Untergetaucht: „Fatwa heißt auf gut Deutsch Morddrohung“

„Setze mein Leben aufs Spiel, damit mein Rap etwas wird“: der Iraner Shahin Najafi.
„Setze mein Leben aufs Spiel, damit mein Rap etwas wird“: der Iraner Shahin Najafi.(c) Wikipedia
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2012 geriet Rapper Shahin Najafi ins Visier islamischer Extremisten, so wie jetzt Politologe Hamed Abdel-Samad. Ein neues Buch zeigt sein Schicksal, im Gespräch mit der „Presse“ kritisiert er die deutsche Politik.

Fatwa. Kaum ein anderes arabisches Wort kennen die Österreicher oder die Deutschen so gut. Seit Ayatollah Khomeini Salman Rushdie mithilfe eines solchen islamischen Rechtsgutachtens 1989 zum Tod verurteilte, geistert das Wort durch die westliche Welt, es suggeriert Gewicht und Gefahr. Seit einigen Tagen liest man es wieder allerorten, Hamed Abdel-Samad heißt das neue Opfer. Der bekannte deutsch-ägyptische Politologe referierte in Kairo über „islamischen Faschismus“, erklärte, dass dieser im Islam selbst angelegt sei und erntete prompt den per TV verkündeten Mordaufruf des mit Ägyptens Präsident Mohammed Mursi verbündeten Salafisten-Scheichs Assem Abdel-Maged: „Es ist klar, dass Leute wie er den Islam beleidigen und den Tod verdienen.“ Nun ist der 41-Jährige untergetaucht. War es eine formelle Fatwa? „Eine offizielle Fatwa verbunden mit einem Mordaufruf“, verlautet von Abdel-Samad auf Anfrage der „Presse“.

Fatwa? Nein, Esteftah!

Islamisten lieben es jedenfalls, wenn der Westen wortverliebt von Fatwas spricht, egal, in welcher Form extremistische Geistliche die Mordlust schüren. Auch vor einem Jahr sprach alles von einer Fatwa, da ging es um den in Deutschland lebenden iranischen Rapper Shahin Najafi. „Bei mir war es ein Esteftah“, erklärt Najafi im Interview. „Eine Fatwa ist ein Urteil, das von einem Geistlichen ausgesprochen wird. Bei einem Esteftah wird der Geistliche von einer Gruppe gefragt, wie sie in einem bestimmten Fall reagieren müsse. Der Geistliche spricht ein Esteftah aus. Zum Beispiel, dass man denjenigen umbringen müsse. Im Endeffekt ist beides auf gut Deutsch eine Morddrohung.“

Mit Folgen, egal, ob Fatwa oder nicht. Ein Jahr ist es nun her, dass Shahin Najafi am eigenen Leib erfuhr, was nun Hamed Abdel-Samad durchmacht. Seit Kurzem tritt er wieder auf, versucht, ein „normales Leben“ zu führen, wie er im Gespräch mit der „Presse“ erzählt. Es war Mai 2012, als Islamisten sein Lied „Naghi“ als Beleidigung des zehnten Imams der Schiiten sahen und den Bescheid eines Großayatollahs auf ihn anwendeten, auch ein Kopfgeld wurde auf ihn ausgesetzt. Gerettet hat ihn damals, im Mai 2012, kein Politiker, sondern Deutschlands „Chef-Aufdecker“, der Journalist Günter Wallraff. Er gewährte ihm Unterschlupf, wie er bereits Salman Rushdie versteckt hatte. „Die deutsche Politik hat in meinem Fall nicht reagiert“, sagt Najafi im Interview mit der „Presse“. „Wenn sie im Fall Abdel-Samad auch nicht reagiert, werden diese Todesdrohungen nicht aufhören.“ Immerhin, nach etlichen Tagen gab es nun im Fall Abdel-Samad einen offiziellen Aufruf des deutschen Außenministers an die ägyptische Regierung.

