Des Papstes Ungeduld, seine Worte des Zorns und der Zärtlichkeit

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Das waren sie also, die zweiten Weihnachten von Franziskus - mit sehr deutlichen Signalen und Botschaften.

Vatikanstadt. Die Freunde des Esperanto sind nicht mehr da. Jahrelang haben sie ihre grün-gelben Transparente hochgehalten, wenn ein Papst der hunderttausendköpfigen Menge auf dem Petersplatz den großen Segen „Urbi et Orbi“ spendete und dazu seine Weihnachts- oder Osterwünsche in allen möglichen Sprachen. Auf deren 65 ist Benedikt XVI. bei seinem letzten „Urbi et Orbi“ vor zwei Jahren gekommen, Mongolisch war dabei und Samoanisch und Maori – und natürlich Esperanto. Nur Franziskus, der hat all das gestrichen.

Sprachen liegen ihm nicht, große Zeremonien – so mürrisch, wie er dabei immer aussieht – sind ihm zuwider. Und die Freunde des Esperanto haben eingepackt, da ist nichts mehr zu holen. Bei seinem ersten Weihnachtsfest vor einem Jahr hatte Franziskus wenigstens noch einen eigenen Gruß für die Römer und die Italiener übrig. Diesmal lässt er sogar diesen ausfallen, und ins protokollarische Vakuum gellt nur irgendein soldatischer Befehl: War's der Kommandant der Schweizergarde in ihren blinkenden stählernen Harnischen? Oder jener der italienischen Heeresverbände, die da gemeinsam angetreten sind, dem Oberhaupt der katholischen Kirche und des Vatikanstaats die überkommenen militärischen Ehren zu erweisen? Mit klingendem Spiel und Nationalhymnen natürlich. Mit gezückten Degen und Gewehren natürlich auch.

Zu „fröhlichen Weihnachten“ ist dem Papst dieses Jahr nicht zumute. Und auch sein Wunsch „Buon pranzo – gutes Mittagessen!“, mit dem er sonst die Besucher seines allsonntäglichen Gebets entlässt, bleibt aus. Franziskus hat harte Worte gesprochen diesmal, und die will er offenbar nicht unter Zucker verschütten. Franziskus macht einen ungeduldigen Eindruck an diesem Weihnachtsfest; ihm, der von seinem ersten Tag als Papst an gegen das Stehenbleiben gepredigt hat, geht alles noch immer nicht schnell genug.

Den versammelten Exzellenzen und Eminenzen der Kurie unter ihren violetten oder scharlachroten Scheitelkäppchen hat er den Spiegel in einer Weise vorgehalten, wie es noch kein Papst beim traditionellen „Austausch der Weihnachtswünsche“ getan hat. „Die fünfzehn Krankheiten der Kurie“ hat Franziskus angeprangert – vom „geistlichen Alzheimer“, von der Raffgier, der Eitelkeit, der Speichelleckerei und dem Konkurrenzdenken bis hin zur Humorlosigkeit, jener „Krankheit des Begräbnisgesichts“. Aber Franziskus ist kein Populist. Der wohlfeilen Versuchung, seine einfachen Schäfchen gegen jene in der Kurie aufzuhetzen, gibt er nicht nach. Für ihn, sagt er ausdrücklich, ist die „Kurie ein kleines Modell der Kirche“. Und schon sind wieder alle gemeint beim Aufruf zur großen Gewissenserforschung.

„Ich umarme euch“

Er selbst auch. Als bei der Christmette jüngst, in der scheinwerfergleißenden Helle des Petersdoms, das rituelle Schuldbekenntnis dran ist, beugt Franziskus den Kopf so tief nach vorn, dass sein Gesicht nicht mehr zu sehen ist und nur mehr das weiße Käppchen leuchtet. Die Kardinäle im Halbkreis vor ihm tragen golddurchwirkte Messgewänder und von Goldfäden durchzogene, elegante, hochgeschnittene Mitren. Franziskus braucht kein Gold. Will er auch nicht. Er trägt einfaches Weiß, wie immer. Und womöglich wäre er lieber auch ganz woanders. Wie damals, als er noch Erzbischof von Buenos Aires war und – so erzählte er neulich in einem Interview – den Hinterbliebenen diverser Flugzeug- oder Eisenbahnunglücke direkte menschliche Nähe zeigen konnte, so hat Franziskus in den vergangenen Monaten gleich mehrfach bekundet, dass er gern zu den Vertriebenen fahren würde, in die Lager von Kurdistan, der Türkei, des Irak.

