Die vielen Gesichter des Joseph R.

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Die vielen Gesichter des Joseph R.AP
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Vor seinem Pontifikat war Joseph Ratzinger vor allem als der „Panzer-Kardinal" bekannt, als eiserner Verfechter starrer Dogmen. Doch der Papst aus Marktl am Inn hatte auch andere Facetten.

Joseph Ratzinger, bis vor Kurzem Papst Benedikt XVI., ist eine polarisierende Persönlichkeit, die bereits im Vorfeld der Wahl zum Pontifex maximus im April 2005 mit vielen Etiketten versehen wurde. Er gilt als starrer Glaubenshüter, der für die Kontinuität der katholischen Kirche steht und diese mit voller Strenge zu exekutieren bereit ist. Doch die Person Benedikts XVI. ist weit vielschichtiger und schillernder als oft grobschlächtig dargestellt:

Brillanter Denker

Als „Star unter den Theologen" galt Joseph Ratzinger bereits, als er Professor in Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg war. Auch Kritiker würdigen seinen scharfen Intellekt, seine klaren Analysen, die geschliffene Sprache und den weiten theologischen Horizont. Er ist dafür bekannt, dass er große Zusammenhänge leicht und eingängig formulieren kann. Einen Namen hat sich Ratzinger auch als Autor zu Kirchenlehre und  Theologiegeschichte gemacht; die Liste seiner Publikationen ist seitenlang. Bis heute viel beachtet etwa die „Einführung in das Christentum", die ihn über seine Universität hinaus in der Weltkirche berühmt machte, „Die Demokratisierung der Kirche" oder „Salz der Erde. Christentum und Katholische Kirche an der Jahrtausendwende. Ein Gespräch mit Peter
Seewald."

Unnachgiebiger Hardliner

„Lieber Gott, ich mach dich fromm, wenn ich in den Himmel komm." So lautet gemäß einem weit verbreiteten Witz Ratzingers Abendgebet. Der Papst wurde als Hardliner, Traditionsbewahrer und Reformblockierer gesehen. Seine Unnachgiebigkeit hat ihm viele Anfeindungen eingetragen. Für weltweite Debatten sorgte im Dezember 2000 die von Ratzinger verfasste Erklärung „Dominus Iesus", in der er die Einzigartigkeit der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus und - woran sich andere christliche Konfessionen stoßen - die besondere Stellung der katholischen Kirche betonte.

Kurzzeit-Rebell

„In seiner frühen Phase war er sehr offen in Sachen Theologie", weiß der Theologe Peter Hünermann, der Ratzinger seit Jahrzehnten kennt. Zu Beginn seiner
Laufbahn war der bisherige Papst offizieller Theologe des II. Vatikanischen Konzils (1962-65) und dessen Botschaft vom Aufbruch der Kirche. Der Kölner Kardinal Frings hatte den jungen Theologieprofessor Ratzinger mitgenommen, der damals von älteren Kollegen „Teenager" genannt wurde. Erst später, geprägt vor allem durch die Studentenproteste der späten 60er und frühen 70er Jahre, die für Ratzinger sichtlich ein Kulturschock waren, wandelte er sich zum Konservativen.

Der "andere" Ratzinger

Persönliche Gesprächspartner wissen es: Der nach außen so strenge Glaubenshüter kann abseits aller Mikrofone auch ganz anders. Er weiß genau um die Notwendigkeit von Reformen in der Kirche. In seltenen Momenten sagt er dies auch öffentlich. So geschehen etwa 2004, als der damalige Präfekt der Glaubenskongregation unmittelbar vor den Begräbnisfeierlichkeiten für Kardinal Franz König in Wien aufhorchen ließ. „Ich habe keine Schwierigkeiten zuzugestehen, dass wir in manchem vielleicht großzügiger sein müssen. Dass es zu viele Eingriffe der Zentralinstanz gab." Er stemme sich auch nicht dagegen, über weniger Zentralismus und mehr Dezentralismus in der Kirche nachzudenken. „Es gibt keine Sperre seitens des Heiligen Stuhls, das neu zu justieren", meinte der Inhaber des Heiligen Stuhls wörtlich. Krass im Gegensatz zum Image Ratzingers schlägt dieser im Gesprächsband „Salz der Erde" kritische Töne an. Die Kirche sei als Institution im Laufe der Jahrhunderte zu erstarrt, es werde zu viel beschlossen, regiert, und die Kirche stehe sich manchmal bei der Verkündigung der Botschaft selbst im Wege. Für viele überraschend mag auch eine Aussage des gebürtigen Bayern sein, dem nachgesagt wird, einer zutiefst pessimistische Weltsicht nachzuhängen: „Die Welt ist richtig, und das Gute siegt."

