"Ich trage Schleier, weil ich mich wohl fühle"

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Es wird vor allem über sie gesprochen – aber kaum mit ihnen. Die "Presse am Sonntag" hat mit einer gebürtigen Niederösterreicherin gesprochen, die zum Islam konvertiert ist und heute in der Öffentlichkeit einen Niqab trägt.

Sie sind in der Öffentlichkeit kaum sichtbar. Und wenn doch, wird ihnen kaum zugehört. Muslimas, die ihr Gesicht voll verschleiert tragen – und über die derzeit wieder heftig diskutiert wird. Samira ist eine von ihnen. Die 28-Jährige, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, trägt einen Vollschleier mit einem Schlitz, einen Niqab. In ihrem Wohnzimmer in Wien Margareten spricht sie mit der „Presse am Sonntag“ – und erklärt, warum sie die Diskussion rund um Burka, Niqab und Co. nicht versteht. Die gebürtige Niederösterreicherin, Tochter zweier Katholiken aus Wiener Neustadt, hat sich immer schon für den Islam interessiert. In der Schule besuchte sie den Islamunterricht, später konvertierte sie. An der Burka-Debatte stört die Mutter einer Tochter vor allem eines, dass nämlich kaum jemand auf die Idee kommt, nach der Meinung der Betroffenen zu fragen. Denn anders als den verhüllten Frauen vorgeworfen wird, sieht sich Samira als frei und selbstbestimmt. Sie wünscht sich mehr Respekt.


Seit wann tragen Sie Niqab und warum?

Samira: Ich trage Niqab seit meinem Aufenthalt damals in Ägypten vor drei Jahren. Der Grund war damals einfach der: Dadurch, dass ich zum Islam konvertiert bin, habe ich eine sehr große Verbindung zu allem, was mit dem Islam zu tun hat. Ich sehe es auch als eine Art Schutz für mich selbst, eben weil das erste, worauf man achtet, das Gesicht ist. Als ich dann nach zwei Monaten Urlaub zurückgekommen bin, habe ich ihn eben in Wien weiter getragen, weil ich mich damit wohl fühle. Jeder hat seinen eigenen Willen und Geschmack, wie er seine Kleidung tragen möchte. Niqab oder Kopftuch oder keines von beiden. Jeder muss es selbst wissen, sollte aber dann auch nicht über den anderen urteilen, sondern ihn respektieren.


Wie kann der Niqab ein Schutz sein? Ist es nicht so, dass er in Österreich vielleicht mehr für Aufsehen sorgt oder provoziert?

Das kann schon sein. Aber eher deshalb, weil manche Leute hier ein Problem damit haben, jemanden zu akzeptieren, der anders ist als sie. Als Schutz sehe ich ihn deshalb, weil ich – egal ob bei Tag oder Nacht – noch nie in den Jahren, seitdem ich meinen Schleier trage, von Männern angemacht, angesprochen, sexuell belästigt oder gar angegriffen worden bin. Das ist heutzutage schon viel wert. Man muss mit seinem Niqab ein gewisses Selbstwertgefühl haben, selbstsicher sein und sich mögliche Anfeindungen nicht gefallen lassen. Man hat ein Recht, so zu leben, wie es auch die anderen tun, nämlich selbstbestimmt.


Sie wurden also noch nicht wegen des Niqabs blöd angesprochen oder belästigt?

Direkt angegriffen, sodass es zu einer großen Auseinandersetzung gekommen ist, nicht. Beim Vorbeigehen sagen die einen oder anderen irgendetwas Blödes, aber da höre ich nicht hin. Ich hatte oft schon Diskussionen und wurde gefragt, warum ich Niqab trage, aber nicht auf ungute Art. Die meisten, die etwas dagegen haben, reden oft nur beim Vorbeigehen oder schütteln den Kopf. Aber wenn sie merken, dass ich Österreicherin bin und sie verstehe, verschlägt es ihnen dann oft die Sprache. Ich habe schon sehr böse Worte gehört und Handzeichen gesehen, aber diese Menschen suchen kein Gespräch, sie wollen sich nur aufregen, andere schlechtmachen oder verletzen.


Fühlen Sie sich mit dem Gesichtsschleier in Österreich wohl?

Das ist eine schwierige Frage. Ich fühle mich mit meinem Gesichtsschleier wohl. Nur wenn man sich die islamfeindliche Situation in Österreich ansieht und eben auch einige Kommentare anhört, wird einem schnell anders ums Herz. Ich bin oft unterwegs, und die Menschen respektieren mich nicht immer. Das trifft mich oft sehr tief und macht sehr nachdenklich. Die guten Erfahrungen überwiegen aber. Ich spreche von Wien. Wie es woanders in Österreich ist, weiß ich nicht. Ich trage ja überall meinen Niqab, nur in Wiener Neustadt nicht.


