Hilfsbereitschaft: Wenn die gute Tat böses Blut macht

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Prominente und einfache Bürger helfen Flüchtlingen, tun es öffentlich kund – und ernten Kritik, auch von Gleichgesinnten. Hinter dieser Skepsis stehen die Religion und offene Fragen der Ethik. Aber heute ist sie fehl am Platz.

Ein Rüpel ist er und ein Held. Til Schweiger, der deutsche Schauspieler und Regisseur, will und wird ein „Vorzeige-Flüchtlingsheim“ eröffnen. Nicht still und heimlich, sondern unter Trommelwirbel, samt Pöbeleien gegen Poster und Politiker. Aber der wortreiche Schweiger steht nicht allein da. Sein Fall ist typisch: Menschen setzen sich für Flüchtlinge ein und tun das öffentlich kund, um ein Zeichen gegen Fremdenhass zu setzen. Sie berichten aus Traiskirchen oder inszenieren Lichtermeere. Damit ernten sie auch unter Gleichgesinnten Skepsis. Ein Reflex: Er macht das doch nur, um noch bekannter zu werden. Sie macht das doch nur, um sich in ihrer Vortrefflichkeit zu sonnen. Die zur Schau gestellte Güte ist uns suspekt. Zu Recht?

Bei den Fremdenfeinden liegen die Dinge klar. Ihr Credo hat Jean-Marie Le Pen, der Gründer des Front National, so formuliert: „Ich ziehe meine Töchter meinen Cousinen vor, die Cousinen den Nachbarn, die Nachbarn den Unbekannten und diese meinen Feinden.“ Auch wenn die Allianz ungewollt ist: So ähnlich sehen es Evolutionsforscher, die nur den biologischen Altruismus eines „egoistischen Gens“ gelten lassen. Für Rechtsextreme ist selbstlose Hilfe gegenüber Wildfremden ein Skandalon. Sie passt nicht in ihr Weltbild, muss mit Heuchelei und verkapptem Eigennutz hinwegerklärt werden.

„. . . dass ihr nicht gebt vor den Leuten!“

Freilich: Es gibt auch den falschen Altruismus. Dazu muss man gar nicht den so dumpfen wie stumpfen Kampfbegriff vom „Gutmenschen“ bemühen. Es genügt ein Blick auf Charity-Veranstaltungen, bei denen am Ende, nach Abzug der Kosten für Lachsbrötchen und Sekt, nur ein paar hundert Euro übrig bleiben. Oder auf Laborversuche listiger Verhaltensforscher, die uns zeigen, wie sich Menschen ihr Moralkonto durch den Kauf von Fairtrade-Kaffee auffüllen und sich hernach so „gut“ fühlen, dass sie sich unbeschwert Bosheiten leisten. Aber für einen Generalverdacht gegen das ostentativ Gute muss es doch tiefere Gründe geben.

Wir finden sie in der Religion. Das Christentum ist von Anfang an in einer heiklen Diskrepanz gestanden: Der Mensch soll seinen Nächsten lieben, aber letztlich doch nur, um sich Schätze im Himmel zu sammeln. „Der Altruismus im Diesseits ist zugleich Egoismus im Jenseits“, wie der Philosoph Nicolai Hartmann schonungslos schrieb.

Um diese moralische Klippe zu umschiffen, darf der Gläubige auf Erden gar nicht auf den Gedanken kommen, zu den Auserwählten zu zählen. Jesus predigt die tätige Güte als blindes Handeln: „Lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut.“ Sie schafft im Geheimen: „Habt acht auf eure Almosen, dass ihr die nicht gebt vor den Leuten, dass ihr [nicht] gesehen werdet!“ So erklärt sich für Hannah Arendt der „tiefe Widerwillen des frühen Christentums gegen die Sachen der Öffentlichkeit“. Die streitbare Kämpferin für alles Politische sieht darin eine „ruinöse Qualität der tätigen Güte“. Doch auch die Eremiten und Heiligen, die der Schrift gemäß die Welt fliehen und nur vor den Augen Gottes moralisch sind, entkommen der Öffentlichkeit nicht – zumindest als postume Vorbilder.

