Job und Kirche: Wie viel Sünde ist erlaubt?

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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In Deutschland will die katholische Kirche ihr Arbeitsrecht lockern. Wiederverheiratete sollen nicht mehr automatisch gekündigt werden. In Österreich sieht man keinen Handlungsbedarf. Denn hier zeigt sich die Kirche schon flexibel.

Neun Jahre lang leitete Bernadette Knecht, die jetzt Griese heißt, den katholischen Kindergarten in Rauschendorf in Deutschland. Sie machte ihre Arbeit hervorragend. Sie war nicht nur bei den Kindern, sondern auch bei den Eltern beliebt. Trotzdem wurde sie von ihrem Arbeitgeber gekündigt. Denn die Pädagogin hatte sich von ihrem Ehemann getrennt und zog später zu ihrem neuen Lebenspartner. Damit sei sie als Kindergärtnerin untragbar, erklärte die Kirche. Denn sie erfülle ihre Vorbildfunktion nicht, hieß es. Schriftlich wurde ihr mitgeteilt: „Der Dienst in der katholischen Kirche fordert auch von einer Kindergartenleiterin, dass sie ihre persönliche Lebensführung nach der Glaubens- und Sittenlehre und den sonstigen Normen der katholischen Kirche ausrichtet.“

Doch die Eltern ließen sich das nicht gefallen. Die Kirche verlor die Trägerschaft des Kindergartens. Somit konnte Griese als Leiterin bleiben. „Ich selbst habe mich von der Institution Kirche abgewandt“, sagt sie zur „Presse am Sonntag“. Sie fühle sich nach wie vor diskriminiert. „Mir wurde ein Auftritt mit den Kindern in der Kirche und sogar im Altenheim untersagt“, so Griese. Sie sei aber nach wie vor ein sehr gläubiger Mensch.

Nach diesen und anderen Vorfällen wollen die katholischen Diözesen in Deutschland nun ihr Arbeitsrecht lockern. Künftig sollen Geschiedene, die eine neue Ehe eingehen, nicht mehr automatisch gekündigt werden. Bis November soll eine Arbeitsgruppe mit den Beratungen fertig sein. Die neuen Regeln, die noch von der Bischofskonferenz genehmigt werden müssen, sollen in Deutschland auch für kirchliche Krankenhäuser und die Caritas gelten. Doch einigen geht der Entwurf nicht weit genug. Sie sind der Ansicht, das neue Arbeitsrecht müsse auch für Lesben und Schwule gelockert werden. Denn es ist in der Vergangenheit vorgekommen, dass lesbische Kindergärtnerinnen gekündigt wurden, weil sie mit einer Frau zusammenlebten. Dies sei eine „schwerwiegende Loyalitätspflichtverletzung im Sinne der kirchlichen Grundordnung“, erklärte etwa die Diözese Augsburg.


Wichtiger Arbeitgeber. Ob Kindergärtnerin, Krankenschwester oder Altenpfleger: Die Kirchen sind in Deutschland mit 1,3 Millionen Mitarbeitern nach der öffentlichen Hand der zweitgrößte Arbeitgeber. In Österreich arbeiten für die katholische Kirche rund 60.000 hauptamtlich angestellte Mitarbeiter. Priester und Ordensmitglieder sind hier inkludiert. Allein die Caritas hat 13.000 Beschäftigte. Müssen sich alle Mitarbeiter an die katholische Morallehre halten? Werden Wiederverheiratete akzeptiert?

Laut Brigitte Schinkele, Honorarprofessorin vom Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht an der Universität Wien, gibt es bei Kirchen und kirchlichen Einrichtungen einen sogenannten „Tendenzschutz“. Das bedeute, dass das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen auch im Arbeitsverfassungsgesetz seinen Niederschlag gefunden habe.

Demnach können Kirchen und kirchliche Institutionen von ihren Angestellten verlangen, dass bestimmte Grundprinzipien eingehalten werden. Dies werde auch beim Einstellungsgespräch zum Thema gemacht. In der Regel gibt es laut Schinkele in kirchlichen Betrieben eine Dienstordnung. Darin könne beispielsweise gefordert werden, dass die Angestellten ein bestimmtes Menschenbild mittragen. Grobe Verstöße gegen die Glaubens- und Sittenlehre können dienstrechtliche Konsequenzen haben. „Hier besteht in der praktischen Handhabung eine gewisse Offenheit in Abstellung auf den konkreten Einzelfall“, sagt Schinkele. Dabei sei grundsätzlich die Tätigkeit des jeweiligen Mitarbeiters zu berücksichtigen. In einem kirchlichen Spital etwa werde bei einer Oberärztin ein anderer Maßstab angelegt als bei einer Reinigungskraft.

Doch wie sieht die Praxis konkret aus? Die „Presse am Sonntag“ hat sich in Österreich bei kirchlichen Einrichtungen umgehört. „Ja, wir sind gesetzlich betrachtet ein sogenannter Tendenzbetrieb. Demnach wäre es möglich, bei schwerwiegenden Verstößen gegen die kirchliche Lehre auch zu kündigen“, sagt Bernd Wachter, Generalsekretär der Caritas Österreich. Ihm seien aber in der gelebten Praxis keine Fälle bekannt. Als Hilfsorganisation stehe bei der Caritas der Mensch im Mittelpunkt. „Wenn jemand geschieden ist, ist das ohnehin schwierig genug. Da braucht es keine zusätzlichen Steine im Weg“, so Wachter. Man frage bei der Einstellung nicht, ob man beispielsweise schon einmal verheiratet war. „Wir suchen primär gute Mitarbeiter und keine Engel.“


Muslimische Mitarbeiter. Von den 13.000 Beschäftigten der Caritas sind über 5600 im Bereich „Betreuung und Pflege“ tätig. „Hier haben wir auch muslimische Mitarbeiter mit professionellen Ausbildungen“, sagt Wachter. Die muslimischen Mitarbeiterinnen könnten auch ein Kopftuch tragen, wenn sie es wollten. „Auch hier sind mir keine problematischen Diskussionen geläufig.“ Wichtig sei, dass die Mitarbeiter die Werte und das Menschenbild der Caritas mittragen würden.

