„Gay Genes“, Kultur und Hormone im Mutterleib

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Manche konservativen christlichen Gruppen wie „Wüstenstrom“ wollen Homosexuelle „heilen“. Was kann die Wissenschaft dazu sagen?

Homosexualität sei „heilbar“, dafür gebe es „genügend Beispiele“, sagte der neue Linzer Weihbischof Gerhard Maria Wagner. Der Feldkircher Bischof Elmar Fischer pflichtete ihm zunächst bei und verschärfte den Ton noch: Er verglich Homosexualität mit anderen „psychischen Erkrankungen“ wie Alkoholismus. Fischer hat diese Aussagen am Donnerstag zurückgenommen: „Ich ging von einem offenkundig nicht mehr letztaktuellen Stand der Literatur aus.“

Tatsächlich führt die Weltgesundheitsorganisation WHO die Homosexualität seit 1992 nicht mehr in ihrer Liste der Krankheiten („ICD“), und auch der Mainstream der Psychotherapie lehnt eine solche Wertung ab. Schon Sigmund Freud – der noch von „Inversion“ sprach und sie eine „Abweichung der sexuellen Funktionen, hervorgerufen durch eine gewisse Stockung der sexuellen Entwicklung“ nannte – plädierte dagegen, Homosexuelle als Kranke zu behandeln; einer Hilfe suchenden Mutter versicherte er, dass auch Homosexuelle zu „Harmonie, Seelenfrieden und voller Leistungsfähigkeit“ gelangen können.

Das ist kein Widerspruch dazu, dass manche Homosexuelle unter ihrer sexuellen Orientierung leiden können, was die American Psychiatric Association „ich-dystone Homosexualität“ nennt. Nur diese wolle sie „heilen“, versichert etwa die von deutschen Evangelikalen geprägte Organisation „Wüstenstrom“, ein Ableger der US-amerikanischen „Desert Stream Ministries“, deren Gründer Andy Comiskey, selbst ein „bekehrter“ Homosexueller, eine schlichte Theorie der Homosexualität vertrat: Sie entstehe durch eine gebrochene Beziehung zu Jesus Christus.

Aber auch Sprecher von „Wüstenstrom“ nennen Homosexualität nicht eine Krankheit, sondern „Symptom einer Störung“. Gründer Georg Baum hat „Wüstenstrom“ indessen verlassen – und sich dafür entschieden, sich zu seiner Homosexualität als Christ zu bekennen: Er gründete den Verein „Zwischenraum“, der homosexuelle Christen dabei unterstützen will, mit ihrer sexuellen Orientierung zu leben. Solche Vereine zählt man zur „Ex-Ex-Gay-Bewegung“: „Ex-Homosexuelle“ also, die ihre Konversion öffentlich widerrufen.

Wie entsteht Homosexualität überhaupt? Wie jede komplexe Charaktereigenschaft – von Musikalität bis Aggressivität – ist die sexuelle Ausrichtung zu einem Teil genetisch geprägt, Schätzungen bewegen sich von 30 bis 70 Prozent. Dazu kommen aber Umweltfaktoren wie Erziehung und kulturelles Umfeld: Anders wäre ja kaum erklärbar, dass in manchen Kulturen (z.B. im alten Griechenland) Homosexualität häufiger praktiziert wurde und wird als in anderen. Wichtig sind auch pränatale, vor allem hormonelle Einflüsse im Mutterleib. Die Suche nach einem „Gay Gene“, einer Gen-Variante, die eindeutig zu Homosexualität prädestiniert, blieb jedenfalls bis heute erfolglos.

Auch bei Gen-Varianten, die es nur ein wenig wahrscheinlicher machen, dass ihr Träger homosexuell wird, fragt sich freilich: Müssen sie nicht langfristig seltener werden, da Homosexuelle weniger Nachkommen haben? Die heute von den meisten Biologen vertretene Antwort: Solche Gen-Varianten wirken sich nur in manchen Kombinationen in reiner Homosexualität aus, in anderen steigern sie sogar den „Fortpflanzungserfolg“. Ein prominentes Beispiel könnte Thomas Mann sein: Obwohl er zeitlebens von jungen Männern erotisch fasziniert war, führte er eine stabile Ehe und zeugte sechs Kinder. Von „Heilung“ seiner Neigungen hätte er wohl dennoch nichts wissen wollen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2009)

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