Vor einem Jahr hatte man noch den Eindruck, dass die deutsche Regierung die Drohungen an einen in ihrem Land lebenden Exil-Iraner für eine Privatsache hält. 2004 flo Najafi hierher, nachdem er in seiner Heimat wegen seiner Kunst zu Gefängnis und 100 Peitschenhieben verurteilt worden war. „Nur ein deutscher Politiker hat mir nach dem Mordaufruf sehr geholfen (Grünen-Politiker Omid Nouripour, Anm. d. Red.)“, sagt Najafi. „Sonst erwarte ich nicht viel von der Politik.“ Auch Rushdie, der so viel Hilfe erfuhr, scheint das Schicksal des Iraners gleichgültig geblieben zu sein. „Ich habe nie etwas von ihm gehört.“

Rushdie-Retter Günther Wallraff half

Fast ein Jahr lang ist der 32-Jährige, der von seinen Auftritten lebt, nicht auf der Bühne gestanden, erst vor Kurzem hat er wieder damit begonnen. „Ich habe drei Monate lang bei Günther Wallraff gelebt, in dieser Zeit hatte ich nur zwei Kontakte: Wallraff und meinen Freund Shahryar“, erzählt er. „Am meisten hat mich Günther Wallraff beeindruckt, die Energie, mit der er Bedürftigen zur Seite steht.“ Jetzt kämen auch deutsche Zuschauer zu seinen Konzerten. „Ich beschäftige mich zurzeit mit deutscher Lyrik und werde versuchen, deutsche Lieder zu schreiben. Das ist sehr spannend für mich.“

Bis dahin kann man in einem neuen Buch seine Song- und andere Texte in deutscher Übersetzung lesen. Sie sind kraftvoll, wütend, oft wunderschön – und erschütternd hoffnungslos. In „Wenn Gott schläft“ erfährt man auch, wie der einst sehr fromme Jugendliche sich von Gott verabschiedet hat, vor allem durch die Begegnung mit der Literatur. Najafi ist ein Dichter, der es bitterernst meint mit seiner Dichtung. „Ich laber Dreck, er ist aber die Wahrheit, er ist bitter, er ist aber die Wahrheit“, singt er, oder „Ich setze mein Leben aufs Spiel, damit der Rap etwas werden kann. Alarm muss er schlagen, das ist echter Rap, darauf kommt es an, bei diesem harten Rap kommen auf zwei Freunde hundert Feinde.“ Fast immer dreht es sich um den Iran, die Schrecklichkeiten der Politik und die Verzweiflung darüber.

„Iranische Musik war nie rebellisch“

Kunst ist für Najafi „die natürlichste Form der Rebellion“. Seine Protestmusik sieht er als Bruch mit der Tradition, sie habe nichts zu tun mit den betäubenden Trauer- und Klagegesängen von früher. „Die iranische Musik war nie rebellisch“, meint er, sie sei voller Metaphern, Allegorien und Unklarheiten. Es sei Unsinn zu glauben, dass Repression aufmüpfige Kunst befördere.

Er könne nicht anders als dichten, sagt Najafi. „Wenn Gott schläft“ lässt einen hautnah spüren, wie hoch der Preis ist, den er dafür gezahlt hat und den so viele andere zahlen, die eine politisch unterdrückte Heimat verlassen. „Als ich ein Kind war, bin ich manchmal aus dem Schlaf hochgeschreckt und habe meinen Kopf auf die Brust meiner Mutter gelegt, um ihren Herzschlag zu hören“, schreibt er nach dem Tod seiner Mutter im Jänner 2013.
„Der Albtraum, dass sie nicht mehr da sein konnte, war dermaßen erschreckend, dass er mich aus dem Tiefschlaf riss. Dass ich sie nie mehr wiedersehen werde, dass ich keinen Grund mehr haben werde, im Iran anzurufen. Das Einzige, was dich sorgen und dir deinen Schlaf rauben konnte, ist also nicht mehr am Leben.“

Shahin Najafi: „Wenn Gott schläft. Mein Leben, mein Land, der Iran, meine Songs und Gedichte.“ Kiepenheuer & Witsch, 9,30 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2013)

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