der betroffenen Staaten diese Leistungen angeboten.

Das mag einmal sinnvoll gewesen sein, man könnte aber auch hierzulande die nötige Infrastruktur aufbauen.

Jedes europäische Land kann, wenn es will, selbst Imame ausbilden. Wir werden jeden Beitrag dazu leisten. Aber wir haben Bedingungen dafür – die wissenschaftliche Infrastruktur muss da sein, weil der Beruf eines Imams ist kein 08/15-Beruf. In der Türkei gehört dazu eine elfjährige Ausbildung, in der nicht nur religiöse Kenntnisse, sondern auch Physik, Mathematik, Philosophie und Pädagogik unterrichtet werden. Wer Mufti oder Prediger werden will, besucht noch zusätzlich einen dreijährigen Lehrgang. Wenn man diese Voraussetzungen in Wien schaffen kann, sind wir bereit, das zu unterstützen.

Es gibt ja auch schon Versuche, Imame hier auszubilden – seit einigen Jahren gibt es einen Lehrgang an der Uni.

Man macht in Europa zwei Fehler: Manche glauben, dass man an katholischen Universitäten mit einem schnellen Lehrgang Imame ausbilden kann. Der zweite ist, dass man dieses Thema als Integrationsthema sieht. Dabei geht es hier um die Glaubensfreiheit und die freie Religionsausübung.

Über die Imame-Ausbildung hat die Türkei ja auch einen politischen Einfluss auf die Muslime hier.

In modernen Zeiten halte ich es für falsch, dass man denkt, dass ein Staat über die eigenen Leute Einfluss auf ein anderes Land ausüben möchte. Wenn ein Staat dem anderen friedlich helfen will, sollte man das nicht als Versuch der Einflussnahme sehen.

Es gibt auch Stimmen, dass durch den starken türkischen Einfluss die Integration langfristig erschwert wird.

Ganz im Gegenteil. Aus wissenschaftlicher Sicht sieht man, dass das Präsidium durch die Zusammenarbeit mit den europäischen Staaten die Integration eher unterstützt. In den letzten zehn Jahren bemühen wir uns, dass wir Imame ins Ausland schicken, die auch die Landessprache beherrschen und mindestens vier bis sechs Monate auch die Kultur jenes Landes kennenlernen.

Wie sollen sich Türken in Europa verhalten, um hier erfolgreich heimisch zu werden?

Wir betonen in den Predigten in den Moscheen zwei Themen. Erstens, dass die Menschen die eigene Identität bewahren sollen. Das wird dann zum Reichtum dieser Gesellschaft beitragen, keine Kultur sollte in einer anderen verschwinden. Der zweite wichtige Punkt ist: Sie müssen in Frieden mit der Gesellschaft leben. Sie sollen die eigene Muttersprache nicht vergessen, aber die Sprache des Landes, in dem sie leben, möglichst gut beherrschen.

Und Sie meinen, das reicht für eine erfolgreiche Integration?

Viele Begriffe, die wir in Zusammenhang mit interkulturellen Beziehungen verwenden, werden wir vielleicht in ein paar Jahren nicht mehr benötigen. Begriffe wie Isolation, Adaption, Assimilation oder Integration haben wir aus der Chemie übernommen. Diese Wörter waren nicht für Lebewesen gedacht. Wir sollten all diese Vorurteile hinter uns lassen und lieber Schritte in Angriff nehmen, die mehr als Integration und Assimilation sind.

Aber es gibt doch gewisse Regeln, um mit der Mehrheitsgesellschaft zurechtzukommen.

Was die verschiedenen Kulturen betrifft, halte ich es für falsch, wenn man mit Zahlenangaben wie Minderheit oder Mehrheit argumentiert. Wenn eine Person von einer anderen Kultur in unserer Gesellschaft lebt, haben wir nicht das Recht, zu diesem Menschen zu sagen, dass er eine Minderheit ist. Auch in der islamischen Welt gibt es Minderheiten. Da gibt es auch Schwachstellen, die wir als Präsidium ständig kritisieren. Es ist erforderlich, dass man die Glaubensfreiheit und die Wahrung der eigenen Identität schützt, so dass jeder seine Religion ausüben kann. Und die großen Staaten sollten bezüglich dieses Themas keine Komplexe haben.

Zur Person

Mehmet Görmez, geboren am 1.Jänner 1959 in Gaziantep, ist seit 2010 Präsident des türkischen Religionsamts „Diyanet“, der höchsten islamischen Autorität der Türkei. Die Behörde ist unter anderem auch für die Ausbildung der Imame zuständig, die in zahlreichen österreichischen Moscheen ihren Dienst versehen. [Foto: Clemens Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2012)

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