Vatikan: Das Vakuum nach dem Abgang

Vatikan Vakuum nach Abgang
Vatikan Vakuum nach Abgang(c) AP (PIER PAOLO CITO)
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Tritt ein Papst ab, läuft die Nachfolger-Suche nach einem erprobten Ritual ab. Auch abseits der Kirche lassen sich bestimmte Mechanismen feststellen, wenn die Figur aus der ersten Reihe plötzlich nicht mehr da ist.

Das Vakuum ist ein großer, leerer Raum, in dem der Papst wohnt.“ Es ist eine Stilblüte, die irgendwann ein Schüler in einem Aufsatz geschrieben haben mag, die nun als Kalauer in Scherzbüchern und auf Websites mit kuriosen Zitaten weitergegeben wird. Gerade in den letzten Tagen ist aus dem kindlich-sprachlichen Missverständnis aber ein Begriffspaar geworden. Nach dem Rücktritt von Benedikt XVI. als Papst wird allerorten vom Vakuum im Vatikan gesprochen – der Stuhl Petri ist nicht besetzt. Die katholische Kirche steht nun für einige Tage, Wochen, im schlimmsten (und unwahrscheinlichsten) Fall sogar Monate ohne einen obersten Repräsentanten da.

Für eine Organisation, die so viel Macht und den gesamten Führungsanspruch auf eine einzelne Person konzentriert, ist ein solcher Fall naturgemäß ein fundamentaler Einschnitt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Rückzug von Benedikt XVI. ein freiwilliger und vorangekündigter war – in der Regel endet das Pontifikat ja erst mit dem Tod. Doch der Papst ist nicht mehr im Amt, das Vakuum ist da.

Im Vatikan läuft die Zeit der temporären Führungslosigkeit nach einem über Jahrhunderte eingespielten Prozedere ab. Es geht nun darum, so schnell wie möglich die entstandene Lücke an der Spitze wieder zu schließen. Aus der ganzen Welt sind die wahlberechtigten Kardinäle nach Rom geschwärmt und haben bereits, noch ehe der Termin für das Konklave feststeht, mit der Suche nach dem neuen Pontifex begonnen. Fast erinnert das geschäftige Treiben in Purpur an einen Bienenstock, dem die Königin abhandengekommen ist.

Derartige Vergleiche mit der Biologie sind natürlich mit Vorsicht zu genießen, schließlich funktioniert der Mensch als soziales Wesen anders als ein Insekt, bei dem das Kollektiv über dem Einzelnen steht. Und natürlich lässt sich eine Organisation wie der Vatikan in seiner Komplexität nicht hundertprozentig mit einem Bienenstock vergleichen. Und doch gibt es die eine oder andere Parallele. Denn stirbt eine Bienenkönigin, bauen die Arbeiterinnen sofort neue Königinnenwaben – es muss rasch eine neue Königin herangezogen werden, damit der Stock nicht ausstirbt. Was in diesem Fall rein biologisch begründet ist – es geht um den Fortbestand der Art –, lässt sich auch mit ein wenig Fantasie auf den Vatikan umlegen. Mit den Kardinälen in Purpur als Arbeitsbienen, die in der Sixtinischen Kapelle quasi als Königinnenwabe eine neue Führungsfigur bestimmen. Wobei es hier nicht um das biologische Überleben geht, sondern um den Fortbestand der katholischen Kirche als organisatorische Einheit.

Als symbolisch bedeutsamste Figur tritt im Vatikan nun der Camerlengo – der Kämmerer des Papstes – auf, der mit Beginn der Sedisvakanz die Amtsgeschäfte interimistisch übernommen hat. Wobei seine zentralste Aufgabe darin besteht, die Wahl des neuen Pontifex auf Schiene zu bringen. Unterstützt wird er dabei von drei zufällig ausgewählten Kardinälen, die alle drei Tage ausgewechselt werden – solange es keine neue Figur an der Spitze gibt, soll niemand zu viel Macht haben. Ganz führungslos ist der Vatikan also nicht, doch ohne einen höchsten Vertreter mit uneingeschränkter Vollmacht, wie sie nur der Papst innehat, ist er auch nicht voll handlungsfähig.


Bündelung auf eine Person. Nun mag der Vatikan als Vertreter eines jahrhundertealten Systems gelten, mag die Bündelung der Kompetenzen auf eine einzige Person anachronistisch wirken. Doch selbst in modernen republikanischen Demokratien gibt es in der Regel eine Person an der Spitze – ob sie nun uneingeschränkt herrscht, vorrangig repräsentative Aufgaben innehat oder sich irgendwo dazwischen einpendelt.

Je mehr in eine solche Figur projiziert wird, umso schlimmer ist es, wenn sie plötzlich nicht mehr da ist – oder ihre Aufgabe nicht mehr wahrnehmen kann. Man denke an das Beispiel Apple – über Jahre hinweg war das Image des Technologiekonzerns von ihrem charismatischen Führer Steve Jobs geprägt. Für viele Analysten und Kommentatoren schien es geradezu unmöglich, dass das Unternehmen ohne ihn, dem zum Teil so etwas wie papstähnliche Verehrung entgegengebracht wurde, ähnlich erfolgreich weiterbestehen könnte (siehe Artikel rechts). Dass es Apple nach wie vor gibt und es heute besser dasteht, als zu Jobs' Lebzeiten, zeigt allerdings auf, dass mit dem Abtritt der Führungsfigur nicht zwangsläufig alles zugrunde gehen muss. Dass in das Vakuum an der Spitze auch andere nachrücken können. Im Fall von Apple sorgte Jobs selbst dafür, indem er mit Tim Cook einen Nachfolger durchsetzte.

Dass der Patriarch – und ein solcher war Steve Jobs, wenn auch in modernem Gewand – schon im Vorhinein seine Nachfolge regelt und damit das Vakuum nach ihm gar nicht allzu groß werden lässt, ist aus Sicht des Unternehmens wohl der Idealfall. Oft geht der Übergang aber nicht ganz so reibungslos vonstatten. Familienbetriebe sind schon auseinandergebrochen, weil der Übergang nicht geregelt wurde – und es nach dem Abtritt der Führungsfigur einen Streit um die Nachfolge gab. Oder weil kein Nachfolger zur Verfügung stand.

Es gibt aber auch Rollen, die niemand anderer einnehmen kann. Wenn etwa Eltern sterben, lässt sich dieses ins Leben gerissene Loch nicht einfach mit jemand anderem besetzen. Für kleine Kinder mag es Pflegeeltern oder Verwandte geben. Und die Aufgaben der Väter und Mütter, etwa im elterlichen Betrieb oder in der Familie, mögen ältere Kinder übernehmen können – und dabei vielleicht auch heranreifen und über sich hinauswachsen.

Doch im Gegensatz zum Vatikan kann man in einem solchen Fall nicht einfach zusammenkommen, um einen neuen Papa (oder, was in der katholischen Kirche nicht möglich ist, eine neue Mutter) wählen. Der Schmerz mag irgendwann vorbeigehen – aber das Vakuum, das bleibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2013)

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