Scientology: Die vom anderen Stern

(c) AP (Jan Bauer)
  • Drucken

Die Organisation Scientology verspricht eine bessere Welt – aber nur, solange man die Vorgaben des Gründers L. Ron Hubbard treu befolgt. Das Einzige, was die Mitglieder der weltweit agierenden Glaubens-Vereinigung antreibe, sei die Gier nach Macht und Geld, meinen die Kritiker.

Sollten Tom Cruise oder John Travolta je in die Verlegenheit kommen, bei einem Wien-Besuch spirituellen Beistand zu benötigen, würden sie ihre Limousinen dorthin bringen: in die Wiener Akaziengasse. Eingeklemmt zwischen einem Reifenhändler und einem Tischlereibetrieb betreibt die umstrittene Organisation Scientology in einem gesichtslosen Backsteinbau ihr „Celebrity Center“. Von Glitzer und Glamour ist in der Industriezone am Südrand der Hauptstadt wenig zu bemerken. Während in Hollywood Scientology in einem Schlösschen à la Disney residiert, Berlin einen Glaspalast im gutbürgerlichen Charlottenburg bekommen hat und der Londoner Promi-Treff ums Eck vom Hyde Park ist, umgibt das Wiener „Celebrity Center“ der „Scientology Kirche Österreichs“ die Trostlosigkeit des Gewerbegebiets.

Im Zentrum herrscht gute Laune. Dezente Kaufhausmusik tönt aus den Lautsprechern. Auf einem Regal reihen sich in Folie verpackte Bücher mit grellen Einbänden. „Das sind die 17 grundlegenden Bände von Religionsstifter Hubbard“, erklärt Scientology-Sprecherin Angelika Thonauer. „Hier steht alles drinnen, was man als Scientologe wissen muss.“ Und am Ende des Korridors zeigt die Werbekauffrau, die seit 16 Jahren Scientology-Mitglied ist, das Herzstück des Hauses her: Hinter der roten Kordel ist ein Schreibtisch aufgebaut, über dem das Foto von L. Ron Hubbard wacht. Jedes Scientology-Zentrum weltweit hat so einen Klon des Hubbardschen Büros eingerichtet.


Geheimnisvolle Aura. Lafayette Ron Hubbard, 1911 in Nebraska geboren, hat sich die Grundsätze der Glaubensgemeinschaft ausgedacht, die sich mit einer geheimnisvollen, verschwörerischen Aura umgibt. Der Science-Fiction-Autor interessierte sich für Okkultismus und für bewusstseinsverändernde Techniken, trat einer satanistischen Sekte bei und sprach schließlich auf Tonbänder seine Theorien zur Verbesserung der Welt. 1954 legte er mit der „Church of Scientology of California“ den Grundstein für sein Imperium.

Was Hubbard anstrebte, klingt simpel: eine bessere Gesellschaft in einer besseren Welt. Kompliziert wird es bei der Umsetzung: Das unsterbliche Thetan, quasi die Seele des Menschen, muss von schlechten Einflüssen gereinigt werden. Zur Erlangung der spirituellen Erlösung klettert man die „Brücke zur Freiheit“ empor, bei der es sich um ein straff aufgebautes System an Kursen handelt, in Scientology-Sprache „Auditings“ genannt.

Allwissendes E-Meter. So weit, so gut. Bevor man aber man mit Kommunikationskursen und Persönlichkeitstests anfangen kann, heißt es einmal ab in die Sauna, um Giftstoffe aus dem Körper zu schwitzen. Erst wenn die Biochemie stimmt, gehen die Kurse los. In Frontalsitzungen arbeitet sich der Neuling mit einem erfahrenen Scientologen die „Brücke zur Freiheit“ empor. Belastende Erlebnisse, die im „reaktiven Verstand“ verborgen sind, sollen in das Bewusstsein des „aktiven Verstandes“ geschaufelt werden. Wissenschaftlichen Anstrich bekommen die Sitzungen durch den Einsatz des „E-Meters“, des allwissenden Messgeräts, an das zwei dosenförmige Elektroden angeschlossen sind. Sobald der Zeiger des Geräts ausschlägt, hat man heikles Terrain betreten. Es gilt, nachzuhaken und Probleme aus dem Weg zu räumen. Die erste Etappe auf dem Weg zum scientologischen Übermenschen ist das „Clear“. Was sich in den höchsten Kursstufen als „operierendes Thetan“ (OT) so abspielt, bleibt Scientology-Geheimnis. Tom Cruise könnte man fragen, theoretisch, er gilt als OT7 (von 9).

