Abschied eines gelösten Papstes: "Mein Herz ist voll Freude"

(c) REUTERS (ALESSANDRO BIANCHI)
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Vor 150.000 Pilgern sprach Benedikt XVI. in Rom noch einmal zur Welt und rechtfertigte seinen Rücktritt.

Rom. Sie renovieren die Kolonnaden in Rom. Jeder Dreck soll aus den Ritzen weg, alle Heiligen sollen von den Verkrustungen befreit werden. Sauber sollen Berninis Säulenhallen sein, dieses gewaltige Oval, diese weit geöffneten Arme, von denen sich Pilger und Touristen vor dem Petersdom aufgenommen sehen. Säubern wollte Benedikt XVI. seine Kirche. Und tatsächlich: Die Kolonnaden strahlen schon, in fast reinem, blendendem Weiß. Hart ist der Kontrast zum stahlblauen römischen Himmel. Jetzt geht der Papst. Und jeder in der Menschenmasse sieht es: an den Säulen des Vatikans ist die Arbeit erst zur Hälfte getan.

Es ist Mittwoch, der erste wirkliche Frühlingstag des Jahres in Rom. Es ist Zeit für Benedikts letzten öffentlichen Auftritt. Um diese Jahreszeit kommen normalerweise etwa 10.000 Menschen zur wöchentlichen Generalaudienz des Papstes. Seinen Abschied wollen 150.000 sehen.

„Benedetto, wir lieben dich“

„Benedetto, wir lieben dich! Einen wie dich finden wir nie mehr!“, singen italienische Schlachtenbummler mit Inbrunst und schwenken Fahnen. Das bayerische Pilgerbüro hat auf die Schnelle eine Papst-Abschiedsreise organisiert, ein paar Tausend sind eigens für diese Generalaudienz über die Alpen gekommen. „Das musste einfach sein“, sagt ein 35-jähriger Goldschmied aus Erding. „Dieser Papst hat mich immer dermaßen bewegt in meinem Leben.“ Moralische Eckpfeiler habe Benedikt XVI. gesetzt.

Eine Thüringerin, „als Atheistin aufgewachsen“, hat sich als Erwachsene wegen Benedikt taufen lassen. Jetzt hat sie ihren neuen Namen – Eva Benedicta – auf ihr Fan-T-Shirt gedruckt, trägt ein Bild des Papstes als Goldmedaillon um den Hals und hält eine Wolke von Luftballons in den Vatikanfarben über sich: Weiß und Gelb.

Die Sonne schafft schon deutliche Rötungen auf winterbleichen Gesichtern, da kommt er. Zum Abschied sogar in einem neuen Papamobil. Offen, aber mit Panoramaglasdach. Benedikt XVI. fährt zum letzten Mal durch die jubelnde Menge. Fast 86 Jahre ist er jetzt alt, aber einen schwächeren Eindruck macht er nicht als bisher. Nur eines: Wenn er keine liturgischen Gewänder mit vielen Falten und Spitzen und Rüschen trägt, sondern einen so engen, weißen Mantel wie heute, sieht jeder, wie krumm sein Rücken geworden ist. So, als habe die Last des Amtes seine Schultern niedergedrückt.

Eigentlich sollte es ja auch an diesem Mittwoch eine ganz normale Generalaudienz werden – so bescheiden, posaunte der Vatikan in die Welt, habe Benedikt XVI. sich das vorgestellt –, aber davon kann natürlich keine Rede sein. Gewiss, die weiße Bühne, die sich vor der monumentalen Fassade des Petersdoms ausmacht wie das Dach einer Tankstelle, bleibt kahl wie üblich, ohne jeden Blumenschmuck. Aber links sitzt in großer Aufmachung das diplomatische Korps und rechts leuchten zahlreich die roten und die violetten Käppis hoher kirchlichen Würdenträger. 20, 30 Kardinäle in den ersten Reihen – und auffallend oft fährt die Kamera des vatikanischen Fernsehens nahe an ihnen vorbei: Welches Gesicht soll man sich einprägen? Wer von diesen älteren Herren wird in zwei, drei Wochen auf der Loggia des Petersdoms die Arme hochreißen?

Benedikt XVI., der Scheidende, kümmert sich darum nicht. In sich gesammelt wie eh und je, mit heiserer, aber fester Stimme liest er seine letzte „Katechese“ vom Blatt. Die letzten Äußerungen des Kardinals Joseph Ratzinger, die kurz vor dem Konklave 2005 – nach allgemeiner Interpretation – schon als eine Art programmatischer Regierungserklärung fürs Papst-Amt gedacht waren, sind wegen ihrer Düsternis in Erinnerung geblieben. Da beklagte Ratzinger den „Schmutz in der Kirche“, geißelte die „Diktatur des Relativismus“ und die Wankelmütigkeit des Denkens, „diese wechselnden Winde der Lehre, die das Schifflein des Denkens vieler Christen von einem Extrem ins anderen umhergeworfen haben“.

Nach acht Jahren Pontifikat ist von dieser Schwärze nichts mehr zu sehen. Ratzinger verabschiedet sich als geradezu heiterer, auf jeden Fall gelöster Papst. „Mein Herz ist voll von Freude und Dankbarkeit“, sagt Benedikt XVI. „Die Kirche lebt, das zeigt ihr mir alle, die ihr heute so zahlreich gekommen seid.“ Von Gott „wirklich geleitet“ hat sich Benedikt im Papst-Amt gefühlt: „Jeden Tag habe ich seine Nähe gespürt. Nie war ich allein. Und wenn's für das Schiff der Kirche heftigen Seegang und Gegenwind gab, dann habe ich immer gewusst, es ist nicht mein, nicht unser Schiff; es ist sein Schiff, der Herr lässt es nicht untergehen.“

„Ich steige nicht herab vom Kreuz“

Mehrfach unterbricht mächtiger Applaus den scheidenden Papst, und als er auf seinen Rücktritt zu sprechen kommt, da zücken so manche auf dem großen Platz ihr Taschentuch. „Das Wohl der Kirche und die Liebe zu ihr“, liest Benedikt von seinem Manuskript ab, „verlangt auch schwierige und schmerzhafte Entscheidungen.“

Und dann kommt, in unverändertem Tonfall, auf einmal schärfster Tadel. Kardinal Stanislaw Dziwisz, der als Sekretär Johannes Pauls II. dessen ganze Leidensjahre mitdurchlebt hat, hatte Benedikt für seinen Rücktritt von Krakau aus heftig gerüffelt. „Man steigt nicht herab vom Kreuz!“, hat Dziwisz gerufen, und Benedikt XVI. gibt bei seinem letzten öffentlichen Auftritt, vor aller Welt also, zurück: „Ich steige nicht herab vom Kreuz. Ich bleibe in neuer Weise, im Dienst des Gebets, beim gekreuzigten Herrn.“ Zur Rettung der Ehre musste das offenbar gesagt werden, und dem Applaus nach zu schließen, ist es angekommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2013)

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