Man hat ihm abgeraten, ihn ferngehalten, ihn – „um die Sicherheitslage nicht weiter zu verschlimmern“ – geradezu angefleht, nicht hinzufahren. Ist ja nicht, sagten sie ihm, wie Lampedusa, wo selbst ein Papst im Juli vergangenen Jahres einfach so hinfliegen konnte: Minimalprotokoll, aber starkes Zeugnis. So konnte Franziskus nur einen Brief in den Nahen Osten schicken. Und er hat in ein irakisches Lager telefoniert, an Heiligabend noch, kurz vor der Christmette. Wenigstens das: „Ich umarme euch, ich bin euch sehr nahe mit ganzem Herzen. Denkt daran: Ihr seid wie Jesus, der musste auch nach Ägypten fliehen, um sich zu retten.“

Als er dann zur Mette in den Petersdom einzieht, an den gut fünftausend Gottesdienstbesuchern und einem Meer an unentwegt klickenden Fotoapparaten, Tablets und Handys vorbei, da fällt so manchem erst auf, wie klein Franziskus eigentlich ist. Stämmig ist er auf jeden Fall, er geht – wenn auch sichtlich hüftgeschädigt – mit festem Schritt. Das Knien hält er vor Schmerzen kaum aus, aber außer den „Beschwerden, die sich halt in meinem Alter so bemerkbar machen“, sagt er selbst, „bin ich in der Hand Gottes und kann einen mehr oder weniger guten Arbeitsrhythmus aufrechterhalten.“ Aber wie lang noch?

Als sie ihn im Sommer gefragt haben – kein Papst hat so viele Interviews gegeben wie Franziskus, keiner so viele Filter weggeräumt zwischen Amt und Menschen –, wie er damit umgehe: früher nur kleiner Bischof am Ende der Welt, heute von immenser Popularität, da sagte er: „Ich halte das aus, indem ich Gott dafür danke, dass sein Volk glücklich ist. Innerlich denke ich an meine Sünden und an meine Fehler, um nicht Illusionen zum Opfer zu fallen. Ich weiß ja auch, dass das alles nicht lang dauern wird: zwei, drei Jahre, und dann heim ins Haus des Vaters.“

Bis dahin aber: voran ohne Verzug. Widerstände in der Kurie gegen seine Organisations- und Finanzreform? Gegen diesen „viel Rauch und wenig Braten“, wie sie im Italienischen sagen? Widerstände unter den Bischöfen, die behaupten, Franziskus zerstöre mit seiner offenen Diskussion über Ehe- und Familienmoral und womöglich mit deren Änderung die geheiligte, immer gültige katholische Lehre? „Nein, besorgt bin ich gar nicht“, sagt er: „Es wäre nicht normal, wenn es keine Meinungsverschiedenheiten gäbe.“ Und „ich glaube, dass Gott gut zu mir ist. Er gibt mir eine gesunde Dosis an Unbedarftheit. Ich tue einfach, was ich tun muss.“

Am Christtag, zum „Urbi et Orbi“, hat Franziskus eigens den deutschen Kardinal Gerhard Ludwig Müller zu sich auf die Loggia des Petersdoms gebeten. Der Zweimetermann an der Spitze der römischen Glaubensbehörde stand da zwar mit recht verkniffenem Gesicht neben dem Papst; vor der Familiensynode im Oktober hatte er zu jenen fünf prominenten Theologen gehörte, die mit einem extra herausgegebenen Buch öffentlich gegen Franziskus‘ Öffnungskurs wetterten. Aber jetzt zum Weihnachtsfest stand Müller da, der oberste Glaubenswächter Seite an Seite mit dem Papst. Ein Zeichen.

Vatikandiplomatie: Kuba, China...

Ein anderer stand da oben nicht, von ihm hätte man's eher erwartet. Aber dieser andere steht für Sachen, die Franziskus lieber im Stillen erledigt, wenn auch mit mindestens genauso starkem Engagement. Es fehlte Pietro Parolin, der Leiter des Staatssekretariats, erster Mann im Kurienapparat, vor allem aber: Chefdiplomat des Papstes in einer vor Krisen brennenden Zeit, die Franziskus schon als „Dritten Weltkrieg in einzelnen Folgen“ beschreibt.

Erst vor ein paar Tagen hat der ebenso unauffällige wie effiziente Kardinalstaatssekretär einen gewaltigen Erfolg für die Vatikandiplomatie eingefahren: Für die diskreten Vermittlungsdienste bei der Annäherung zwischen Kuba und den USA ist der Papst weltweit gelobt worden, nicht nur von Barack Obama persönlich. Aber an der Spitze des vatikanischen Kompetenzzentrums stand Kardinal Parolin, der demnächst 60-Jährige aus dem Veneto, Sohn eines Eisenwarenhändlers und einer Grundschullehrerin.

