Familiensynode: Am Ende muss es Franziskus richten

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Beim "Minikonzil" in Rom prägen Unsicherheit und der Eindruck einer unüberschaubaren globalen Vielfalt an Lebenswirklichkeiten die Diskussion.

Rom. Wenn der Ausdruck feuchtwarme Luftmassen je Sinn hatte, dann an diesem Oktobermorgen in Rom. Der Scirocco hat zu wehen aufgehört und die Nässe des Mittelmeers bleischwer hängen lassen. Kurz vor neun Uhr ist es, da strömen andere schwarze Wolken herbei, mit wehenden roten oder violetten Schärpen, mit Seidenkäppchen: 270 Bischöfe und Kardinäle treffen sich zur Synodensitzung.

Schwarze und Asiaten und Weiße sind dabei, Orientalen mit malerischen Kopfbedeckungen, Dürre und Korpulente, bleiche, verkniffene Stubengelehrte ebenso wie der schmächtige Philippiner Luis Antonio Tagle, den man nur fröhlich lächelnd kennt. Es gibt jene, die einem Amtsbruder den Arm um die Schulter legen und andere, die kühle Unnahbarkeit ausstrahlen. Sie kommen zu Fuß, beweglich oder von Alter und Krankheit gelähmt, fahren in Diplomatenlimousinen vor, in Sammeltaxis und im Fiat Panda; ein orthodoxer Geistlicher auf dem Fahrrad bahnt sich eine Schneise vor der Audienzhalle.

Ermüdet in 13 Arbeitskreisen

Papst Franziskus hat seine Kirche aufgefordert, „an die Peripherien“ zu gehen. Bei der Bischofssynode ist es umgekehrt: Da strömen die Enden der Erde herbei. Und fast als Letzter, gerade rechtzeitig zum Morgengebet, kommt Davide. Im Kinderwagen. Über „Berufung und Sendung der Familie in der Kirche und in der Welt von heute” reden sie drei Wochen lang. Da hat der Papst als „Experten” auch katholische Ehepaare und Familien eingeladen; das nutzen die Palonis, den Jüngsten ihrer zwölf mitzubringen.

Sie können Aufmunterung brauchen, die Geistlichen. Müde, sagen viele, seien sie von fast zwei Wochen, von den Diskussionen in 13 Arbeitskreisen; beladen von der selbstempfundenen Pflicht, etwas Neues, Einladendes sagen zu müssen auf einem Gebiet, auf dem alles gesagt schien – und bei dem die Menschen trotzdem oder genau deswegen so zahlreich abgewandert sind wie auf anderen Sektoren katholischen Lebens nicht.

Und in die alte Lehre wollen sie die Lebenswirklichkeit von heute einbeziehen. Aber wie? Ist das Leben, sind diese Patchwork-Konstruktionen, diese am katholischen Ideal vorbei lebenden oder gescheiterten, womöglich gleichgeschlechtlichen Partnerschaften „eine Offenbarungsquelle” für die Kirche? „Wir dürfen uns nicht leiten lassen von falschem Mitleid, falschen Ideen, und wenn sie noch so verbreitet sind“, sagt Stanisław Gadecki als Präsident der polnischen Bischofskonferenz. „Je klarer und strenger wir sind, umso mehr folgen uns die Leute“, so der afrikanische Kurienkardinal Robert Sarah.

Problem Polygamie

Zur schier unüberschaubaren Vielfalt des Lebens kommen die grundverschiedenen sozialen Kontexte, aus denen die Bischöfe stammen. „Was hauptsächlich diskutiert wird“, sagt Philippe Nakellentuba Ouédraogo, Kardinal aus Burkina Faso, „sind allzu oft rein westliche Herausforderungen. Ob die wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion zugelassen werden, diese Frage stellt sich bei uns nicht. Wir haben Probleme mit Polygamie, mit christlich-muslimischen Mischehen, mit unserem ganzen Wald von Lebensformen“, denen irgendwie das christliche Familienbild nahegebracht werden soll.

„Der Umgang ist wunderbar“, hat der Münchner Kardinal Reinhard Marx am Anfang der Synode gesagt. Aber es gibt auch die Frontalangriffe. Gegen Kardinal Walter Kasper zum Beispiel, der im beherrschenden Streitthema vorgeschlagen hat, wiederverheiratete Geschiedene könnten nach Einzelfallprüfung und einem „Weg der Buße“ zu Beichte und Kommunion zugelassen werden. „Wir müssen uns entscheiden zwischen Kasper und Jesus“, sagte ein Bischof.

Und es gibt die Attacken auf Franziskus selbst. „Es ist gesagt worden“, bemerkte der polnische Kurienkardinal Stanisław Ryłko, einen Appell des Papstes aufgreifend, „die Kirche muss für alle Verwundeten wie ein Feldlazarett sein. Aber es gibt nicht viele, die sich bekehren und beichten wollen, auch Getaufte nicht, die in familiär irregulären Situationen leben. Weshalb verlangen sie dann unsere Hilfe?”

Verschwörungsängste und -vorwürfe sind so gewachsen, dass Franziskus sich der Atmosphäre im Saal wie der eigenen Ehre wegen genötigt gesehen hat, sie zu dementieren. Aber was erwartet er? Was will er erreichen mit der freien Rede, zu welcher er aufgerufen hat? Franziskus lässt sich nicht in die Karten schauen. Und deshalb: Wenn es im Blick auf das Ergebnis etwas gibt, das viele Synodenväter eint, ist das „der wachsende Eindruck der Unsicherheit, der Unklarheit. Das beunruhigt“. So sagt es der australische Erzbischof Mark Coleridge.

„Da ist Angst, Angst, Angst“

Ein anderer meint auf die Frage, ob nicht gerade der von Franziskus verursachte Wirbel ein Zusammenrücken beharrender Kräfte ausgelöst hat: „So kann man's sehen. Da ist Angst, Angst, Angst.“

Auch jene, die auf eine Öffnung hoffen, sind unsicher. Gewiss, sagen sie, Franziskus habe „Pflöcke eingeschlagen“. Aber sie sehen auch die tiefen Meinungsverschiedenheiten unter den Bischöfen, das auf Lehrstrenge pochende tendenzielle Übergewicht unter ihren Amtsbrüdern. Und sie fragen sich, wie viel Spielraum dem Papst bleibt.

Wen immer man nach Ablauf von zwei Dritteln der Synodenzeit fragt, der antwortet: „Ich weiß nicht, wo wir enden werden.“ Auch aus den 13 Sprachgruppen tönt immer lauter: „Wir Bischöfe können unsere Verschiedenheiten gar nicht zusammenhalten.“ Am Ende, auch dieser Ruf wird immer lauter, muss es Franziskus allein richten. Mit einem Wort des Lehramts. Und diejenigen, die er vor den Kopf stoßen muss, werden sagen: „Wir haben's schon immer gewusst.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2015)

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