Christenverfolgung: Wenn die Religionspolizei anklopft

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Keine Weltreligion zählt mehr Verfolgte als das Christentum. 2013 hat sich die Lage noch einmal verschlechtert. Zu Weihnachten bleibt vielen nur ein Ausweg: sich verstecken.

Wien. Heiliger Abend, irgendwo in einem Privathaus nahe Teheran: Der Christbaum ist geschmückt, um 17 Uhr soll das Weihnachtsfest mit Freunden beginnen. Doch schon um 16 Uhr klopft es an der Tür. „Kein Singen, kein Feiern“, lautet der Auftrag der ungebetenen Gäste. Dann stellen sie den Strom ab. Die Christen haben soeben Besuch von der iranischen Religionspolizei bekommen.

Woher die Männer von der Feier wussten? „Sie hören alle Telefonate von aktiven Christen ab“, sagt die heute 35-jährige Iranerin, die der „Presse“ die Weihnachtsepisode erzählt. Seit 2009 lebt die Frau in Oberösterreich. Ihren Namen will sie nicht nennen. Sie ist vom Islam zum Christentum konvertiert und damit Apostatin, also „vom Glauben abgefallen“ – nach islamischer Rechtsauffassung ein schweres Verbrechen.

In Ländern wie dem Iran, Saudiarabien oder dem Sudan kann dafür die Todesstrafe verhängt werden. Staatliche Exekutionen von Apostaten gibt es zwar kaum, aber Lynchjustiz durch religiöse Fanatiker und Verhaftungen. Artikel 18 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung, der das Recht zum Wechsel der Religion festschreibt, findet jedenfalls keine Anwendung. „Ich weiß persönlich von 100 Christen, die  einfach verschwunden sind – und keiner weiß wohin“, sagt ein iranischer Pastor, der jetzt in Linz lebt.

Verfolgung in 130 Ländern

Auch dieses Jahr werden sich am Heiligen Abend Christen zum Gottesdienst in Verstecken verkriechen, während der Weihnachtsfeier die Jalousien herunterfahren oder auf das Singen von Weihnachtsliedern verzichten, um keine Fanatiker aufzuschrecken. 100 Millionen der rund 2,2 Milliarden Christen werden weltweit verfolgt, schätzt die christliche Organisation „Open Doors“. Ein trauriger Spitzenplatz. Der Rat der Evangelischen Schule in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz sind vorsichtiger: Sie nennen in ihrem Bericht zur Christenverfolgung keine Opferzahlen. Die Religionsfreiheit von Christen würde aber in 130 Ländern mehr oder weniger stark eingeschränkt. Auf Platz zwei folgen Muslime (117 Länder).

Auch das ablaufende Jahr war kein gutes für Christen. In China habe sich ihre Situation zwar verbessert, sagt Kurt Igler von „Open Doors“. Die Zahl der Verhaftungen von Christen nehme ab. Doch das Reich der Mitte ist eine der wenigen Ausnahmen. Weltweit geht der Trend in die andere, falsche Richtung. Pakistan zum Beispiel: Im Herbst 2013 bekam die Christenverfolgung eine neue Dimension, als sich auf einem Kirchenareal in Peshawar zwei Selbstmordattentäter in die Luft sprengten: Mehr als 80 Menschen starben, es war der schlimmste Anschlag auf Christen in der Geschichte der islamischen Republik.

„Die Lage verschlechtert sich“

Die Zunahme der Verfolgung hat andernorts auch mit den Folgen des Arabischen Frühlings zu tun. Auf politischer Ebene war das lange ein Tabuthema. Mittlerweile steht es im deutschen Koalitionsvertrag: „Wir beobachten mit großer Sorge, dass die Lage der Christen und anderer religiöser und ethnischer Minderheiten in Nordafrika, dem Nahen oder Mittleren Osten nach dem Sturz der autoritären Regime sich zum Schlechteren entwickelt.“ Als das ägyptische Militärregime im August brutal gegen Muslimbrüder vorging, entlud sich die Wut fanatischer Islamisten gegen Christen. Mindestens 43 Kirchen wurden beschädigt, vier Christen getötet, wie Amnesty International dokumentiert. Es ist ein Teufelskreis: Jeder religiöser Übergriff lässt die Kopten näher zum Militärregime rücken, was nur noch mehr Anfeindungen zur Folge hat.

