Synode: Franziskus provoziert Wertedebatte

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Im Vatikan diskutiert die Bischofssynode über eine Reform der katholischen Ehe- und Familienmoral. Steht Wahrheit gegen Barmherzigkeit? Muss sich die Kirche wandeln?

Vatikanstadt. Zum Auftakt der dreiwöchigen Bischofssynode im Petersdom redete der Papst den Gläubigen, dem Klerus und der Weltkirche ins Gewissen. „Man erlebt das Paradoxon einer globalisierten Welt mit vielen Luxuswohnungen, aber immer weniger Wärme im Haus und in der Familie. Es gibt viel Spaß, aber immer mehr eine tiefe Leere im Herzen. Viel Freiheit, aber wenig Autonomie“, sagte Franziskus vor mehr als 300 Kardinälen, Patriarchen und Bischöfen bei der Eröffnung der Synode im Vatikan.

Zugleich warnte er vor einer Kirche mit geschlossenen Toren, die Barrieren aufbaue. Wer Fehler begehe, müsse „begriffen und geliebt“ werden. „Die Kirche muss ihn suchen, aufnehmen und begleiten. Wir müssen unsere Zeit lieben und dem Menschen unserer Zeit helfen“, mahnte der Papst.

Die Predigt war auch an Außenseiter gerichtet wie den polnischen Priester Krysztof Charamsa, der tags zuvor mit seinem homosexuellen Outing für Furore gesorgt und bei einer Pressekonferenz seinen Partner vorgestellt hatte. „Mein Coming-out soll ein Appell an die Synode sein, ihr paranoides Handeln gegenüber sexuellen Minderheiten aufzugeben“, sagte der 43-jährige Theologe, der als Mitglied der Glaubenskongregation umgehend seines Amtes enthoben wurde. Zuvor war bekannt geworden, dass der Papst während seines US-Besuchs in Washington einen schwulen argentinischen Freund und dessen Lebensgefährten empfangen hatte.

Dezentralisierung der Kirche

Zum Thema Ehe, Familie und Sexualmoral schien in der katholischen Kirche alles gesagt – bis Franziskus kam. „Das Wort ,irregulär‘ gefällt mir nicht“, sagte er und an anderer Stelle: „Wenn einer schwul ist und guten Glaubens Gott sucht, wer bin ich, dass ich über ihn richte?“ Schlagartig war damit klar, dass die Bischofssynode sich nicht in der Wiederholung hinlänglich bekannter Lehrsätze erschöpfen konnte. Franziskus hatte einen Deckel geöffnet. Er hatte die Bischöfe ausdrücklich zu „freimütiger Rede“ aufgefordert – und er hat einen Sturm geerntet, der die Kirche durchschüttelt.

Längst ist klar, dass die Bischöfe und Theologen nicht nur über Familie und Moral diskutieren werden, sondern dass als Thema dahinter auch die künftige Gestalt der katholischen Kirche steht: Was entscheidet Rom allein? Was geht – wie Franziskus es tendenziell befürwortet – dezentral an die Bischofsversammlungen der einzelnen Länder, der einzelnen Kontinente? Wie viel Einheit braucht die Kirche, wie viel regionale oder gar doktrinelle Vielfalt kann und muss sie aushalten?

Dass die Kirche auch bei Ehe und Familie, ihrem Kernthema, auf die gesellschaftlichen Veränderungen reagieren muss, ist klar, spätestens seit der ersten von zwei Fragebogenaktionen, mit denen Franziskus' neuer Vatikan direkt von den Gläubigen in aller Welt hören wollte, wie sie mit der kirchlichen Lehre zurechtkommen. „Wir wollen den Puls der Basis fühlen“, sagte die Synodenleitung ausdrücklich. Das Ergebnis war verheerend – beziehungsweise eine Bestätigung für die Konservativen, die den „Ungeist der Welt“ nun auch schwarz auf weiß im Herzen des Kirchenvolks angekommen sahen.

Seither wird erbittert und teilweise ausgesprochen unfein, nicht nur nach den Prinzipien der katholischen Nächstenliebe über die Schlüsse gestritten, die daraus zu ziehen sind. Die Konservativen sagen, gerade in dieser Situation dürfe man die Lehre auf keinen Fall aufweichen; das wäre – so der afrikanische Kurienkardinal Robert Sarah – ein „unzulässiger Ausverkauf der Wahrheit an die heutige Gesellschaft“. Wie überhaupt die Rechten die fortlaufenden Aufrufe des Papstes zu „Barmherzigkeit gegenüber den Sündern“ als Unterminierung der „unwandelbaren Lehre der Kirche“ empfinden.

Plädoyer Schönborns

Das Schlüsselinterview für die andere Seite hat der Wiener Kardinal Christoph Schönborn in der römischen Jesuitenzeitschrift „La Civiltà Cattolica“ gegeben. Selbst aus einer Patchwork-Familie stammend, wie er sagt, fordert er einen neuen, einen „wohlwollenden, vertrauensvollen Blick auf die Menschen“. Es sei ja „so leicht, mit dem Finger auf Hedonismus und Individualismus in der Gesellschaft zu zeigen; schon mehr gehört dazu, aufmerksam die menschliche Wirklichkeit zu betrachten.“

Die Kirche rede „zu abstrakt“ von der Ehe, „mit einer Sprache voller hohler Konzepte, fixiert aufs Böse, auf das, was fehlt.“ Dabei könnte sie, sagt Schönborn, „manches lernen von Personen, die in irregulären Situationen leben. Papst Franziskus will uns dazu erziehen. Wir müssen das Wort Gottes zwischen den Zeilen des Lebens lesen lernen, nicht nur zwischen den Zeilen mittelalterlicher Bücher.“

Es ist das Konzept einer „begleitenden“ Seelsorge, nicht einer vorschreibenden, das Franziskus im Sinn hat. Am greifbarsten oder – am handgreiflichsten – wird der Streit bei zwei Themen: Bei der Zulassung von Menschen in zweiter Ehe zu den Sakramenten sowie bei der Beurteilung von Homosexuellen und deren Lebensgemeinschaften. Angesichts der tiefgreifenden, bisher nicht überbrückbaren Meinungsverschiedenheiten scheint es sogar Überlegungen zu geben, das Thema Homosexualität auszuklammern.

Greifbar sind jedenfalls gerade hier auch die enormen „Ungleichzeitigkeiten“ zwischen den Kontinenten: Während Europa nach vorn drängelt, widersetzen sich die Afrikaner jeglicher Öffnung. Der Widerstand in der Kurie scheint besser organisiert zu sein, die Strippenzieher und Intriganten sind kräftig am Werk. Letztlich, da die Synode formell nur beratende Funktion hat, entscheidet der Papst. Und er hat schon angekündigt, bei Bedarf von der „höchsten, vollen, unmittelbaren und universalen Gewalt“ Gebrauch zu machen, die ihm das Kirchenrecht einräumt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2015)

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