In Deutschland ist die Lage anders. Dort wies vor Kurzem ein Gericht die Klage einer Muslimin ab. Diese hatte in einem evangelischen Spital, das kein Kopftuch duldet, gearbeitet.

Nach Ansicht des deutschen Gerichts seien Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen zumindest zu neutralem Verhalten verpflichtet. Der Anwalt des Spitals erklärte, man erwarte nicht, dass sich die Mitarbeiter zum christlichen Glauben bekennen: „Sie dürften sich aber nicht offen zu einem anderen Glauben bekennen.“


Menschlicher Umgang. Nicht nur für Geschiedene und Wiederverheiratete ist es wichtig, dass die katholische Kirche einen neuen und menschlichen Umgang mit dem Scheitern findet.

In der Erzdiözese Wien heißt es dazu: Es gibt „keinen Kündigungsautomatismus“. Wenn sich Angestellte im pastoralen Dienst (meist geht es um Pastoralassistenten und Religionslehrer) scheiden lassen, habe dies keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen.

Wenn jene Mitarbeiter wieder heiraten, „so werden sie in anderen, nicht-pastoralen Bereichen eingesetzt. In den meisten Fällen suchen sie von sich aus das Gespräch, um eine gemeinsame Lösung zu finden“, so die Erzdiözese Wien. In anderen, zum Beispiel administrativen Arbeitsfeldern, könne die persönliche Lebensform ein Thema für ein Mitarbeitergespräch sein, habe aber in der Regel keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen.

Ähnliches ist von anderen Diözesen zu hören. Das bedeutet konkret: In nicht-pastoralen Bereichen werden Wiederverheiratete meist akzeptiert. Anders ist die Situation für Religionslehrer, denn für sie gilt die sogenannte „Missio canonica“. Damit werden die Religionslehrer für ermächtigt erklärt, am Verkündigungsdienst mitzuwirken.

Auch wenn Religionslehrer vom Staat bezahlt werden, entscheidet allein die Kirche, ob und in welchen Fällen die „Missio canonica“ entzogen wird. „Das ist grundsätzlich eine innere Angelegenheit der Kirchen, dem Staat steht in organisatorischer und schuldisziplinärer Hinsicht ein Aufsichtsrecht zu“, sagt Schinkele von der Universität Wien. In der Rahmenordnung für Religionslehrer der katholischen Diözesen in Österreich heißt es: „Mit der Missio canonica übernehmen die Religionslehrer die Verpflichtung, den Unterricht in Übereinstimmung mit dem Glauben und der Lehre der Kirche und gemäß den Religionsunterricht betreffenden kirchlichen Vorschriften zu erteilen und ihr Leben am Evangelium zu orientieren.“

Ob Wiederverheirateten die „Missio“ entzogen wird, entscheidet der Bischof. In den Diözesen gibt es aber eigene „Missio“-Beiräte, welche die Fälle konkret prüfen und dem Bischof eine Empfehlung abgeben.

Die Entscheidungen fallen laut „Presse“-Informationen individuell aus: Es gibt Fälle, in denen wiederverheiratete Religionslehrer ihre Tätigkeit weiterhin ausüben können. Es kam aber auch vor, dass beispielsweise schwule Religionslehrer anonym angeschwärzt wurden. Ihnen wurde dann erklärt, dass sie die „Missio“ behalten dürfen, solange sie ihre Beziehung geheim hielten. Bei einer eingetragenen Partnerschaft wird ihnen aber die Lehrerlaubnis entzogen.

In den evangelischen Kirchen gibt es viele dieser Probleme nicht. „Bei uns können wiederverheiratete Religionslehrer ihren Job behalten“, sagt Pfarrer Thomas Dasek, Sprecher der evangelischen Kirchen. Eine Sondersituation besteht aber für evangelischen Pfarrer und Pfarrerinnen. Im evangelischen Kirchenrecht heißt es: „Entsteht in der Ehe eines geistlichen Amtsträgers eine ehegefährdende Krise oder ist die eheliche Lebensgemeinschaft seit mehr als einem halben Jahr aufgehoben“, so sei dies dem zuständigen Superintendenten oder Bischof zu melden.

Dieser soll beide Ehepartner unverzüglich „zu einem seelsorgerlichen Gespräch“ einladen. Im Falle einer Scheidung entscheidet der evangelische Oberkirchenrat, ob der Pfarrer die Stelle behalten kann.

Zahlen:

60.000angestellte Mitarbeiter hat die katholische Kirche in Österreich. Priester und Ordensmitglieder sind hier inkludiert. Von den 60.000 arbeiten 13.000 für die Caritas. Die katholische Kirche ist damit einer der größten Arbeitgeber in Österreich.

8300Angestellte gibt es in den evangelischen Kirchen. Davon sind 7500 in der Diakonie beschäftigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2014)

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