EGMR entscheidet: Österreich diskriminiert Zeugen Jehovas

(c) EPA (Manuel H. de Leon)
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Straßburg gibt den Zeugen Jehovas Recht. Und sieht Verstöße gegen die Menschen-rechts-Konvention.

WIEN. Die österreichischen Behörden verletzen die in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschriebene Religionsfreiheit. Zu diesem Urteil kommt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Gleichzeitig sieht der Gerichtshof in Straßburg auch eine Verletzung des Diskriminierungsverbots im österreichischen Religionsrecht.

Die Zeugen Jehovas hatten (gemeinsam mit einer Freikirche) vor dem EGMR geklagt. Sie sehen sich durch die Gesetzeslage benachteiligt. Eine Argumentation, der sich auch die Richter in Straßburg anschlossen. Zum einen stößt sich der Gerichtshof daran, dass für eine Anerkennung eine gewisse Mitgliederzahl notwendig ist (sie liegt derzeit bei etwa 16.000 Menschen), zum anderen sei die Frist, die für eine Anerkennung notwendig ist, zu starr. Demnach muss eine Religionsgemeinschaft mindestens 20 Jahre bestehen, davon zehn Jahre als religiöse Bekenntnisgemeinschaft. Und auch beim Recht auf ein faires Verfahren habe Österreich seine Pflichten nicht erfüllt, so die Richter.

„Viele Bedenken, die schon länger in der Wissenschaft bestanden haben, sind durch dieses Urteil bestätigt worden“, sagt Religionsrechtler Herbert Kalb von der Uni Linz. Das Urteil sei jedenfalls ein deutliches Signal, „dass das Zentrum des Religionsrechts, nämlich das Anerkennungsrecht, in der Tat problematisch ist“. Die bisher geübte Praxis des Nichtanerkennens, so Kalb, werde in irgendeiner Art geändert werden müssen. Österreich sei jedenfalls verpflichtet, das EGMR-Urteil umzusetzen.

Im für Religionsfragen zuständigen Kultusamt im Bildungsministerium gibt man sich abwartend: „Erst müssen wir das schriftlich ausgefolgte Urteil komplett lesen“, sagt Leiter Oliver Henhapel zur „Presse“. Und auch danach werde man noch einige Zeit brauchen, um alle Konsequenzen durchzudenken. Eine erste direkte Konsequenz ist die Verpflichtung der Republik, 10.000 Euro Schadenersatz an die Zeugen Jehovas zu bezahlen und die Verfahrenskosten in Höhe von 42.000 Euro zu tragen.

Chancen für andere Religionen?

Für Jehovas Zeugen, die sich durch das Urteil bestätigt sehen, sind die Konsequenzen hingegen gering – für sie ist es eher eine späte Genugtuung. Denn seit Anfang Juli läuft im Kultusamt bereits ein Verfahren auf staatliche Anerkennung. Spätestens Anfang 2009, so hofft man, soll es die volle Anerkennung geben. Richtungsweisend ist das Urteil vielmehr für alle anderen nicht anerkannten Religionsgemeinschaften – darunter etwa Hindus oder Baptisten. Denn abgesehen von den Aleviten, die sich bald als eigene Gemeinschaft konstituieren wollen, hat keine Gemeinschaft die erforderliche Anzahl von Mitgliedern, die für eine staatliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft notwendig wären. Auch mit dem 20-jährigen Bestand können viele nicht aufwarten. Je nachdem, wie die Republik auf das Urteil des EGMR reagiert, könnten sich für sie neue Möglichkeiten auftun, staatlich anerkannt zu werden.

Und neue Munition für dieses Vorhaben könnte schon bald vorliegen: Religionsrechtler Kalb erwartet, dass dieses Urteil nicht das letzte in der Angelegenheit sein wird. Denn in Straßburg seien noch einige weitere Klagen anhängig, zu denen sich der Gerichtshof noch äußern müsse.

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