Der Karrierist

Nach über einem Vierteljahrhundert in Rom gilt Ratzinger als gewiefter Kenner der vatikanischen Strukturen. Die Wahl zum Papst war der Höhepunkt einer steilen Karriere: Bereits mit 26 Jahren wurde er vormalige Vorzugschüler Dozent für Dogmatik und Fundamentaltheologie; 1977 berief ihn Papst Paul VI. zum Erzbischof von München und Freising, kurz darauf zum Kardinal. 1982 holte ihn Papst Johannes Paul II. nach Rom. Die Kehrseite von Ratzingers profundem Insiderwissens sehen viele im relativ geringen Kontakt zur Kirche in der Welt und seiner eher kurzen Erfahrung als Seelsorger.

Die rechte Handy Wojtylas

Es war wahrscheinlich die höchste Auszeichnung, die Ratzinger als Kurienkardinal zuteil wurde: Johannes
Paul II. hat ihn in seiner Biografie als treuen Mitarbeiter
und Freund besonders hervorgehoben. Das Verhältnis der beiden war einzigartig und ging weit über das Berufliche hinaus. Als Präfekt der Glaubenskongregation hat Ratzinger die Vorgaben seines „Chefs" stets strikt loyal umgesetzt. Gleichgültig, ob er mit allem und jedem bis ins letzte Detail auch einverstanden war. Bis 2004 war Ratzinger neben Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano der einzige Chef einer Vatikan-Behörde, der mit Aktenbündeln noch zum Krankenbett seines Vorgängers vorgelassen wurde.

Ein Mann mit Humor

Oft wird ihm nachgesagt, ein kalter Mensch zu sein, der keinen Draht zu einfachen Menschen hat. Doch als Ratzinger als frisch gebackener Papst von der Mittel-Loggia des Petersdoms lächelte, zeigte sich, dass er eigentlich ein herzlicher, wenn auch schüchterner Mann sei - das meinen die, die ihn privat kennen. Für seinen Humor bekam er auf jeden Fall 1989 den Karl-Valentin-Orden. Ratzinger dürfte sich schon immer wenig für
Sport begeistert haben - obwohl er als Professor in Münster jeden Tag mit einem Fahrrad zur Universität radelte, das er von seinen Studenten geschenkt bekommen hatte. Das Schöngeistige war da schon eher sein Fall, er selbst bezeichnete die Theologie und das
Bücher-Schreiben als sein eigentliches Hobby. Auf Besuch bei seinem älteren Bruder Georg, mit dem er ein sehr inniges Verhältnis hat, setzt sich Ratzinger öfters an den Flügel und klimpert ein paar Takte. Und dann gibt es seine Leibspeisen: Apfelmaultaschen und Bröselschmarrn.

Chronologie: Joseph Ratzingers Karriere

16. April 1927: als jüngstes von drei Kindern im bayrischen Marktl am Inn geboren.
1946-1951: studiert in Freising und München Philosophie und Theologie.
29. Juni 1951: Priesterweihe.
1957: Habilitation an der Universität München im Fach Fundamental-Theologie.
1959-1977: Uni-Professor in Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg.
1962-1965: Offizieller Konzils-Theologe des Zweiten Vatikanums.
25. März 1977:Ernennung zum Erzbischof von München und Freising.
27. Juni 1977: Ernennung zum Kardinal.
1981: Präfekt der Katholischen Glaubenskongregation in Rom.
1986-1992: federführend bei der Erstellung des "Katechismus der Katholischen Kirche".
1998: Vizedekan des Kardinalskollegiums.
2002: Kardinalsdekan.
19. April 2005: wird zu Papst Benedikt XVI. gewählt.
11. Februar 2013: Gibt bekannt, dass er am 28. Februar zurücktreten wird.

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