Warum nicht? Was ist an Wiener Neustadt, wo Ihre Eltern leben, anders?

Das hat mehrere Gründe. In Wien ist mehr los, da falle ich vielleicht nicht so sehr auf wie in der Kleinstadt. Weiters möchte ich meine Familie nicht überfordern. Da kennt man sich. Und die Leute würden bestimmt zu meiner Mutter gehen, um über mich zu schimpfen – und nicht das Gespräch mit mir suchen. In Wiener Neustadt habe ich mit dem Kopftuch schon genug Konflikte.


Wie reagieren Menschen, mit denen Sie im Alltag zu tun haben darauf, dass Sie Ihr Gesicht nicht sehen können?

Das Traurige ist, dass die meisten es mit Radikalismus verbinden. Erst vor Kurzem hat mich eine Frau beim Einkaufen höflichst angesprochen und mich gefragt, warum ich Niqab in Österreich trage. Kurz war ich ein bisschen sprachlos, weil sie so schnell auf mich zugekommen ist, aber dann habe ich einfach gesagt, dass es jedem überlassen sein muss, wie er sich kleidet. So wie sie sich gern in Hose und Bluse kleidet, kleide ich mich gern in meinem islamischen Gewand, sei es Kopftuch oder Niqab. Leider springen dann solche Leute oft auf Unterdrückung und auf „Ausländer“. Ich verstehe nicht, warum man da so viel hineininterpretiert. Manche Menschen wollen nicht akzeptieren, dass ich Österreicherin bin. Und dass Österreicher auch anders aussehen können.


Was sagen Sie zur Forderung von Efgani Dönmez, Frauen mit Burka sollten keine Sozialleistungen erhalten?

Es gibt keine Frauen mit Burka in Österreich. Und wenn er den Niqab meint, dann finde ich die Aussage sehr respektlos. Selbst er ist sicher da und dort wegen seiner Herkunft, seines Namens bzw. Hintergrunds mit Diskriminierung konfrontiert worden. Wegen eines Stücks Stoff soziale Ungleichheiten zu verstärken, das verstehe ich nicht.


Was hätten Sie gemacht, wenn der Antrag der FPÖ, die Burka zu verbieten, umgesetzt worden wäre? Würden Sie ganz auf das Kopftuch umsteigen?

Ich trage keine Burka. Ich weiß nicht, wie sehr sie da differenzieren. Sollen sie sich doch einmal zuerst informieren, was was ist und dann Forderungen aufstellen. Wenn der Antrag rechtskräftig wird, müsste ich es natürlich akzeptieren, wenn ich weiter in Österreich leben möchte. Ich hoffe aber, dass es doch nicht dazu kommt und man sich auf die demokratischen Werte besinnt. Wir haben Religionsfreiheit, jeder Bürger ist frei. Und zwar auch frei, sich selbst zu entscheiden, was er anziehen, studieren und arbeiten will.


Sie nehmen es nicht so streng, oder? Kennen Sie auch Frauen die den Schleier nicht heruntergeben würden?

Streng ist relativ. Man muss die Situationen abwiegen können. Man sollte sich auch selbst nicht gefährden. Und wenn man als gebürtige Niederösterreicherin weiß, wie die Situation an manchen Orten aussieht, muss man abwägen. Im Islam hat das Leben Vorrang vor der Pflicht, sich zu bedecken. Ich würde mein Leben wegen des Vollschleiers nicht aufs Spiel setzen. Ich kenne aber genug Frauen, die ihn nicht ablegen würden. Nicht, weil sie strenggläubig sind, sondern weil sie es aus Prinzip ablehnen, dass sich jemand in ihr Leben einmischt.

Die Burka-Debatte

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Anfang Juli das in Frankreich geltende Burka-Verbot für rechtens erklärt. Das Verbot der Vollverschleierung stelle keine Grundrechtsverletzung dar. Das Gesetz, das seit April 2011 in Kraft ist, verbietet das Verschleiern des Gesichts in der Öffentlichkeit, bei Zuwiderhandeln gibt es eine Strafe von 150 Euro.

In Österreich entbrannte kurz darauf erneut die Burka-Debatte. Die FPÖ stellte einen Antrag, nach dem französischen Vorbild auch in Österreich ein Verbot der Vollverschleierung einzuführen. Der Antrag fand keine Mehrheit.

Der Begriff Burka ist in der aktuellen Debatte eigentlich nicht korrekt – denn das besagte Kleidungsstück mit einem Gitter vor dem Gesicht, das vor allem in Afghanistan und Pakistan verbreitet ist, gibt es hierzulande gar nicht. Einige vollverschleierte Frauen tragen hier einen Niqab – einen Schleier mit Sehschlitz. Zahlen, wie viele Frauen das tun, gibt es nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2014)

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