Ratzinger, unter Johannes Paul II. verschrien als „Panzerkardinal“

(c) AP
  • Drucken

„Jetzt muss ich sie aber unbedingt haben", sagte Johannes Paul II nach seinem dreijährigem Bemühen, Kardinal Ratzinger von München nach Rom zu holen.

Joseph Ratzinger lächelt gerne milde. Manche nennen dieses Lächeln auch spitzbübisch. Ein Lächeln, mit dem Joseph Ratzinger auf ein häufig in medialer Kritik geäußertes Wort reagiert hat, das so gar nicht schmeichelhaft klingt. „Panzerkardinal“. Oder auch „Wojtylas Mann fürs Grobe“. So lauteten die groben Punzierungen für einen feinsinnigen Intellektuellen, eine Theologen von Weltrang, als Papst Johannes Paul II. diesen Deutschen aus München nach Rom berief. „Il Tedesco“ – noch so ein Name, den der frisch gekürte Kardinal bei seiner Ankunft in Rom öfters zu hören bekam. Er galt als deutsch, so wie viele Römer sich die Deutschen vorstellten: steif, prinzipienstarr, übermäßig gründlich und detailversessen.

Der Pole will den Deutschen

Dabei hat sich Kardinal Ratzinger lange geziert. Schon knapp nach seiner überraschenden Wahl wollte der Pole auf dem Stuhl Petri den ihm theologisch zuverlässig erscheinenden Ratzinger in eine der wichtigsten Positionen hieven, die ein Papst vergeben kann. Als junger Bischof in Krakau hatte Karol Wojtyla Ratzingers „Einführung in das Christentum“ gelesen - und in ihm, wie der Ratzinger-Biograf Peter Seewald schreibt, einen Gefährten im Geiste erkannt.

Er erkor ihn schließlich zum Präfekten der Glaubenskongregation, der unmittelbaren Nachfolgebehörde des Heiligen Offiziums. Doch Ratzinger war damals erst sehr kurz als Münchner Erzbischof im Amt. Und ein „geborener“ Universitätslehrer musste schon die Annahme des Bischofsamts als eine kaum zu ertragende Last empfinden. Ein Gang nach Rom schien undenkbar. Doch wer Joannes Paul II. auch nur oberflächlich kannte, sollte wissen: Er wird nicht nachgeben.

1981 war es nach vielem Zureden dann so weit. Johannes Paul machte ihn zum Chef der Glaubenskongregation, jener Vatikan-Behörde also, die sich dem Schutz der Glaubens- und Sittenlehre verschrieben hat. Dieser Posten schien wie maßgeschneidert für den kühlen Denker und Dogmatiker. Ratzinger galt vielen als perfekte Ergänzung zum Papst, gerade weil sie so völlig verschieden waren. Der eine öffentlichkeitswirksam in bisher für das Papst-Amt unbekanntem Ausmaß, eine Art katholischer „Popstar“. Der andere extrem zurückgezogen, im Hintergrund arbeitend, Medien und Menschenmassen distanziert betrachtend. Als Traditionalist wurde der Kardinal anfangs kaum gesehen, viel mehr als gescheiter Reformator wie der Papst selbst.

Das Image des „Großinquisitors“

Papst Johannes Paul II. hatte betonte, dass sich die Glaubenskongregation mehr der Förderung von Glaubenlehren als der Überwachung des Glaubens widmen sollte. Dennoch wurde Ratzinger bald als „Großinquisitor“ beschimpft. Ob die Zurückweisung der künstlicher Geburtenregelung, die Ablehnung weiblicher Priester oder die Kritik an vielen Strömungen der Befreiungstheologie in Lateinamerika: Das oberste Urteil im Vatikan trug zumeist die Handschrift des Vertrauten von Johannes Paul II. Als sich die Nachrichten über die Missbrauchsfälle weltweit mehrten, zog er zudem deren Behandlung 2001 zentral an die Glaubenskongregation. Das ermöglichte eine schnellere Prüfung und Bearbeitung, als dies zuvor im Dickicht der diözesanen Stellen und Kirchengerichte möglich gewesen war.

Zu seinem Image als Hardliner trug nicht zuletzt seine Auseinandersetzung mit dem brasilianischen Befreiungstheologen Leonardo Boff bei. Der hatte erklärt, die Kirche sei „als Institution nicht im Denken des historischen Jesus enthalten“. Darauf folgte 1985 ein Redeverbot, erteilt vom Präfekten der Glaubenskongregation Joseph Ratzinger: Boff solle ein Jahr darüber nachdenken und in dieser Zeit nicht darüber sprechen.

Der Dank der Wissenschaft: ein Asteroid

Für die Wissenschaft war Ratzingers Wirken ein Segen: Als Kardinal öffnete er die Archive der Inquisition für die Forschung. Zum ersten Mal in der Kirchengeschichte konnten Historiker nun Original-Akten aus den Beständen studieren. Mit einer kuriosen Nebenwirkung: Ratzinger zu Ehren tauften Astronomen daraufhin nämlich den Asteroiden Nr. 8661 auf den Namen „Ratzinger“.

„Die gesunde Lehre vorantreiben, die Irrtümer korrigieren und die Irrenden auf den rechten Weg zurückführen“: So lautete Ratzingers Aufgabe als Glaubenspräfekt offiziell. Ernst, zu ernst habe dieser seinen Auftrag genommen, sagte einmal einer seinen Vertrauter; er meinte damit nicht, dass Ratzinger zu streng sei, sondern dass es ihn seine Kraft und Gesundheit koste.

Ausgerechnet ein liberaler Theologe, Eugen Biser, hat sich 1993 um Gerechtigkeit für Ratzinger bemüht: „Bei der Endbilanz“, sagte er, „wird man sehen, dass er vieles verhindert und anderes gemildert hat. Und mehr, als wir ahnen können, von seinem Lebensgefühl und seinem Lebensglück seinem Amt zum Opfer gebracht hat.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.