Gefangen zwischen den Fronten: ein Schicksal, das auch Syriens Christen teilen. 40 Prozent von ihnen sind bereits aus dem Bürgerkriegsland geflohen. Im benachbarten Irak ist seit der US-Invasion 2003 ein beispielloser Exodus im Gang: Die Zahl der Christen verkleinerte sich von 1,5 Millionen auf 300.000. In beiden Ländern müssen Christen auch als Sündenböcke herhalten – für die Politik des Westens (Irak) oder jene des Regimes (Syrien).

Konvertiten als Ziel

Christenverfolgung hat mitunter allzu weltliche Gründe: Wo Religion und Staatsführung verschränkt sind, empfinden die Anführer jede Abkehr vom Glauben als Bedrohung ihrer Macht. Alteingesessene Christen würden oftmals geduldet, wenn auch als Bürger zweiter Klasse. „Aber Konvertiten haben es  viel schwerer“, sagt Igler von „Open Doors“. Ein Jahr nach der Konversion der nun in Oberösterreich lebenden  Iranerin  wurde ihre Christengemeinde aufgelöst: „Sie haben uns alle festgenommen“, sagt die 35-Jährige. Später sei ihnen ein radikales Versammlungsverbot auferlegt worden. „Ich durfte nicht einmal meinen Bruder auf der Straße grüßen.“ Er hatte sie zum Christentum bekehrt.

Doch weder beschränkt sich die Christenverfolgung auf religiöse Staatssysteme wie den Iran, noch sind die Verfolgten ausschließlich Christen. Überall dort, wo der Staat  totalitär in jeden Winkel der Privatsphäre vordringt – ob mit religiösen oder ideologischen Vorschriften – ist kein Raum für Andersgläubige und -denkende. Im Weltverfolgungsindex von „Open Doors“ nimmt denn auch Nordkorea noch vor Saudiarabien den Spitzenplatz ein. Bis zu 70.000 Christen sollen in Straflagern inhaftiert sein, schätzt die Organisation. In der abgeschotteten Familiendiktatur hat die Verehrung einzig Staatsgründer Kim il-sung und seinen nicht minder despotischen Nachfahren zu gelten. „Wir haben aber noch immer Möglichkeiten, Bibeln ins Land zu schmuggeln“, sagt Igler. Es ist ein umstrittener missionarischer Eifer, den „Open Doors“ an den Tag legt: Denn  auf Bibelbesitz steht in Nordkorea die Todesstrafe.

„Viele beten nur noch daheim“

„Nordkorea Afrikas“: So nennt das „Christian Persecution Magazine“ Eritrea. 1200 Christen sind in dem Land am Horn von Afrika eingekerkert. Die Christenverfolgung nimmt aber auch in anderen afrikanischen Ländern dramatisch zu: In der Zentralafrikanischen Republik tobt ein religiös aufgeladener Bürgerkrieg, in dessen Sog Christen, aber auch Muslime systematisch verfolgt werden. Der Terror der Shabaab-Miliz in Somalia greift längst auch auf das christlich geprägte Nachbarland Kenia über.

Auf der anderen Seite des Kontinents hat die Boko-Haram-Sekte  in Nigeria seit Mai bereits mehr als 1200 „Ungläubige“ hingerichtet. „Viele Leute beten nur noch zu Hause, sie haben einfach zu viel Angst“, sagt der Tischler Fidelis John aus der Hauptstadt Abuja der Nachrichtenagentur DPA. Er und seine Frau werden dennoch zu Weihnachten in die Kirche gehen. Allerdings getrennt voneinander. Im schlimmsten Fall soll die fünfjährige Tochter nicht Vollwaise werden.

Buch

Christenverfolgung. Welchen Schikanen, Repressalien und welcher Willkür sind christliche Minderheiten in islamischen Ländern heute ausgesetzt? Christa Chorherr beleuchtet in ihrem neuesten Buch die Geschichte der Christenverfolgung von der islamischen Expansion im 7. Jahrhundert bis heute, zeigt historische Fakten und Hintergründe auf und fragt nach Ursache und Wirkung der aktuellen Situation. Und sie stellt auch die Frage: Wie soll, wie kann es weitergehen?

Christa Chorherr: „Im Schatten des Halbmonds“, Christenverfolgung in islamischen Ländern. 288 Seiten, Hardcover mit SU, 24,99 Euro, Styria Premium Verlag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2013)

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