Bolivien: Der Papst im Höhenrausch

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Papst Franziskus wird auf seiner Bolivien-Visite frenetisch empfangen. Als Zeremonienmeister und Reiseleiter hat sich Präsident Evo Morales angeboten.

Ihm reichte allein Gottes Hilfe. Das Sauerstoffgerät, das für den Notfall bereitstand, war nicht vonnöten, als Papst Franziskus auf dem Flugplatz in El Alto ankam. Weil der Papst seit seiner Jugend nur einen funktionsfähigen Lungenflügel besitzt, hatten er selbst wie auch seine bolivianischen Gastgeber Sorge, der „soroche“ könnte sich seiner bemächtigen. So heißt in Bolivien die Höhenkrankheit. Aber der Papst blieb verschont und konnte nach seiner Ankunft aus Ecuador die Gläubigen grüßen auf diesem Dach der Welt, das sich binnen zweier Jahrzehnte vom Notquartier zur höchstgelegenen Millionenstadt der Welt ausgewachsen hat – weitläufig, eiskalt und immer noch sehr arm.

An Orte wie diese drängt es diesen Papst. Und die Gläubigen, die viele Stunden unter der brutalen Höhensonne ausgeharrt hatten, vergalten ihm seine Nähe mit einem stimmungsvollen Empfang. „Freund Francisco, Bolivien ist mit dir“, riefen die Pilger, in großer Mehrheit Nachkommen der Ureinwohner. Viele Frauen trugen die traditionellen bunten Trachten, andine Musik ertönte aus Flöten, Charrangos und Schlagwerk. Und in der Ferne lieferte die strahlende Gletscherkuppe des Cerro Illimani eine Kulisse, die auch gesunden Menschen den Atem rauben könnte. Auch wenn Franziskus schon drei Besuchstage in Ecuador absolviert hatte – die Landung auf diesem Hochplateau war die endgültige Heimkehr für diesen ersten lateinamerikanischen Papst.

Als Zeremonienmeister und Reiseleiter dieser Apostolischen Visite hat sich Boliviens Präsident, Evo Morales, angeboten, der den Gast herzlich umarmte. Franziskus dankte: „Bolivien vollzieht große Schritte, um erhebliche Teile der Bevölkerung in das wirtschaftliche, soziale und politische Leben dieses Landes einzubeziehen.“

Evo Morales war beglückt über das Hochamt. Im eigenen Land musste er sich zuletzt kritisieren lassen wegen des ständig wachsenden Drucks auf unabhängige Medien und seines Vorhabens, die Beschränkung auf zwei Amtszeiten aus der eigenen Verfassung zu tilgen. Am Dienstag in Ecuador hatte der Papst die Präsidenten gemahnt „Repression, überbordende Kontrolle und Verlust von Freiheiten“ mögen bitte „schmerzliche Erinnerungen bleiben“. Doch in La Paz wollte er sich nicht zurückhalten mit seiner Begeisterung, dass hier endlich jene historische Diskriminierung der Ureinwohner beendet wurde, mit der Kolonialherren und weiße Eliten – stets im Einklang mit der katholischen Amtskirche – über Anden und Amazonasbecken herrschten. „Wie schön sind Länder, die dieses krankhafte Misstrauen besiegen und die unterschiedliche Menschen integrieren und die aus dieser Integration einen neuen Faktor der Entwicklung machen“, freute sich der Papst und „El Evo“ strahlte.

Papst als Fürsprecher Morales'

Morales hatte vor sechs Jahren die katholische Kirche als „lebendes Symbol des europäischen Kolonialismus“ gegeißelt, das aus Bolivien „verschwinden“ müsse. Doch nun, gereift im Amt, bezeichnet sich „El Evo“, der längst auch Sojapflanzern und Rinderbaronen pragmatisch gegenübertritt, als „Gläubigen der Kirche Franziskus'“. Dahinter steckt, abgesehen von aller persönlichen Sympathie auch politisches Kalkül. Seit seinem Rom-Besuch Anfang des Jahres hat Morales einen wichtigen Verbündeten in der Frage, die Boliviens Politiker umtreibt wie keine andere – dem Zugang zum Meer. Der Papst hat Morales versichert, er werde sich in Chile – einem der katholischsten Länder des Erdkreises – dafür starkmachen, dass Bolivien seinen im Salpeterkrieg 1879 verlorenen Zugang zum Meer wieder zurückbekommt. Der Konflikt liegt beim internationalen Schiedsgericht in Den Haag. Für den Papst, der schon die Entspannung zwischen Kuba und den USA einfädelte, wäre die Lösung dieses Dauerkonfliktes ein zweiter Eintrag in die Weltgeschichtsbücher.

Am Donnerstag besuchte Franziskus die tief gelegene Boomtown Santa Cruz, wo er trotz Smogs besser Luft bekommt. Im Lauf des Donnerstags traf er geistliche und weltliche Würdenträger und las eine Messe vor einer riesigen Menschenmenge. Am Freitagmorgen besucht er einen der wahrscheinlich fürchterlichsten Orte seines Heimatkontinents: das Gefängnis Palmasola. Dort müssen 5300 Gefangene unter kaum vorstellbaren Bedingungen hausen. Selbst wenn Journalisten nicht zugelassen sind, ist davon auszugehen, dass dieser Besuch jene Signalwirkung entfalten wird, die diesem Papst so wichtig ist. Immer wieder fordert Franziskus von seiner Kirche, sie solle an die Peripherie der Gesellschaft gehen. Palmasola ist der Rand der Ränder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2015)

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