Vatikan: Die Schwierigkeit der Sünde

Pope Francis talks with a group of nuns during the weekly audience in Saint Peter´s Square at the Vatican
Pope Francis talks with a group of nuns during the weekly audience in Saint Peter´s Square at the Vatican(c) REUTERS (TONY GENTILE)
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Papst Franziskus will bei der Familiensynode in Rom die ewige Spannung zwischen Lehre und Leben durch das Recht auf Privatsphäre überwinden.

Rom. Wie weit muss sich die Lehre der Kirche an die Lebenswirklichkeit der Menschen anpassen? So lautet die Kernfrage der dritten, letzten und spannendsten Woche der Weltbischofssynode im Vatikan. Die Rede von einem Gegensatz zwischen hergebrachter Lehre und aktuellem Leben lässt sich aber genauso gut als bloß politische Zuspitzung sehen, und zwar sowohl vonseiten der „Linken“, die unbedingt Reformen wollen, als auch vonseiten der Konservativen, die Angst vor jeder Veränderung haben.

Man kann die Sache auch anders betrachten. Dann geht es bei der aktuellen Diskussion um ein zweifaches Aus-der-Hand-Geben. Die Kirche könnte erstens die Deutungshoheit über die Form des Privatlebens ihren Mitgliedern überlassen. Und die Regelung der seelsorgerischen Folgen, die immer abhängig sein werden von den gesellschaftlichen Zusammenhängen in unterschiedlichen Kulturen, könnte zweitens vom Vatikan in die dezentrale Zuständigkeit regionaler Bischofskonferenzen wandern.

Beides ist ausdrücklich der Wille von Papst Franziskus; er betrachtet es als den Auftrag der Zeit. Doch die Bischöfe tun sich schwer mit der Umsetzung, weil es alte Ordnungen auflöst und dem allzu Gewohnten widerspricht. Doch darüber hinaus steht die Frage: Was ist überhaupt Sünde? Zur Sünde gehört nach klassischer Lehre eine bewusste Abkehr von Gott und/oder der Vorsatz, der Gemeinschaft schaden zu wollen.

Das eigene Gewissen als oberster Herr

Aber zwei Menschen, die zusammenziehen, haben im Normalfall keine Attacke auf Gott im Sinn, sie wollen einander auch nicht schaden. Sie lieben sich womöglich einfach nur und wollen dies, durch das Zusammenziehen bekundet, im Alltagsleben auch durchhalten, zumindest vorläufig. Das mag (noch) nicht die katholische Ehe in Vollgestalt sein, aber Sünde in Vollgestalt ist das auch nicht. Oder: Zwei Menschen, die nach gescheiterter und nicht rettbarer Ehe wieder heiraten: Tun sie das gegen Gott, oder wollen sie im Gegenteil ihre Sünden aus dem ersten Versuch durch tätige Reue und Arbeit an sich selbst auswetzen? „Wenn man richtig darüber nachdenkt“, rief dieser Tage ein Bischof aus, „dann ist es gar nicht so leicht zu sündigen.“

Papst Franziskus weist einen neuen Weg. Er hat den einzelnen Gläubigen das Recht auf Privatsphäre eröffnet. Berühmt geworden ist sein Satz: „Wenn einer schwul ist und guten Glaubens Gott sucht, wer bin ich, dass ich über ihn richte?“ Noch nicht berühmt und wirkmächtig genug, aber auf der Synode stark präsent ist der andere Satz: „Alle Glieder der Kirche, Priester, Ordensleute und Laien, müssen stets lernen, sich vor dem heiligen Boden des anderen die Sandalen von den Füßen zu streifen.“

Eigentlich ist das Recht auf Privatsphäre den Gläubigen längst zugestanden, in der Verhärtung der Positionen der letzten drei Jahrzehnte aber wieder verdrängt worden. Es ist die Anerkennung, dass jeder Mensch als Schöpfung Gottes ein Gewissen hat, und es ist der Respekt vor dessen Entscheidungen.

Das Zweite Vatikanische Konzil erklärte in dieser Frage: „Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Inneren zu hören ist.“ Ein gewisser Joseph Ratzinger kommentierte seinerzeit: „Über dem Papst als Ausdruck für den bindenden Anspruch der kirchlichen Autorität steht noch das eigene Gewissen, dem zuallererst zu gehorchen ist, notfalls auch gegen die Forderung der kirchlichen Autorität.“

Entscheidend ist, dass man dem Menschen ein solches verantwortungsvolles Gewissen zugesteht, statt ihn primär als Sünder zu betrachten. Der deutschsprachige Synoden-Arbeitskreis verlangt vorsichtiger, aber dafür einstimmig die Gewissensfähigkeit. Franziskus hat diesen Perspektivenwechsel vollzogen; er betrachtet den Menschen zunächst wohlwollend, in seinen Worten: mit den Augen der göttlichen Barmherzigkeit.

Das ist keine süßliche Soße, die man über alles kippt wie Ketchup; das hat auch nichts mit dem Aufweichen der Lehre zu tun, wie man es Franziskus vorwirft. Die Lehre bleibt unangetastet. Das Ideal auch. Aber die Menschen werden in der Wahl ihrer „gültigen“ Lebensformen nicht länger amtlich bevormundet. Und die Seelsorger haben die Pflicht, es nicht beim Verurteilen schräg erscheinender Partnerschaften bewenden zu lassen, sondern genauer hinzuschauen: ob nicht eine Gewissensentscheidung dahinter steckt, über die in der Kirche nicht einmal der Papst zu richten hat.

AUF EINEN BLICK

Rund 270 Kardinäle und Bischöfe nehmen noch bis Sonntag an der ordentlichen Bischofssynode in Rom teil. Leitmotiv dieses Treffens ist „Die Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute“. Es geht in erster Linie um das Spannungsverhältnis zwischen der kirchlichen Familienlehre und der gelebten Praxis der Gläubigen, die immer öfter unverheiratet zusammenleben. Kardinal Christoph Schönborn nimmt als Mitglied des vatikanischen Synodenrats teil, die österreichische Bischofskonferenz wird durch den Feldkircher Bischof, Benno Elbs, vertreten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2015)

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