Vatikan: Kirche denkt über Sex nach

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In Rom stellt man sich "ehrlich und realistisch" den Schwierigkeiten der Katholiken mit Verhütung, Scheidung und Homo-Ehe.

Rom. Im Vatikan wollten sie, wortwörtlich, „den Puls der Basis fühlen“. Ein Dreivierteljahr später haben sie nun die Ergebnisse dieses amtskirchlich bisher einzigartigen Testversuchs vorgestellt, und zwar– wie sie sagen – „in realistischer, ehrlicher Weise und ohne die Augen vor irgendeinem Problem zu verschließen, so beunruhigend und unbequem es auch sein mag“.

Unterstützt von Papst Franziskus persönlich hatte das Sekretariat der römischen Bischofssynode im Herbst einen Fragebogen an alle Kirchengliederungen der Welt geschickt, um zu erheben, wie es die Katholiken mit der Lehre zu Familienleben und Sexualmoral halten. Erbeten waren erstmals nicht nur offizielle, „im stillen Kämmerlein erstellte“ Antworten der Bischofskonferenzen, sondern auch Beiträge von Pfarreien und nichtklerikalen Gläubigen. Aus der Unmenge an Einsendungen destillierte das Sekretariat der Bischofssynode unter Kardinal Lorenzo Baldisseri nun eine knapp hundertseitige Zusammenfassung. Diese wird den Vertretern der Weltbischöfe als Arbeitsgrundlage dienen, wenn sie im Oktober sowie im Herbst 2015 zu einer zweiteiligen Beratung über „die seelsorgerlichen Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung“ zusammentreten.

Das Überraschende ist nicht, was bei der Fragebogenaktion herausgekommen ist. Dass sich die Gläubigen zum Beispiel bei der Empfängnisverhütung – ohne jedes Sündenbewusstsein – eher an eigenen Bedürfnissen orientieren als am vatikanischen Kondom- und Pillenverbot, dass sie entsprechende Moralpredigten als „Einmischung in das Intimleben des Paars und als Einschränkung der Gewissensfreiheit ablehnen“ – das festzustellen, brauchte es keine Umfrage. Neu ist, dass derlei Eigenwege der Kirchenbasis erstmals in einem vatikanischen Dokument aufgelistet sind, ohne dass gleich der Moralhammer geschwungen würde.

Die Diskussion also ist eröffnet. Nur: Ob die Lehre geändert wird, bleibt offen. Das Arbeitspapier verzeichnet ja auch getreu alle jene Eingaben, denen zufolge die Kirche ihren Gläubigen nur die Anti-Pillen-Enzyklika „Humanae Vitae“ von 1968 neu einschärfen müsste, in volksnäherer Sprache und überzeugenderer Argumentation. Und schließlich – ist das nicht ein Hinweis? – soll auch der Verfasser jener historisch umstrittenen Enzyklika, Paul VI., just am Ende der ersten Synodenperiode seliggesprochen werden. Dafür setzte sich Franziskus persönlich ein.

Heirat von Geschiedenen

Deutlicher kommt der Wunsch nach Veränderung bei einem anderen neuralgischen Thema durch: bei der Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den kirchlichen Sakramenten. Da schreibt das Arbeitspapier zwar die Lehre von der „Unmöglichkeit des Kommunionempfangs“ ohne jede abschwächende Formulierung fest, registriert aber auch etwas Neues – und die seltsam gewundene Formulierung zeigt, wie vermint dieses Gelände selbst für den Vatikan ist. „Einige Bischofskonferenzen“, heißt es, „legen den Akzent auf die Notwendigkeit, dass die Kirche sich selbst jene pastoralen Instrumente gibt, durch die sie in die Möglichkeit versetzt wird, größere Barmherzigkeit, Güte und Nachsicht im Hinblick auf die neuen Verbindungen üben zu können.“ In fast staunendem Ton resümiert das Synodensekretariat aus den Umfrageergebnissen, dass die katholische Basis praktisch nichts gegen homosexuelle Lebensgemeinschaften habe, auch wenn sich „alle Bischofskonferenzen“ gegen deren gesetzliche Ermöglichung ausgesprochen hätten. „Viele Gläubige äußern sich zugunsten einer respektvollen und nicht verurteilenden Haltung gegenüber diesen Menschen, sowie zugunsten einer Seelsorge, die sie annimmt“, so das offizielle Arbeitspapier. Dieses billigt den Katholiken an der Basis sogar ein recht eigenständiges moralisches Urteilsvermögen zu: „Dies bedeutet nicht, dass die Gläubigen für eine Gleichstellung zwischen der heterosexuellen Ehe und den gleichgeschlechtlichen Partnerschaften wären.“ Überhaupt „fordern viele Antworten eine theologische Bewertung der Homosexualität im Dialog mit den Humanwissenschaften, um eine differenziertere Sicht des Phänomens entwickeln zu können.“ Da öffnet sich den Bischöfen ein weites Feld.

Klar ist: Wenn das Papier hinsichtlich Vermittlung von Kirchenmoral „zu laxe“ und „zu unnachgiebige“ Priester gleichermaßen tadelt, geht es um ein neues Gleichgewicht nicht nur in der kirchlichen Verkündigung, sondern zwischen Konservativen und Liberalen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2014)

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