Papst "betete" Richtung Mekka

Pope Francis listens to Rahmi Yaran Mufti of Istanbul during visit to the Sultan Ahmet mosque, popularly known as the Blue Mosque, in Istanbul
Pope Francis listens to Rahmi Yaran Mufti of Istanbul during visit to the Sultan Ahmet mosque, popularly known as the Blue Mosque, in IstanbulREUTERS
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Franziskus meditierte oder betete sogar, je nach Auslegung, in der Blauen Moschee Istanbuls, zu Beginn seines Kurzbesuchs in der Türkei. Die Geste kam bei den Türken gut an.

Die Hände vor dem Bauch gefaltet, die Augen geschlossen, den Kopf gesenkt – in dieser Haltung hat Papst Franziskus am Samstag in der Blauen Moschee von Istanbul die Herzen der Türken erobert. Auch wenn Vatikan-Vertreter erklärten, in einem muslimischen Gotteshaus sei ein Gebet für den Papst nicht möglich: Für die Türken war das etwa dreiminütige Innehalten von Franziskus in der Moschee eine enorme Geste des Respekts gegenüber dem Islam. „Möge Allah das Gebet erhören“, sagte der Istanbuler Mufti Rahmi Yaran, der den Papst in der Blauen Moschee begleitete.

Franziskus und Yaran wandten sich bei ihrer Andacht der Gebetsnische in der Moschee zu, die nach Mekka weis– die Symbolhaftigkeit der Geste des 77-jährigen Papstes war also nicht zu übersehen. Laut Vatikan verharrte er in einem „Moment der stillen Bewunderung Gottes“. Vor acht Jahren hatte Franziskus' deutscher Vorgänger Benedikt XVI. mit einer ähnlichen Meditation in der Blauen Moschee Schlagzeilen gemacht. Allerdings hatte Benedikt die Hände übereinandergelegt und nicht zum Gebet gefaltet, wie das bei Franziskus jetzt der Fall war. Für die Türken stand also fest – „der Papst betet in der Moschee“, wie der Istanbuler Nachrichtensender NTV meldete.

Bei seiner ersten Besichtigung einer Moschee als Papst hörte Franziskus den für ihn übersetzten Erläuterungen des Mufti aufmerksam zu. Ihm war die Anspannung anzumerken: Das Oberhaupt der katholischen Kirche war sich bewusst, dass diese Momente über Erfolg oder Misserfolg seiner Türkei-Reise entscheiden könnten; die Kamera das türkischen Staatsfernsehens zeichnete jede kleine Gesichtsregung auf und übertrug die Szenen live.

2006 konnte Benedikt mit seinem Auftritt in der Blauen Moschee einen Teil des Schadens gutmachen, den er zuvor mit Bemerkungen über die Nähe von Islam und Gewalt in der Regensburger Rede angerichtet hatte. Bei Franziskus rundeten die Minuten der inneren Einkehr in der Moschee das positive Bild ab, das sich die Türken vom neuen Papst aus Argentinien gemacht hatten. Beim anschließenden Besuch in der benachbarten Hagia Sophia, der in ein Museum umgewandelten ehemaligen Reichskirche der Byzantiner, verzichtete der Papst dagegen auf jede Geste, die als Gebet hätte ausgelegt werden können – das hätte die türkischen Gastgeber sehr verärgert.

Grauer Renault statt Panzerwagen. Nach der ursprünglichen Planung hätte der Papst erst die Hagia Sophia und dann die Moschee besuchen sollen, doch die Reihenfolge war am Vorabend getauscht worden. Als Franziskus nach etwa 15 Minuten Besichtigung aus der Hagia Sophia trat, wurde auch klar, warum: Von der nahen Blauen Moschee schallte der Ruf des Muezzins zum Mittagsgebet herüber. Ein späterer Besuch in der Moschee wäre also mit den islamischen Gebetszeiten kollidiert. Doch der Papst war flexibel.

