Friedensrichter: Im Schatten der Justiz

Moschee
Moschee(c) Erwin Wodicka - wodicka@aon.at (Erwin Wodicka - wodicka@aon.at)
  • Drucken

Geht es um die viel zitierte Familienehre, verhindert er oft Gewalt. Yusuf Yilmaz ist ein Friedensrichter in Innsbruck und schlichtet bei Konflikten zwischen Muslimen.

Wenn Muslime aneinandergeraten, ist einer oft noch vor der Polizei da: der sogenannte Friedensrichter. Ist die Familienehre in Gefahr, schlichtet er zwischen den Parteien und verhindert oft gewalttätige Auseinandersetzungen. Angelegenheiten unter sich zu regeln, scheint in vielen türkisch und arabisch geprägten Milieus wichtiger zu sein, als die zuständigen Behörden heranzuziehen – sogar bei Straftaten. Einer dieser selbst ernannten Friedensrichter ist Yusuf Yilmaz, wenngleich ihm die Bezeichnung Friedensvermittler lieber ist. Der 53-jährige Türke ohne juristische Ausbildung lebt seit 2001 in Innsbruck, betreibt in der Innenstadt sein eigenes Restaurant. Sein Alltag besteht aber auch darin, auf Hilfe suchende Anrufe zu warten. Mehrmals im Monat schaltet er sich in Streitereien ein, vermittelt zwischen Opfer und Täter. Eskalationen werden meist vermieden, eine Bestrafung der Täter allerdings auch.
Geld verlangt er für seine Dienste nicht. „Sogar, wenn man mir welches anbietet, lehne ich es ab. Ich mache das nicht für eine irdische Gegenleistung, meine Belohnung werde ich im Jenseits bekommen“, sagt der gelernte Koch. „Die Menschen sehen in mir eine Leitfigur. Ich nehme diese Rolle sehr ernst und möchte dienen, solange ich kann.“ Ob ihn auch Nichtmuslime um Rat fragen? „Das kommt so gut wie nie vor“, so Yilmaz. „Mein Gerechtigkeitsempfinden basiert auf dem muslimischen Glauben. Wer sich von mir helfen lassen will, vertraut meinem Urteil ganz und gar. Und solche Leute sind für gewöhnlich Muslime. Zurate ziehen kann mich aber grundsätzlich jeder.“
Wie sieht denn nun eine Vermittlung durch den Friedensrichter aus? „Das ist unterschiedlich“, erzählt er. „Zu mir kommen Ehepaare, die sich scheiden lassen wollen oder noch um ihre Ehe kämpfen. Leute, die von jemandem betrogen oder verletzt wurden und ihn nicht anzeigen wollen. Familien, die eine jahrelange Fehde haben und Versöhnung anstreben.“ Im Laufe der Jahre seien einige hundert „Fälle“ zusammengekommen.

