Vatikan: Seligsprechung des "Pillenpapstes"

kreuz und quer '1968 und die Sehnsucht nach dem Himmel auf Erden'
kreuz und quer '1968 und die Sehnsucht nach dem Himmel auf Erden'ORF
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Papst Paul VI. ist für sein kompromissloses Verbot der Empfängnisverhütung in Erinnerung geblieben. Der Rest seines Werkes ist vergessen. Am Sonntag wird er seliggesprochen.

Rom. Als einen Akt der „Wiedergutmachung für einen, den wir verkannt haben“, beschreibt der Mainzer Kardinal Karl Lehmann das, was sich am morgigen Sonntag auf dem Petersplatz in Rom abspielen wird. Papst Franziskus spricht einen seiner umstrittensten Amtsvorgänger selig: Paul VI., der von 1963 bis 1978 im Amt war.

Paul VI., Giovanni Battista Montini mit bürgerlichem Namen, hat die wohl berühmteste Enzyklika der Kirchengeschichte verfasst. Wissend, dass sich „verstärkt durch die modernen Medien zu viele Gegenstimmen gegen die Kirche erheben werden“, verbot er in „Humanae vitae“ kompromisslos alle „künstlichen“ Mittel zur Empfängnisverhütung. Es war eine Entscheidung, deren Einsamkeit der Papst selbst als schwere Last empfand: „Solche Fragen hat die Kirche seit Jahrhunderten nicht lösen müssen. Aber sagen müssen wir ja etwas.“

„Humanae vitae“ erschien 1968. Die gesellschaftlichen Unruhen jenes Epochenjahres erfüllten den vorsichtigen, schüchternen Mann zunehmend mit Misstrauen. Er selbst hatte ja auch die Kirche mitten in dieses Gebrause hineingesteuert, indem er das von Johannes XXIII. begonnene Zweite Vatikanische Konzil (1962–65) vollendete und dessen Reformbeschlüsse absegnete – was Unruhe auslöste zwischen „Linken“ und „Basisgemeinschaften“ auf der einen Seite, denen alles nicht weit genug gehen konnte, und den Traditionalisten um Marcel Lefebvre, die 2000 Jahre Glaubensgeschichte verraten sahen. Paul VI. navigierte durch, aber seine Zweifel wuchsen. Noch 1975, immer mehr zurückgezogen und unter der Last seines Amtes leidend, führte er der Kirche in seiner letzten Enzyklika das „grundlegende Problem“ vor Augen: Hat das Konzil überhaupt etwas gebracht? „Ist die Kirche fähiger geworden, das Evangelium in das Herz des Menschen einzusenken?“

Was ihn persönlich betraf, so hatte der Kirchenjurist und ausgebildete Vatikan-Diplomat keinerlei Probleme, „modern“ zu werden. Paul VI. beseitigte das alte vatikanisch-byzantinische Hofzeremoniell, verkaufte die traditionelle dreifache Papstkrone zu Gunsten der Armen. Er war der erste Papst, der eine (Weihnachts-)Messe in einem Stahlwerk feierte, um den Arbeitern nahe zu sein. Er war der Erste, der ein Flugzeug bestieg und alle fünf Kontinente bereiste. Seine selbst für die 2400 so weltoffenen Konzilsbischöfe überraschende Reise ins Heilige Land und die Umarmung dort mit dem Patriarchen Athenagoras half, die gegenseitigen Bannsprüche zwischen katholischer und orthodoxer Kirche nach mehr als neun Jahrhunderten aufzuheben.

Alle Macht den Armen

1965 flog Paul VI. zu den Vereinten Nationen nach New York. Das war seine Welt. Bei Christdemokraten stand er unter verschärftem Linksverdacht, weil er gegen die Anhäufung von Privateigentum wetterte, „so lange anderen das Notwendigste fehlt“, und weil er „Enteignungen zu Gunsten des Gemeinwohls“, zu Gunsten der „unzähligen Scharen von Armen“ durchaus für notwendig erklärte. Und von den UN erwartete Paul VI., sie werden das politisch Notwendige durchsetzen, um die „schreienden Unterschiede“ zwischen reichen und armen Völkern zu beseitigen.

„Entwicklung ist der neue Name für Frieden“, schrieb Paul VI. in seiner stärksten Enzyklika, in „Populorum progressio“. Sie ist sozialpolitisch noch radikaler als alles, was Papst Franziskus als „Papst der Armen“ bisher gesagt hat. Aber „Populorum progressio“ hatte einen Geburtsfehler: Sie erschien 1967, ein Jahr vor „Humanae vitae“ – und wurde von dieser so stark überdeckt, dass sie nicht gehört worden ist. Von „umgesetzt“ gar nicht zu reden. Zumindest das hat „Populorum progressio“ mit „Humanae vitae“ gemeinsam.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2014)

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