Gesellschaftswandel: Amerikas religiöse Spaltung wächst

USA FEATURE PACKAGE OUTDOOR BAPTISMS
USA FEATURE PACKAGE OUTDOOR BAPTISMS(c) EPA (JIM LO SCALZO)
  • Drucken

Jeder vierte Amerikaner ist heute konfessionslos, die Jugend wendet sich vom Glauben ab. Die bereits sehr Religiösen jedoch werden noch gottesfürchtiger.

Washington. Eine große Meinungsumfrage über die Religiosität in den USA zeichnet das Bild einer Gesellschaft, in der die Gräben auch entlang persönlicher Glaubensfragen immer tiefer und breiter werden. Die vom Pew Research Center zum zweiten Mal nach dem Jahr 2007 durchgeführte „Religious Landscape Study“ brachte zutage, dass 23 Prozent der Amerikaner keiner Glaubensgemeinschaft angehören. Vor sieben Jahren gab es nur 16 Prozent Konfessionslose. Die Befragung zeigte weiters, dass der religiöse Glaube für die Amerikaner umso unwichtiger in der Bewältigung des Alltages und grundsätzlicher ethischer Fragen wird, je jünger sie sind. 67 Prozent der Amerikaner, die von 1928 bis 1945 geboren wurden, erklären, dass Religion sehr wichtig für sie sei. Von den unter-25-Jährigen befürworten dagegen nur 38 Prozent diese Aussage.

Und schließlich offenbart das Umfrageergebnis, dass viele sehr religiöse Amerikaner in den vergangenen sieben Jahren noch gottesfürchtiger geworden sind. 43 Prozent der einer Konfession Zugehörigen erklärten, außerhalb der Gottesdienste heilige Schriften zumindest einmal pro Woche im Selbststudium zu lesen. Das war ein Anstieg um drei Prozentpunkte. 30 Prozent von ihnen nehmen an wöchentlichen Gebetskreisen oder Bibelstudiengruppen teil; auch hier zeigt sich ein Anstieg um drei Prozentpunkte. Zwar sagen noch immer 89 Prozent der erwachsenen Amerikaner, dass sie an Gott glauben. Doch nur mehr 63 Prozent sind „absolut sicher“, dass es Gott gibt; im Jahr 2007 waren noch 71 Prozent davon überzeugt. „Die Vereinigten Staaten werden prozentuell gemessen weniger religiös, aber nicht deshalb, weil es weniger hochreligiöse Menschen gibt, sondern weil die gesamte US-Bevölkerung wächst und es heute viel mehr nicht religiöse Leute gibt, als das noch vor ein paar Jahren der Fall war“, resümieren die Studienautoren.

Amerikaner werden spiritueller

Das Pew Research Center, die wichtigste Quelle für unparteiische Daten über die öffentliche Meinung in den USA, hat von Anfang Juni bis Ende September 2014 US-weit 35.071 Erwachsene befragt. Und auch wenn der grundsätzliche Befund stimmt, dass die Amerikaner im statistischen Durchschnitt etwas weniger religiös sind als bei der ersten Umfrage vor sieben Jahren, haben die Studienautoren einige wesentliche Anmerkungen zur Deutung der Ergebnisse festgehalten. Wichtig ist zum Beispiel die genaue Bestimmung dessen, was hier mit „konfessionslos“ gemeint ist. Die Mehrheit dieser derzeit 23 Prozent umfassenden Gruppe sagt nämlich sehr wohl, dass sie an einen Gott glauben. Sie sind jedoch deutlich weniger gottesfürchtig als die Mitglieder organisierter Konfessionen. Bemerkenswert ist ferner, dass die Amerikaner zwar weniger mit Religionen anfangen können als früher, jedoch spiritueller zu werden scheinen. Sechs von zehn Erwachsenen sagen, dass sie regelmäßig ein Gefühl „spirituellen Friedens und Wohlbefindens“ verspüren; das war gegenüber 2007 ein Anstieg um sieben Prozentpunkte. 46 Prozent erklären, mindestens einmal pro Woche „über das Universum zu staunen“; auch das waren um sieben Prozentpunkte mehr.

Religion spaltet die politischen Parteien

Diese Studie hilft dabei, die politische Spaltung in den USA besser zu erfassen. Die Anhänger der beiden Parteien entfernen sich nämlich in religiösen Fragen rasant voneinander. 28 Prozent der Demokraten gehören keiner Kirche oder sonstigen Glaubensorganisation an. Sie stellen nun, gemessen an der religiösen Einstellung, die größte Gruppe innerhalb der demokratischen Partei an. Hingegen sind nur 14 Prozent der Republikaner konfessionslos; hier stellen die evangelikalen Christen mit 38 Prozent die größte religiöse Gruppe der Parteianhänger dar (im Jahr 2007 waren es es 37 Prozent). Das erklärt, wieso alle republikanischen Präsidentschaftskandidaten sich besonders um diese Wählergruppe bemühen, die US-weit nur 25 Prozent der Bevölkerung ausmacht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.