Eine Abdankung aus Demut, Sehnsucht nach Ruhe, Furcht

(c) Marie Lan Nguyen/ Wiki
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Auch 1294 trat ein Papst freiwillig zurück: Nach gut fünf Monaten im Amt wollte der greise Coelestin V. lieber wieder als Eremit leben.

Als der Einsiedler Pietro del Murrone am 5.Juli 1294 in L'Aquila zum Papst gekrönt wurde, war er bereits ungefähr 80 Jahre alt und wurde in den Abruzzen wie ein Heiliger verehrt. Seine Wahl, die vom König von Neapel – Karl II. von Anjou – betrieben wurde, war Kalkül, selbst wenn Prophezeiungen von einem neuen Zeitalter und der Ankunft eines „Engelspapstes“ umgingen. Als Coelestin V. sollte del Murrone eine Pattstellung beseitigen helfen. Seit mehr als zwei Jahren hatte es eine Sedisvakanz gegeben, eine Zeit ohne Stellvertreter Christi auf dem Papstthron. Nach dem Tod Nikolaus' IV. im April 1292 hatten sich die mächtigen Familien Orsini und Colonna in Rom nicht auf einen Kandidaten einigen können.

Das Ergebnis der von religiösem Enthusiasmus getragenen Wahl verblüffte die Zeitgenossen. 20.000 Menschen strömten in L'Aquila zusammen, um dem Ordensgründer (Murrones Eremiten des Heiligen Damian unterwarfen sich verschärften Benediktinerregeln) zu huldigen. Als Mann des Übergangs war der greise Papst von der Politik gedacht gewesen, aber die Kürze seiner Amtszeit und die Begründung ihres Endes überraschten dennoch auch: Aus „Demut, Sehnsucht nach Ruhe, Gebrechlichkeit, mangelnden Kenntnissen und der Furcht, sein Gewissen zu beflecken“, entsagte er am 13. Dezember 1294 dem Amte und kehrte froh in seine Einsiedelei zurück, wie Albert Christian Sellners „Immerwährender Päpstekalender“ berichtet.

Blankovollmachten für Karl II. von Anjou

Die Geschichte zuvor war allerdings nicht so friedlich wie der Abgang. Coelestin V. war, wie zu erwarten, eine Marionette für Karl II. Der König holte ihn nach Neapel, ließ ihn Blankovollmachten ausfertigen. Coelestin war des Lateinischen kaum kundig. Von zwölf neuen Kardinälen waren sieben Franzosen, großzügig wurden Pfründe verteilt. So erhielt Königssohn Ludwig das Erzbistum Lyon. Karl streifte den Zehnten aus Frankreich und Burgund ein, bereicherte sich auch sonst, wo es nur ging.

Da schritt Kardinal Caetani ein. Per Sprechrohr soll der Italiener den schlafenden Papst mehrmals zum Rücktritt aufgefordert haben. Coelestin dachte, das seien himmlische Stimmen – und folgte, nachdem Caetani ein entsprechendes theologisches Gutachten erstellt hatte, das den Rücktritt eines Papstes legalisierte. Der resolute Kardinal folgte als Bonifatius VIII. nach. Vorsichtshalber sperrte er del Murrone in eine Burg weg, wo dieser 1296 starb. 1313 wurde Coelestin V. heiliggesprochen. Sein Festtag ist der 19. Mai.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2013)

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