Säuberung. So weit klingt alles harmlos. Ist es aber nicht, sagt Wilfried Handl. Der Wiener war 28 Jahre lang bei Scientology, zuletzt ein hohes Tier. „Da wird einem versprochen, dass man unsterblich und ein Übermensch wird“, erklärt er. Doch davon, dass man unter Druck gesetzt, angebrüllt und Psychoterror ausgesetzt werde, „erzählt einem an der Rezeption natürlich keiner“. Als Gehirnwäsche bezeichnet er Scientology heute. „Da geht es nur ums Geld und um die Macht“, sagt der 54-Jährige. Die Absolvierung der Kurse koste viel Geld. Handl hat, bis er 2002 der Organisation den Rücken kehrte, rund 140.000 Euro bei Scientology gelassen.

„Die Leute werden mental programmiert. Irgendwann sind die kritischen Gedanken so eingelullt, dass man nichts mehr hinterfragt“, erklärt die Hamburger Scientology-Expertin Ursula Caberta. Sie leitet seit der Gründung 1992 die Arbeitsgruppe Scientology in der Hamburger Innenbehörde. Was Scientology anstrebe, sei die Schaffung von Menschen nach Hubbardschen Grundsätzen. „Es geht um das Heranzüchten einer neuen Elite, die alle Rechte hat. Der Rest der Menschen ist Abfall“, sagt die 59-Jährige.

Die deutsche Regierung ist schon längst auf Scientology aufmerksam geworden: Seit mehr als zehn Jahren beobachtet der Verfassungsschutz die Organisation und regt immer wieder ein Verbot an. „Scientology ist klar verfassungsfeindlich und strebt eine scientologische Gesellschaft an. Würde sich diese politisch durchsetzen, könnten wir uns von den Elementen unserer freiheitlichen Verfassung verabschieden“, erklärt Caberta. „Bei Scientology gibt es keine Meinungsfreiheit und keine Pressefreiheit.“

Was Scientology unter Ausdehnung des Einflussbereiches versteht, zeigt ein Video einer internen Versammlung: Tom Cruise ruft seinen Gesinnungsgenossen in aufgepeitschter Stimmung zu: „Sollen wir die Welt säubern?“ – „Ja“, schreit die Menge. Und tatsächlich: Die generalstabsmäßige Expansion im deutschsprachigen Raum geht von der Berliner Zentrale in der Otto-Suhr-Allee aus, sagen Experten. Ein Büro in der Rue de la Loi mitten im EU-Viertel Brüssels knöpft sich die einzelnen EU-Institutionen vor. Unterorganisation wie Narconon oder Criminon kümmern sich um Drogenprävention oder Kriminalitätsbekämpfung. Durch ein Netz an Privatfirmen, die sich der Ethik L. Ron Hubbards verschrieben haben, wird die Einflusssphäre ausgebaut. „Leistungsorientiert und sehr amerikanisch“, sagt Aussteiger Handl dazu.

Xenu & Co. Glauben Scientologen an die fantastische Science-Fiction-Geschichte von Xenu, der die Thetane aus dem Paradies vertrieb und so den Grundstein der Gemeinschaft legte? Vor 75 Millionen Jahren beherrschte der böse Xenu eine galaktische Konföderation. Seine Gegner ließ er kidnappen, in einem Raumschiff auf die Erde bringen und in die Luft sprengen. Dabei wurden die Thetane so nachhaltig gestört, dass sie auch heute noch immer auf der Suche nach ihrer Ursprünglichkeit sind. Kann man an solche Fantastereien glauben? „Gewisse Dinge sollten nicht vorweggenommen werden“, sagt Scientologin Thonauer. Solche Mythen sollten nicht überbewertet werden, manches erfährt man erst, wenn man so weit ist. „Vieles wird erst später logisch.“

Moderne Kreuzritter. In den USA steht man dem „Kreuzzug für eine bessere Welt“ (Scientology-Eigendefinition) gelassen gegenüber: Dort ist die Glaubensgemeinschaft längst hoffähig und steuerbefreit, und – nicht zuletzt dank prominenter Hilfe – in den obersten Etagen angekommen. Und alljährlich rügen die USA Österreich: Der Menschenrechtsbericht prangert die Diskriminierung von nicht anerkannten religiösen Gruppierungen wie Scientology an. In Österreich bleibt die „Scientology Kirche“ ein Verein mit der Registerzahl 028678946. Die Mitgliederzahl liegt – je nach Sichtweise – in Österreich bei 600 oder 6000 und weltweit bei 100.000 oder 10 Millionen Menschen. In zahlreichen europäischen Staaten ist Scientology in das Register der zugelassenen Religionsgemeinschaften eingetragen. „Scientology wurde als Religion anerkannt“, feiern die einen. „In ein Register eingetragen zu sein macht noch keine Religion“, meinen die anderen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.