Parolins Vorgänger, Kardinal Tarcisio Bertone, kam aus Ratzingers Glaubenskongregation, Parolin kommt aus der vatikanischen Diplomatenschule. Das ändert den Blick auf und den Zugang zur Welt. Bertone war in Genua und in Rom, Parolin in Nigeria, Mexiko, Venezuela. Und 17 Jahre im „Außenministerium“ an der Kurie, in der ihn seine Mitarbeiter als Chef sehr mögen.

Und für Parolin gibt's ja nicht nur Kuba. Als Franziskus im August, auf dem Heimweg von seiner Korea-Reise, als erster Papst aus Peking die Erlaubnis bekam, chinesischen Luftraum zu überfliegen, stürzten sich alle Medien auf ihn: Gibt's Fortschritte in der vatikanisch-chinesischen Diplomatie? Annäherungen im Streit um die verfolgte Untergrund- und die politisch anerkannte Kirche dort, nach Jahrzehnten fruchtloser Verhandlungen?

Als der Dalai Lama vor ein paar Tagen zufällig in Rom zu Gast war und nicht beim Papst vorgelassen wurde – „ich weiß, mancherorts verursacht mein Auftauchen Probleme“, sagte er lächelnd – da kamen die Medien wieder: Stehen Vatikan und Peking vielleicht vor dem entscheidenden Durchbruch? Na ja, antwortete Parolin: „Positive Phase, aussichtsreiche Perpektiven.“ War das viel? War das wenig?

Klar, Syrien, der Irak, Kurdistan. Der Vatikan hat – wie in Kuba – dort keine politischen Interessen außer dem Schutz der christlichen und anderen religiösen Minderheiten in jener – so Franziskus – „Ökumene des Blutes“, die alle Opfer des sogenannten Islamischen Staates dort verbindet. Parolin versucht, den Papst und sich selbst als neutralen Vermittler im Spiel zu halten. Aber mit wem reden? Immerhin hat die al-Azhar-Universität in Kairo, die höchste Instanz des sunnitischen Islam, jetzt auf Druck des Vatikans hin alle religiös motivierte Gewalt gegen Nichtmuslime verurteilt. Ist das viel? Ist das wenig?

Und dann der europäische Konflikt schlechthin, der um die Ukraine, um die Krim, in dem der Vatikan selbst mit drinhängt, beschuldigt – vonseiten Moskaus, des Putin-freundlichen, orthodoxen Patriarchats in diesem Fall – durch Abwerbung ukrainischer Gläubiger den westlichen Nationalismus in das „geheiligte Vaterland“ des russisch-orthodoxen Glaubens zu tragen. Das spaltete auch Parolins Staatssekretariat und er wurde sehr leise: Unbestritten, Putins Überfall auf die Krim war ein Problem. Aber vielen im Haus Parolin hat Wladimir Putin bis dahin als starker Garant christlich-moralischer Werte gegolten, und erst jetzt wieder, vor einer Woche, hat der „Osservatore Romano“ als offizielle Zeitung des Vatikans, in genau diesem Sinn einen heftigen Angriff des Moskauer Patriarchen Kyrill abgedruckt: „Es liegt klar vor Augen, dass die westliche Zivilisation, die zeitgenössische westliche Kultur jede Verbindung zur Religion verloren haben und man den Westen nicht mehr als christliche Welt bezeichnen kann.“

Im Vatikan, der die westliche Gesellschaft auf der Schiene von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. als „Kultur des Todes“ zu betrachten gelernt hat, und der erst unter Franziskus lernt, nur das Nötigste zu verdammen – „diese Wirtschaft tötet!“ –, und bei anderen Dingen genauer auf die Lebenswirklichkeit zu schauen, denken nicht wenige wie der Moskauer Patriarch. Aber was hat das für politische Folgen im „Kapitel Europa“ des Dritten Weltkriegs?

Dafür hat die Welt zu Weihnachten auch einen Papst gesehen, der so gar nicht zu seinen scharfen Tönen passt. Die Welt möge sich „streicheln lassen“, hat er gepredigt, von der „Zärtlichkeit“ eines Gottes, der Menschenkind geworden sei. Und am Ende der Christmette nahm Franziskus das hölzerne Jesuskind in seine Arme und trug es wie einen Säugling durch den Petersdom. Das tat er ohne Worte, dafür aber in der einzigen Sprache, die weltweit ohne Übersetzung und kulturelle Filter verstanden wird: in der Sprache der Gestik. In ihr ist Franziskus zu Hause.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2014)

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