Der Weg aus dem Roma-Ghetto

Romakinder
Romakinder(c) Erich Kocina
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Pater Sporschills Hilfsorganisation Concordia will Roma-Kindern in Sofia die Chance geben, dem Teufelskreis aus Not und Armut zu entkommen.

Iwan schaut skeptisch. Der Plastikbecher mit klebrig süßer Orangenlimonade, den der Bub in der Hand hält, ist ein ungewohnter Luxus. Und dass sich seine Eltern darum kümmern, dass etwas zu essen im Haus ist, war auch lange nicht der Fall. Sein Vater ist gerade erst aus dem Gefängnis entlassen worden; er war zwei Mal alkoholisiert beim Autofahren erwischt worden. Und seine Mutter, die nach einem Unfall eine Beinschiene tragen muss, hat sich während der Zeit, als ihr Mann nicht da war, „gehen“ lassen.

Iwan und seine fünf Geschwister mussten allein schauen, wie sie zurechtkommen. Jetzt, wo der Vater wieder da ist, geht es vielleicht bald wieder ein bisschen bergauf. Doch leicht wird das nicht werden.

Iwans Familie lebt in Orlandovci, einem der Ghettos in der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Ihnen geht es wie den meisten der fast 40.000 Roma in der Stadt. Abgeschottet von der Bevölkerung leben sie in eigenen Stadtteilen, den Mahalas. Oft wohnen sie in nur aus ein paar Ziegeln und Holzbrettern notdürftig zusammengezimmerten Unterkünften. Eine Chance auf Arbeit gibt es kaum. „Sobald die Leute erfahren, dass ich ein Zigeuner bin, habe ich keine Chance mehr“, erzählt Boris Borisov Matev. Der 49-Jährige lebt mit seiner Frau und sechs seiner acht Kinder in einem kleinen Ziegelverschlag.

So wie für viele im Roma-Ghetto ist für ihn das Sammeln von Müll die einzige Möglichkeit, zu ein bisschen Geld zu kommen. Und Müll gibt es hier im Überfluss: Autoreifen, Metallteile, dazwischen Papier, Plastik und Verpackungen. Hinter den Häusern sieht es aus wie auf einer Deponie. Eine Perspektive auf ein besseres Leben sieht hier kaum jemand, das Lebensgefühl ist Resignation. Und die geht so weit, dass viele Eltern keinen Wert darauf legen, dass ihre Kinder in die Schule gehen – Geld für Unterrichtsmaterial oder Bücher gibt es sowieso keines. Ein Teufelskreis, denn ohne Bildung winkt auch Denislav, mit sechs Monaten der jüngste Sohn der Familie Matev, der in einer Decke eingehüllt auf dem Bett im Eck des Zimmers schläft, keine bessere Zukunft.

Teufelskreis aus Armut und Resignation

Den Teufelskreis aus Armut und Resignation zu durchbrechen, das ist die vordringlichste Aufgabe. Und erste Ansätze gibt es bereits. Concordia, die vom Jesuitenpater Georg Sporschill ins Leben gerufene Hilfsorganisation, betreibt seit 2008 das Sozialzentrum „Sveti Konstantin“ nahe dem Zentrum von Sofia. Hier bekommen Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, sich zu waschen. Es gibt saubere Kleidung, Mahlzeiten – und für einige Kinder auch Unterstützung, einen Platz in der Schule zu bekommen. Denn viele Schulen weigern sich, überhaupt Kinder aus Roma-Familien aufzunehmen. Für jene, die in besonders schlimmen Verhältnissen leben, gibt es auch die Möglichkeit, länger zu bleiben. Und gemeinsam mit anderen Kindern und betreut von Sozialarbeitern so etwas wie ein geordnetes Leben zu führen.

An die 50 Kinder und Jugendliche können hier betreut werden. Doch der Weg von den Mahalas, in denen die Roma leben, bis zum Sozialzentrum ist weit. Und der nächste logische Schritt ist ein Tageszentrum in unmittelbarer Nähe der Kinder, die Betreuung brauchen. Vor wenigen Wochen hat Concordia ein Grundstück in der Mahala gekauft. Hier soll ein Zentrum errichtet werden – in Fertigbauweise, wie sie sich schon an anderen Standorten von Concordia, in Rumänien und Moldawien, bewährt hat. Damit sollen die Kinder eine Möglichkeit bekommen, aus dem Elend auszubrechen. Essen, Wärme, Hilfe beim Lernen – und eine Perspektive, dass die Zukunft vielleicht auch hinaus aus dem Ghetto führen kann.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2012)

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