Papst Franziskus: "Wenn nicht jetzt, wann dann?"

Papst Franziskus hat am Sonntag 15 11 2015 die evangelisch lutherische Christuskirche in Rom
Papst Franziskus hat am Sonntag 15 11 2015 die evangelisch lutherische Christuskirche in Romimago/epd
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Papst Franziskus geht auch beim Heiligen Jahr seine eigenen Wege, nur das offizielle Programm folgt ihm nicht. Eigentlich zog er es vor, um auch an das Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils 1965 zu erinnern.

Ein Heiliges Jahr ruft die katholische Kirche in der Regel alle 25 Jahre aus. Nach dem „großen Jubiläum“ im Jahr 2000 wäre das nächste also erst in zehn Jahren fällig gewesen, aber Papst Franziskus geht seine eigenen Wege. Mitte März, zur Überraschung aller, kündigte er den Beginn des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit für den 8. Dezember an. Die Christen und die Welt sollten die „Zärtlichkeit Gottes“ erfahren, „der immer und alle Schuld vergibt“, jedenfalls denjenigen, die sich reumütig zu ihm auf den Weg machen. Das schließt eine geistige Umkehr ebenso wie eine durch „leibliche und geistliche Werke“ praktisch ausgeübte Barmherzigkeit ein.

Es gehört eine reale Pilgerfahrt dazu, wie im Jahr 1300, als Papst Bonifaz VIII. das Heilige Jahr erfunden hat. Das heißt: Eigentlich hat er nur eine Vorschrift des Alten Testaments aufgegriffen. Ihr zufolge ist jedes fünfzigste Jahr ein Jahr der Befreiung: für Menschen, die in Schuldknechtschaft gefallen sind, eine Befreiung auch für Grund und Boden, die dabei in fremde Hände geraten sind – sie kehren zum ursprünglichen Eigentümer zurück.


Ein Jubiläum. Angekündigt wird das große Gnadenjahr, laut Altem Testament, am Versöhnungsfest durch das landesweite Blasen eines Widderhorns. Der Widder heißt auf hebräisch-phönizisch „jobel“; das Jahr hieß also „Jobeljahr“. Und weil „jobeleus“ der lateinischen Bibelübersetzung des Mittelalters so sehr nach dem lateinischen „iubilare“ klang, nach jubilieren eben, wurde aus dem Jobel- ein Jubeljahr, ein Jubiläum.

Dieses Heilige Jahr aber ist ein Jubiläum im wahrsten Sinn: Franziskus will so das Zweite Vatikanische Konzil „lebendig erhalten“. Die große Reformversammlung der Weltbischöfe ging am 8.Dezember1965 zu Ende; exakt 50Jahre danach eröffnet Franziskus das Heilige Jahr. Mit dem Konzil, erklärte er, habe in einem „wahren Wehen des Heiligen Geistes“ ein „neuer Weg in der Kirchengeschichte“ begonnen: „Mauern, die die Kirche allzu lang in einer privilegierten Festung eingeschlossen hatten, wurden eingerissen, und die Zeit war gekommen, um das Evangelium auf neue Weise zu verkünden.“ Traditionell ging die mit dem Heiligen Jahr verbundene Pilgerfahrt nach Rom, zu den Heiligen Pforten des Petersdoms und der anderen Basiliken. Franziskus hat die göttliche Barmherzigkeit dezentralisiert: Heilige Pforten soll es in allen Diözesankirchen und in Wallfahrtsstätten der Welt geben. Überall dort verleiht das Durchschreiten dieser Türen das, was die um ihr Seelenheil bangenden Pilger früherer Zeiten so magisch angezogen hat: den vollständigen Ablass, also ein Streichen sämtlicher jenseitiger Strafen, die der zwangsläufig sündigende Mensch nach dem Tod zu gewärtigen hätte.

Ob die Massen – 25 Millionen waren es im Jahr 2000 – dann immer noch nach Rom strömen, wie es die Hotelbranche dort gern hätte? Bisher geben nur vier Prozent der Rom-Touristen „religiöse Gründe“ als Motiv für ihre Reise an. Jedenfalls muss sich, wer die Heilige Pforte im Petersdom durchschreiten möchte, vorher im Internet registrieren (www.im.va) – aus organisatorischen Gründen, sagen die Veranstalter. Sorgen um die Sicherheit stecken natürlich auch dahinter.

Die Planung hat Franziskus dem Päpstlichen Rat für die Neuevangelisierung anvertraut. An dessen Spitze steht der erzkonservative Erzbischof Rino Fisichella. Einer seiner Mitarbeiter, Franz-Peter Tebartz-van Elst, ist als Bischof von Limburg zu zweifelhaftem Ruhm gekommen.

Kreativ oder innovativ nimmt sich das Programm nicht aus. Wer Franziskus als großen Star im Haus hat, macht sich über weitere Einzelheiten nicht viele Gedanken. So beschränkt sich der römische Terminkalender auf eine monatliche Großbegegnung diverser Pilgergruppen mit dem Papst: Einmal sind die Kranken und Behinderten an der Reihe, einmal die Diakone, dann die Ordensleute. Sogar Strafgefangene bekommen für Franziskus einen Tag frei.


Heiligsprechung von Mutter Teresa. Eines der möglichen Spitzenereignisse aber bleibt, älterer Planungen wegen, ins polnische Krakau ausgelagert: der Weltjugendtag. Beim „Großen Jubiläum 2000“ haben sich in Rom zwei Millionen junge Leute um Johannes Paul II. geschart. Diesmal dürfte der Gedenktag und vermutlich auch die Heiligsprechung von Mutter Teresa Anfang September 2016 einer der Publikumsmagneten sein.

Ausgeblendet bleiben vorerst die interreligiösen Kontakte. Dabei wäre das Thema „Göttliche Barmherzigkeit“ eine exzellente Brücke zum Islam, in dem Gott in allen Alltagssituationen und in jeder Sure des Koran als „der Allerbarmer und Allbarmherzige“ angerufen wird. In der Bulle, in der er das Heilige Jahr offiziell einberufen hatte, wies Franziskus noch darauf hin. Kurienleute im Vatikan sagen zur Verteidigung des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit jetzt immer: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2015)

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