Es wäre ein Albtraum“, beschied Marc Ouellet im Sommer 2011 Journalisten, die ihn fragten, ob er Nachfolger von Papst Benedikt XVI. werden könnte – und ließ ein Lächeln aufblitzen. Durch seine Nähe zu Benedikt und dessen Vorgänger Johannes Paul II. wusste er um die erdrückende Verantwortung, die mit dem Papstamt verbunden ist. Natürlich habe er das nur im Scherz gesagt, erläutert er jetzt vor dem Konklave, in das er als einer der potenziellen Nachfolger Benedikts und nach Ansicht mancher Auguren gar als Favorit geht. „Ich muss bereit sein, selbst wenn ich denke, dass andere es wahrscheinlich besser machen würden“, sagt der 68-jährige Kardinal. Marc Ouellet kommt aus der Landgemeinde La Motte, 500 Kilometer nordwestlich von Montreal. Seine 91 Jahre alte Mutter Graziella und die 500 Bewohner des Dorfes sehen dem Ansturm von Medien aus aller Welt entgegen, sollte Ouellet zum Pontifex gewählt werden. Würde sich das Konklave auf ihn einigen, dann käme der nächste Papst aus einer Provinz Kanadas, die sich wie keine andere von der katholischen Kirche abgewendet hat. Das Leben der Familie von Pierre Ouellet, Direktor der Dorfschule, und seiner Frau Graziella und ihren acht Kindern wurde von der Kirche geprägt. Die Kirche Saint-Luc war der Mittelpunkt von La Motte. Hier wurde Marc Ouellet 1944 geboren, er begeisterte sich für Eishockey und die Montreal Canadiens, für Fischen und Jagd. Im Mai 1968 in La Motte zum Priester geweiht, zog es ihn in den 1970er-Jahren als Professor und Leiter von Priesterseminaren ins kolumbianische Bogotá, nach Montreal und Edmonton sowie zu Studien nach Rom. Er studierte in Innsbruck, lernte dort auch Deutsch. 1983 promovierte er in Dogmatik. 2002 wurde er Erzbischof von Québec, 2003 Kardinal. Papst Benedikt holte Ouellet 2010 als Präfekt der Kongregation für die Bischöfe und Präsident der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika nach Rom. Täglicher Rosenkranz für den Sohn. Er gilt als Intellektueller und Kosmopolit – er spricht neben Englisch, Französisch und Deutsch auch Spanisch, Portugiesisch und Italienisch, beherrscht daneben noch Latein und Hebräisch –, seine Kritiker sehen ihn als konservativen Hardliner. Als angesehener Theologe steht er dem Intellektuellen Benedikt sehr nahe. Wie früher Ratzinger sucht auch er nicht das Rampenlicht, aber er scheut nicht den Konflikt. Er sprach sich vehement gegen die Homosexuellenehe aus. Scharfe Kritik zog er sich zu, als er Abtreibung selbst nach einer Vergewaltigung der Frau ablehnte. Ouellet ist gegen die Priesterweihe für Frauen, will Frauen aber stärkere Mitwirkung in der Kirche einräumen. Er führte Kanadas Kirche auf einen klaren Kurs bei der Bewältigung von Missbrauchsskandalen, traf sich mit Missbrauchsopfern und ihren Familien. Er entschuldigte sich für Fehler der Kirche, für Rassismus auch gegenüber den Ureinwohnern, Antisemitismus und die Diskriminierung von Frauen und Homosexuellen. Mutter Graziella steht treu zu ihrer Kirche und ihrem Sohn, sie betet für ihn jeden Morgen den Rosenkranz. Marc Ouellet, 68 (Kanada) FUNKTION: Kurienkardinal in Rom BESONDERHEITEN: Studium unter anderem in Innsbruck, Fan der Montreal Canadiens KARRIERE: 2002 Erzbischof von Québec, 2003 Kardinal, 2010 Präfekt für die Kongregation der Bischöfe und Lateinamerika Text: Gerd Braune (Ottawa)>> Weiter
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