Über sie hat der Atheist Sartre den Stab gebrochen: „Wenn Gott stirbt, ist der Heilige nur noch ein Egoist: Wem außer ihm selbst nützt es, dass er eine schöne Seele hat?“ Die Maxime der Revolte lautet: „Dem Durstigen zu trinken geben“ nicht, um gut zu sein, „sondern um den Durst zu beseitigten“. Die Sittlichkeit „muss Wahl der Welt sein, nicht Wahl ihrer selbst“. Doch auch eine Ethik ohne religiösen Bezug kann die Bande der Tradition nicht so leicht abstreifen. Noch in der aufgeklärten Philosophie Kants gilt nur jene Tat als gut, die „aus bloßer Achtung vor dem Sittengesetz“ erfolgt. Wer den formalen Imperativ mit konkreten Werten und Tugenden füllt, dem springt die Paradoxie ins Auge: Setzt sich der Hilfsbereite den Zweck, hilfsbereit zu sein? Nein, er will die Not der Flüchtlinge lindern. Das ist das schlichte Phänomen, und so ist es zu fassen: Sittliche Qualitäten erscheinen „auf dem Rücken der Handlung“, wie Max Scheler sagt, nicht in deren Zielrichtung. Wer Gutes tut, geht in seinem Handeln auf, bespiegelt nicht sich selbst.

Bleibt die Frage, ob dieses sittlich Gute tatsächlich existiert. Experimentalpsychologen haben lang getüftelt und dann verblüfft festgestellt: Es gibt ihn doch, den selbstlosen Altruismus! Aber fühlt sich der Barmherzige nicht wunderbar wohl bei dem, was er tut? Ist das nicht sein wahres Motiv? Wem diese bohrende Skepsis bleibt, sei an den erfrischenden Pragmatismus von Matthieu Ricard verwiesen. Der buddhistische Mönch und Meditationsprofi lässt die Freude an der guten Tat lächelnd gelten – aber nur als Begleiterscheinung. Denn „eine Voraussetzung, dass der Altruismus Ihnen diese innere Wärme, diese Freude gibt, ist, dass Sie nicht danach gestrebt haben – sonst wäre es Egoismus“. Es ist wie beim Glück, das einen überfällt, wenn man ganz andere Ziele verfolgt, und das man immer verfehlt, wenn man es sucht.

Wie aber steht es nun um jene, die in der Flüchtlingskrise vor den Augen von Millionen Gutes tun? Unter normalen Umständen mag das ein Indiz dafür sein, dass ein falscher Altruismus sie antreibt. Aber die Frage stellt sich hier nicht. Denn nicht sie sind es, die als erste den öffentlichen Raum betreten haben. Es waren die Fremdenfeinde, die auf den Straßen grölen, Asylantenheime anzünden und sich so in die Hauptnachrichten drängen. Die öffentlich böse Tat ist nur mit der öffentlich guten Tat wirksam zu kontern.
Womit wir wieder bei Hannah Arendt wären. Sie, die sich oft genug zwischen alle Stühle gesetzt hat, wusste genau, worin das „Wagnis der Öffentlichkeit“ besteht: Wer vor den Augen aller handelt und sein Wort erhebt, gibt damit mehr von sich preis als mit jeder anderen Tätigkeit. So muss auch Til Schweiger damit leben, dass man höhnisch seine Motive hinterfragt. Er tut Dinge, die viel weitere Kreise ziehen als im Privaten, macht Fehler. Dieses Wagnis aber ist für Arendt nur möglich „im Vertrauen auf die Menschen“ – darauf, dass am Ende die Gefolgschaft der Helfer größer ist als die der Hasser.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2015)

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