Fastentücher: Nichts für Schlangenphobiker

Künstlerische Einweihung der neuen Wirkungsstätte des Kunst-Jesuiten Gustav Schörghofer mit Gabriele Rothemanns Fastentuch „Schlangenmosaik II“.
Künstlerische Einweihung der neuen Wirkungsstätte des Kunst-Jesuiten Gustav Schörghofer mit Gabriele Rothemanns Fastentuch „Schlangenmosaik II“.(c) Rothemann
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Im Stephansdom, in der Universitätskirche und erstmals auch in der Konzilsgedächtniskirche in Lainz konnten zeitgenössische Künstlerinnen heuer ungewöhnliche Interventionen zur Fasten- bzw. Osterzeit realisieren.

Fastentücher haben in Österreich eine lange Tradition, immerhin befindet sich im Gurker Dom das mit 89 Quadratmetern größte und mit 556 Jahren älteste der Welt, das noch in liturgischem Gebrauch ist (s. „Presse am Sonntag“, 9. 3.). Trotzdem wagen sich nicht oft und vor allem nicht in anregender Qualität zeitgenössische Künstler an dieses sehr spezielle Thema heran, bei dem es darum geht, den Verzicht, der nicht immer nur einer des Auges sein muss, sicht- bzw. erlebbar zu machen.

2007 etwa entschied Christian Eisenberger, sich 40 Tage lang in der Grazer Kirche St. Andrä einschließen zu lassen und auf der dortigen Orgelempore ein Eremitenleben zu probieren. Doch das war eine Ausnahme, meist entscheidet man sich doch für zumindest medial konventionellere Varianten wie etwa gerade das Stift Klosterneuburg, das sich zum 900-Jahr-Jubiläum vom Klosterneuburger Ernst Ferdinand Wondrusch ein neues Tuch mit Kreuzsymbolik in „altmeisterlicher Lasurtechnik“ gestalten ließ.

50.000 Meter weiße Seidenfäden

Eine Kreuzigung, allerdings bis zur Unkenntlichkeit zerpixelt, zeigte auch das Fastentuch, mit dem voriges Jahr der Stephansdom dank Pfarrer Toni Faber eine Reihe zeitgenössischer „Fastentücher“ startete. Fürs Jahr zwei in dieser neuen Zeitrechnung hat er die mit Kirchenräumen sattsam erfahrene (u. a. Kollegienkirche Salzburg, Neumünster Würzburg, Innsbrucker und Klagenfurter Dom) Künstlerin Elke Maier eingeladen, 1965 in Bayern geboren, in Kärnten lebend.

Sie tat, was man von ihr erwartete und spannte 50.000 Meter weiße Seidenfäden vom Kreuzrippengewölbe herab durch das Mittelschiff des Doms. Je nach Lichteinfall manifestiert sich dieses mal stärker, mal schwächer, gibt den Blick mal mehr, mal weniger nach vorn, auf das Hochaltarbild der Steinigung des hl. Stephanus, frei. Täglich ab 17 Uhr betont eine Lichtinstallation des Künstlers Stefan Knor das wie Scheinwerferstrahlenkegel Gottes herabfallende Fadengeflecht. Die Besucher werden es lieben. Weniger leicht – will es auch gar nicht – tut sich da das erste zeitgenössische Fastentuch, das der mit der Kunst in Österreich beauftragte Jesuit Gustav Schörghofer seiner neuen Pfarre in Lainz/Speising vorgesetzt hat. Was sich da hinter den Priestersitzen auf der Betonwand der Konzilsgedächtniskirche abspielt, ist nichts für Schlangenphobiker. Wobei das von der deutschen Künstlerin Gabriele Rothemann in einer Reptilienhandlung auf der Mariahilfer Straße aufgenommene Motiv durchaus ornamentalen Reiz hat (siehe Abb.). Auf jeden Fall hat es theologischen und kunsthistorischen, ist die Schlange doch ein derart ambivalent deutbares Getier, dass hier noch jede Predigt Anfang und Ende finden kann – von der Versuchung (Adam und Eva) bis zur Heilung (als eherne Schlange am Stab Moses), vom versteinernden Medusenhaupt bis zum Stab des Heilgotts Asklepius. „Es kommt auf die Dosierung an“, so Schörghofer. „Ein Glaube ohne jeden Zweifel ist flach und ohne Widerstandskraft. Glaube kann aber auch von Zweifeln zerfressen werden.“

Neben dieser symbolischen Schicht hat Rothemann, die seit 2001 auf der Angewandten die Fotografieklasse leitet, aber auch eine wahrnehmungstheoretische eingebaut, indem sie fast unmerklich mit pixelartigen, schwarz-weißen Mosaiksteinchen die Schuppenzeichnung der Schlangen unterbricht. Was der Barock-Spezialist des Wiener Kunstgeschichte-Instituts, Sebastian Schütz, so zusammenfasst: „Es geht um die rituelle Inszenierung des ewigen Widerstreites von Kunst und Natur, von Präsenz und Absenz, von Fläche und Raum, von Figuration und Abstraktion.“ Das auch noch. Unkomplex ist Schörghofers künstlerische „Einweihung“ seines neuen Wirkungskreises tatsächlich nicht. Wobei er seinen alten, die Wiener Universitätskirche in Wien 1, zumindest künstlerisch weiter betreut. Um diese neue Verbindung der beiden Pfarren und Kunstorte zu betonen, wurde Rothemann sozusagen als „Brücke“ benutzt: In der Universitätskirche verhüllt heuer wie schon in der Fastenzeit 2010 ihre großformatig gedruckte SchwarzWeiß-Fotografie „Fatsche 1“ Andrea Pozzos Hochaltarbild. Wie eine etwas unheimliche, zusätzliche Säule reiht sich ihr zur manieristischen Mumie verlängerter Hasenkadaver in die architektonische Pracht ein. Zärtlich eingehüllt wie ein Kind in der Krippe, schützend umwickelt wie ein vom Kreuz abgenommener Leichnam – hier allerdings von seinem eigenen Hasenfell. So blickt das tierische Symbol von Fruchtbarkeit und Auferstehung mit einem starren Auge auf den sich Nähernden. Heuer besser doch keinen Hasenbraten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2014)

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