Scientology: Flucht vor dem bösen Onkel

Scientology Flucht boesen Onkel
Scientology Flucht boesen Onkel(c) EPA (PAUL BUCK)
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Die Nichte des Scientology-Chefs hat ein Buch über ihre Kindheit in der Organisation geschrieben. Mit erschreckenden Erinnerungen.

Kurzfristige Verträge sind ihre Sache nicht: Wen die Scientology-Organisation „Sea Org“ an sich binden will, der unterschreibt für einen längeren Zeitraum, genauer für eine Milliarde Jahre. Und das bereits mit sieben Jahren, einem Alter, in dem amerikanische Kinder von ihren Eltern per Gesetz in den meisten Bundesstaaten nicht einmal allein zu Haus gelassen werden dürfen. Jenna Miscavige, die ihren Vertrag 1991 in sorgfältiger Schönschrift unterzeichnet hat, gehört von Geburt an zum „Adel“ der Scientologen, ihr Vater ist der Bruder des mächtigen David Miscavige, der direkt nach dem Tod des Sektengründers L. Ron Hubbard zum Herrscher über das Religionsimperium aufsteigt. In ihrem jetzt auf Deutsch erschienenen Buch „Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht“ erinnert sich die heute 29-Jährige an ihre Kindheit und gibt Einblicke in den Familienalltag innerhalb der Organisation.


Tägliche Kinderarbeit.
Familie und Kinder haben in der Religion, in der es keinen Gott und keine Gebete, dafür aber jede Menge Philosophie- und Selbsthilfe-Elemente gibt, keinen Stellenwert. Schon der Arbeitsalltag aktiver „Sea Org“-Mitarbeiter macht ein Familienleben praktisch unmöglich: Sieben 14-Stunden-Tage pro Woche gehören in der Managementorganisation der Sekte zur Regel, mit einer Stunde „Familienzeit“ pro Nacht. Bis zu ihrem vierten Lebensjahr wird Jenna allnächtlich von Mutter und Vater im sekteneigenen Hort abgeholt, danach ziehen ihre Eltern karrierebedingt in das internationale Zentrum der Organisation um, dessen Ort geheim ist, „um es vor den antisozialen Menschen zu schützen, die nicht wollen, dass Scientology den Menschen hilft“, wie die Eltern ihr erklären.

Zeit für solche Erklärungen bleibt nur mehr wenig, lediglich ein paar Stunden am Wochenende erlaubt die Organisation den Kontakt zwischen Eltern und Kindern. Und im Alter von sechs Jahren geht es für Jenna dann auf die „Ranch“, eine Art renovierungsbedürftiges Internat für die Kinder hochrangiger Mitglieder, abgelegen in der kalifornischen Wüste.

Hier unterteilt sich der Tag in zwei Bereiche: Schule und Arbeiten. Erstere ist nach den Lehren Hubbards als „chinesische Schule“ organisiert, in der außer Lesen, Schreiben und Rechnen vor allem das permanente wörtliche Wiederholen von Weisheiten – bevorzugt der des Sektengründers – praktiziert wird. Das Hinterfragen oder gar Anzweifeln des Gelehrten fällt in die Kategorie „unethisches Verhalten“ und muss auch gemeldet werden, wenn die Kinder es an Mitschülern beobachten. Diskutiert werden darf lediglich beim rhetorischen Training zum Umgang mit „Wogs“ (Nicht-Scientologen), in denen der Nachwuchs lernt, wie man Fragen ausweicht, ablenkt und den Gesprächspartner verwirrt.

Nach gelernter Lektion stehen dann Arbeiten vom Unkrautjäten bis zum Bäumepflanzen und Steineschleppen auf dem Programm. Tätigkeiten, die so schwer sind, dass die fallweise beschäftigten externen Handwerker die Erzieher darauf ansprechen, dass die Kinder körperlich völlig überfordert seien – was zur Folge hat, dass sie fortan außerhalb der Sichtweite von Externen schuften müssen.

Belangt worden ist die Sekte wegen der Kinderarbeit nie. „Ich habe keine Ahnung, wie sie damit durchgekommen sind“, wunderte sich Miscavige-Hill noch Anfang dieses Jahres bei einem TV-Interview im US-Fernsehen. Als ihre „Kadettenzeit“ auf der Ranch vorbei ist, strahlt das Anwesen jedenfalls einen deutlich höheren Wert aus als beim Einzug der Kinder sechs Jahre zuvor.

Ihre Eltern sieht sie während der Jahre auf der Ranch wenigstens noch ein paar Stunden am Wochenende, zwischen ihrem zwölften und 16. Lebensjahr gibt es zwischen ihr und ihrer Mutter dann lediglich zwei, mit ihrem Vater immerhin noch vier Begegnungen. Hin- und hergeschickt zwischen den Sektenzentren in Clearwater, Florida, und in Los Angeles, durchläuft sie das ganze Programm der Scientology-Trainings, inklusive der bekannten Methode des „Auditing“ – eine verhörähnliche Behandlung, die der Reinigung der ewigen Seele, des Thetan, dient, und den Mitgliedern (meist) gegen gutes Geld zu immer höheren Stufen der Klarheit verhelfen soll. In dieser Zeit muss der Teenager auch miterleben, wie die Ehe ihrer Eltern – die seit Jahren 3000 Meilen voneinander entfernt arbeiten müssen – fast zerbricht, und wird selbst bei ihrer ersten Liebe Opfer der extremen Kontrolle und Bestrafung für die persönlichsten Empfindungen.


Angst vor der Blamage. Trotz allem bleibt sie aber selbst dann in der Organisation, als ihre Eltern Scientology verlassen; zu groß ist die Angst, alles Vertraute zu verlieren und sich in einer öffentlichen Schule mit ihrem geringen Wissen zu blamieren. Vor allem die Willkür, der sie permanent ausgesetzt ist, macht der Heranwachsenden aber mehr und mehr zu schaffen; Wohnortwechsel und Strafbehandlungen ohne nachvollziehbare Begründung, Demütigungen und letztlich auch der Versuch, sie von ihrem heutigen Ehemann Dallas Hill zu separieren, lassen Miscavige-Hill 2005 dann die Entscheidung treffen, der Organisation unter massiven Repressalien den Rücken zu kehren und ihren Milliarden-Jahre-Vertrag zu brechen.

Heute lebt sie mit ihrem Mann und zwei Kindern in San Diego, engagiert sich in der Öffentlichkeitsarbeit gegen Scientology und unterstützt Mitglieder beim Ausstieg – wie zuletzt „King of Queens“-Star Leah Remini, die der Sekte im Juli den Rücken kehrte.

Was sagt Scientology?

Die offizielle Stellungnahme von Scientology zu dem Buch lautet: „Die Kirche wird weder zu den privaten Angelegenheiten von Miss Hill noch zu dem Versuch, den Namen von Herrn Miscavige auszubeuten, Stellung nehmen.“ Das ganze Statement findet sich auf der Website www.scientologynews.org.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2013)

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