Auch die Bescheidenheit des Pontifex kam gut an. In Istanbul verschmähte Franziskus erneut die bereitgestellte Luxuslimousine und stieg stattdessen in einen silbergrauen Renault Symbol ein, der neben den riesigen schwarzen Fahrzeugen der Sicherheitsleute wirkte wie eine Konservendose. „Sie werden nicht glauben, welchen Wagen er sich ausgesucht hat“, meldete die Onlineausgabe der Zeitung „Hürriyet“ in einer Mischung aus Verblüffung und Hochachtung. Schon an seinem ersten Besuchstag am Freitag hatte sich der Papst für ein relativ unauffälliges Auto entschieden.

Die türkische Führung zeigte sich ebenfalls beeindruckt. Ibrahim Kalin, ein enger Berater von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, lobte in einem Beitrag für die regierungsnahe englischsprachige Zeitung „Daily Sabah“ am Samstag die Ernsthaftigkeit des Papstes bei den Bemühungen um eine Verständigung zwischen Christen und Muslimen. Franziskus gehe bei diesen Bestrebungen weit über diplomatische Nettigkeiten hinaus, schrieb Kalin.

Bei der Bevölkerung weckte der Papstbesuch indes wenig Neugier. Anders als bei anderen Auslandsbesuchen des Pontifex gab es in Istanbul keinen großen Menschenauflauf. Vor Hagia Sophia und Blauer Moschee fanden sich hinter den Absperrgittern der Polizei nur einige hundert Schaulustige ein, auf dem Weg des Papst-Konvois vom Flughafen in die Innenstadt waren die Straßen wie leer gefegt – keine jubelnden Massen am Straßenrand.

Wiedervereinigung mit Orthodoxie? Für den Papst bildeten die Besuche in den Gotteshäusern den Anfang des Schwerpunkts seines Türkei-Besuchs. Im orthodoxen Patriarchat am Goldenen Horn will er bis zu seiner Heimreise heute, Sonntag, über die Überwindung der tausendjährigen Kirchenspaltung reden. Der orthodoxe Patriarch Bartholomäus I., Chef von 300 Millionen orthodoxen Christen, und Franziskus als Herr über 1,2 Milliarden Katholiken treiben dieses ehrgeizige Projekt voran. Bartholomäus nahm 2013 an der Amtseinführung des Papstes teil, als erster orthodoxer Patriarch. Seither haben einander die zwei Kirchenführer, die sich gegenseitig als „Bruder“ anreden, mehrfach getroffen. Heute wollen sie eine Erklärung zur Wiedervereinigung der Kirchen unterzeichnen.

Bartholomäus plant bereits ein gemeinsames Treffen von Katholiken und Orthodoxen für das kommende Jahrzehnt. Es soll im türkischen İznik bei Istanbul stattfinden, dem antiken Nicäa: Dort tagten im Jahr 325 die Kirchenfürsten unter Kaiser Konstantin zum ersten der sogenannten ökumenischen Konzile, bei denen wichtige Glaubenssätze des Christentums festgeschrieben wurden. So wurzelt das noch heute übliche christliche Glaubensbekenntnis im Konzil von Nicäa.

Einer Wiedervereinigung der Kirchen stehen jedoch riesige Probleme im Weg. So ist die Frage ungeklärt, ob der Papst nach einem Ende der Spaltung von allen Christen als Oberhaupt anerkannt wird. Zudem gibt es im orthodoxen Lager Streit um die Stellung von Bartholomäus als Chef der Weltorthodoxie. Vor allem die russisch-orthodoxe Kirche meldet hier Ansprüche an.

Islamisten wittern Christenkomplott. Auch in der Türkei sind die Bestrebungen von Papst und Patriarch nicht überall gern gesehen. Die islamistische Presse etwa wittert ein Komplott der Christen. Sie kritisierte vor dem Papstbesuch, Zweck der Visite sei es, das orthodoxe Patriarchat am Goldenen Horn zu einem Kirchenstaat und einer Art zweitem Vatikan zu machen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2014)

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