Die Theologie Joseph Ratzingers zwischen Glauben und Vernunft

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Joseph Ratzinger gehört zu den prägenden Denkern des Zweiten Vatikanischen Konzils und ist in seiner Wirkung als Theologe ebenso stark einzuschätzen wie als Papst.

Nicht ganz acht Jahre war Benedikt XVI. Papst, ein Deutscher als Nachfolger des charismatischen Polen Johannes Paul II. der die katholische Kirche mehr als 26 Jahre geführt hatte. Wie groß ist seine Bedeutung im Vergleich zum Vorgänger, der von Rom aus den Zusammenbruch der alten Weltordnung, des Kalten Krieges, nicht nur erlebt, sondern aktiv beeinflusst hat? Joseph Ratzinger ist in seiner Wirkung als Theologe ebenso stark einzuschätzen wie als Papst einer Zeit des Umbruchs. Er gehört zu den prägenden Denkern des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 bis 1965), das er als junger Professor für Dogmatik von Anfang an begleitet hat.

Der Kölner Erzbischof Kardinal Joseph Frings hatte als Mitglied im Präsidium des Vatikanums den hervorragenden Wissenschaftler in sein Beraterteam geholt. Ratzinger galt damals als Reformer, begeistert schloss er sich dem Aufruf des damaligen Papstes Johannes XXIII. nach Erneuerung der katholischen Kirche an. Der junge Geistliche aus Marktl am Inn trat für Öffnung ein, deren Geist damals in Rom wehte. Seine frühen Schriften waren auch bereits von Modernismus geprägt, wie seine 1953 vollendete Dissertation über „Volk und Haus in Augustins Lehre von der Kirche“ zeigte. Wegen progressiver Tendenzen wurde seine Habilitationsschrift anfangs gar nicht angenommen. Die „Geschichtstheologie des hl. Bonaventura“ konnte erst nach Überwindung einiger Komplikationen publiziert werden.

Ende der Fünfzigerjahre hatte Ratzinger ein Thema gefunden, das ihn weit über die fruchtbare Zeit des Konzils hin begleitete: „Glaube und Vernunft“ hatte seine Antrittsvorlesung an der Universität Bonn zum Thema. Die beiden Begriffe sind für ihn nur in einem konstruktiven Dialog denkbar. Das Miteinander von Denken und Glauben hat er Jahrzehnte später in einem Disput mit dem Philosophen Jürgen Habermas weiter ausgeführt: Der Hüter der Dogmen traf den kritischen Frankfurter Meister des kommunikativen Handelns. Allein schon die Bereitschaft zum Dialog der beiden Herren galt als bemerkenswert.

Das Konzil und die moderne Gedankenwelt

Unmittelbar vor dem Konzil bat Kardinal Frings Ratzinger darum, ein zentrales Thema zu erarbeiten: „Das Konzil und die moderne Gedankenwelt“ wurde ein Entwurf, an dem Frings kaum eine Änderung vornahm. Papst Johannes XXIII. war von dem Vortrag begeistert. Genau so habe er sich das vorgestellt: „Lieber Cardinale, Sie haben all das gesagt, was ich gedacht habe und sagen wollte, selbst aber nicht sagen konnte“, lobte er Frings und somit auch dessen Mitarbeiter, der die Ideen geliefert hatte. Ratzinger erhielt darauf den Auftrag, sich beim Konzil mit den dogmatischen Texten in der Zentralkommission zu befassen. Bei der Erarbeitung der Entwürfe wandte er sich von der neuscholastischen Theologie ab, weil sie zu steif war. Eine neue, moderne Sprache der Offenheit wurde angestrebt. Bald wurde Ratzinger Konzilstheologe, Mitverfasser des zentralen Konzilsdokuments „Dei Verbum“. Es stellt die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift im Kontext der modernen Wissenschaften dar, berücksichtigt zugleich aber die Treue zur Tradition der Kirche.

Verankerung im Ursprung, Blick nach vorn

In Ratzingers aufschlussreichem Buch „Einführung in das Christentum“ ist Ende der Sechzigerjahre noch viel von dem Geist des Aufbruchs zu spüren, der beim Konzil herrschte. Damals war die Auslegung des Glaubens mit historisch-kritischen Methoden das Gebot der Stunde. Als Papst hat ihr Benedikt XVI. Jahrzehnte später in seinem Jesus-Buch eine kanonische Exegese gegenübergestellt. Ratzinger entwickelte bald dogmatische Vorbehalte gegen das vom Elan des Zweiten Vatikanums getragene Denken, seine Theologie wurde mehr und mehr von Traditionalismus bestimmt, fand neue Kritiker. Dennoch ist für ihn der christliche Glaube nicht bloß Rückblick auf das Geschehen, Verankerung im Ursprung, sondern auch „Blick nach vorn, Ausgriff der Hoffnung“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2013)

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