„Das kommt schleichend.“ Bereits in der Türkei habe Yilmaz als Friedensrichter „gearbeitet“. Und sich auch als solcher bezeichnet. „Das kommt schleichend“, blickt er zurück. „Erst waren es Verwandte, die mich schätzten und nach meiner Meinung fragten. Später sprach es sich herum, dass ich ein gerechtes und faires Urteilsvermögen habe, und mit den Jahren kamen immer mehr Bekannte und Fremde mit ihren Anliegen zu mir.“
Auch, als er nach Österreich kam, habe es nicht allzu lange gedauert, bis er in der muslimischen Gemeinde Tirols zu einem geachteten Mann geworden sei. „Wahrscheinlich wegen meines frommen Lebenswandels“, meint Yilmaz. „Ich führe eine vorbildliche Ehe, habe vier Kinder, lasse mir nichts zuschulden kommen. Die Menschen schätzen das, was wiederum Glaubwürdigkeit und Vertrauen schafft.“
Sanktioniert er eigentlich auch wie ein echter Richter? „Das hängt immer von der Situation ab, wenn es notwendig ist, mache ich auch das“, sagt der 53-Jährige. „Aber nur, wenn ich überzeugt davon bin, dass ich damit helfen kann.“ Einmal habe er einem jungen Mann, der sich wegen einer Geliebten von seiner Frau scheiden lassen wollte, ins Gewissen geredet, ihn beschimpft und ihm verboten, seine Geliebte zu treffen. Ihm sogar mit gesellschaftlicher Ächtung gedroht, sollte er es doch tun und seine Frau verlassen. „Es hat gewirkt, er begriff den Ernst der Lage und ließ sich nicht scheiden.“
Ein anderes Mal habe sich eine Frau an ihn gewandt, weil ihr Mann spielsüchtig gewesen sei. „Ich ging zu ihm, legte ihm einen Blankoscheck hin und wollte, dass er ihn unterschreibt.“ Er habe ihm klargemacht, dass er erst gehen darf, wenn er unterschrieben hat. Zweck dieser Maßnahme: „Er sollte verstehen, wie unsinnig es ist, um Geld zu spielen, dass eine Sucht kein Ende kennt und er sich helfen lassen muss.“ Auch dieser Mann habe seine Botschaft verstanden und sei schließlich mit professioneller Hilfe von der Spielsucht geheilt worden. Er könne noch endlos viele Beispiele aufzählen. Von Konflikten wegen Körperverletzungen beispielsweise, die er ohne Gerichtsverhandlung gelöst habe. Streitereien wegen Geld, die nach seiner Anweisung zu Ratenzahlungen beigelegt worden seien.
Dass er mit seiner Vermittlung den Rechtsstaat aushöhlt und eine Gesinnung der Selbstjustiz fördert, glaubt er nicht. „Die Konflikte werden ja friedlich aus der Welt geschafft, Leidtragende gibt es nicht. Und wenn ich einmal mit meinem Latein am Ende bin, ist der Gang zu den Behörden immer noch eine Möglichkeit.“ Außerdem gebe es auch andere Schlichtungs- und Ombudsstellen, deren Arbeit vergleichbar mit seiner sei. Auch auf die Frage, warum sich diese Menschen nicht auf den Staat verlassen, sondern sich an ihn wenden, hat er eine Antwort. „Viele, die in Europa Friedensrichter wie mich einschalten, kommen aus fremden Ländern, was natürlich eine gewisse Unsicherheit mit sich bringt und der Grund dafür ist, dass sie eine latente Skepsis gegenüber Justiz und Polizei hegen.“ Hinzu komme, dass es die Idee des Vermittelns in der muslimischen Kultur schon seit Jahrhunderten gebe – „als Zeichen einer Mentalität, in der man nicht sofort den amtlichen Weg beschreitet.“

Wenn die Opfer schweigen. Dass private Streitschlichtungen den Rechtsstaat aushöhlen, glaubt auch Hansjörg Mayr von der Staatsanwaltschaft Innsbruck nicht. „Solange die Strafverfolgungsbehörden nicht auf rechtswidrige Weise in ihrer Arbeit behindert werden und niemand durch Drohungen oder Gewalt daran gehindert wird, sich auch an die staatlichen Behörden zu wenden“, sagt Mayr. Dem Innsbrucker Staatsanwaltschaft sei bisher jedenfalls nicht bekannt, dass es durch die Tätigkeit von Friedensrichtern zu Problemen bei der Strafverfolgung gekommen ist. „Sollten im Rahmen einer privaten Streitschlichtung Sanktionen verhängt werden, wäre das nur dann unproblematisch, wenn diese von den Betroffenen freiwillig und ohne Zwang erfüllt werden würden“, so Mayr. „Denn wird dabei durch Gewalt oder gefährliche Drohung Zwang ausgeübt, würde das den Tatbestand der Nötigung erfüllen.“ Die Strafverfolgungsbehörden würden bei Straftaten jedenfalls auch gegen den Willen des Opfers aktiv werden. „Wenn aber das Opfer und alle Zeugen berechtigterweise die Aussage verweigern und auch sonst keine Beweise vorliegen, wird der Sachverhalt für uns nicht weiter aufzuklären sein.“
Wie bei einem Fall aus Berlin, wo das Phänomen der Friedensrichter besonders ausgeprägt ist. Dort verletzte ein Mann einen anderen mit einem Stück Metall am Kopf. Das Opfer erstattete Anzeige, wollte sie später aber wieder zurückziehen. Das war nicht möglich, weshalb es zu einem Prozess kam, in dem der Angeklagte angab, zum Zeitpunkt des Angriffs nicht am Tatort gewesen zu sein. Der Kläger konnte seinerseits nicht mehr erklären, wie er zu der Verletzung gekommen war. Also kam es zu einem Freispruch. Zuvor hatte ein Friedensrichter vermittelt.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Religion

Muslimische Gerichtsbarkeit: "Eigentlich hochgradig rational"

Rechtswissenschaftler Fabian Wittreck spricht über die (berechtigte) Angst von Zuwanderern, sich österreichischen Gerichten anzuvertrauen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.