Zwölf Könige und ein Kind im Stern

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Symbolbild "Heiligen Drei Könige"(c) FABRY Clemens
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Die opulenteste Legende zu den Weisen aus dem Morgenland kommt aus Syrien und ist älter als der Großteil der abendländischen Drei-Königs-Tradition. Sie erzählt von vielen Magiern und einem ungewöhnlichen Erlöserkind.

Nicht der Weihnachtsmann, nicht das Christkind, nein, ein Kamel bringt christlichen Kindern in Syrien Weihnachtsgeschenke; und zwar das kleinste und schwächste der drei Kamele, auf denen die Heiligen Drei Könige nach Bethlehem geritten sind. Weil es die schwere Reise ausgehalten habe, um das Jesuskind zu sehen, sei es mit Unsterblichkeit belohnt worden, erzählt man sich. Vor Weihnachten stellen Kinder mit Heu gefüllte Schuhe und Wasser für das Kamel vor die Tür – und finden, wenn alles nach Wunsch geht, am nächsten Morgen Geschenke für sich selbst vor.

Syrien, das Land, aus dem heuer so viele Flüchtlinge wie noch nie in Österreich sind, ist auch das Land, aus dem die opulentesten Legenden zu jenen Weisen aus dem Morgenland stammen, über welche die Bibel nur wenige Worte verliert. „Magoi apo anatolôn“, Magier aus dem Osten, seien gekommen, heißt es im Matthäus-Evangelium – „und fragten: ,Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.‘“ Das war's. Nicht einmal, wie viele Magier es waren, wird gesagt, nur von drei Geschenken ist die Rede, Gold, Weihrauch und Myrrhe. Erst der Kirchenvater Origenes setzte die Zahl der Weisen im dritten Jahrhundert auf drei fest, sodass jeder ein Geschenk überreichen konnte.

Die Legende von den zwölf Königen

Die ausführlichste Legende zu den Weisen aus dem Morgenland stammt aus demselben (oder sogar dem zweiten) Jahrhundert – und ist keine Drei-, sondern eine Zwölf-Königs-Legende. Sie entstand im syrischen Raum, wird „Offenbarung der Magier“ genannt und findet sich in einem Manuskript aus dem 8. Jahrhundert, der sogenannten „Chronik von Zuqnin“. Sie wird im Vatikan aufbewahrt.

Die Magier, heißt es dort, stammen von Adams und Evas drittem Sohn, Seth, ab. Sie werden als Männer bezeichnet, die „schweigend beten“. Was Matthäus mit dem griechischen Wort „magoi“ meint, darüber wurde viel gerätselt. Oft wurde es mit „Sterndeutern“ oder „Magiern“ übersetzt, mit dem Wort „Weise“ versuchte man ihnen später den anrüchigen Beigeschmack zu nehmen. Mit „magoi“ bezeichneten die Griechen aber im engen Sinn Angehörige der persisch-medischen Priesterkaste, die später den Zoroastrismus (Zarathustra-Kult) übernahmen.

Auch in der apokryphen „Offenbarung der Magier“ ist diese Verbindung zur persischen Religion in vielen Details offensichtlich. So lacht etwa dort das neugeborene Jesuskind, was es in keiner anderen Quelle tut – sehr wohl aber der neugeborene Zarathustra in der Überlieferung. Die medisch-persischen Priester waren mächtig und berieten die Könige. Das Reich, in dem sie bis zum zweiten nachchristlichen Jahrhundert wirkten, war das Partherreich; es war das jahrhundertelang dominierende Reich in Persien und (dem für seine Himmelsbeobachtungen berühmten) Mesopotamien und Roms großer Gegenspieler.

Die „Offenbarung der Magier“ hingegen nennt als Land im „äußersten Osten“, aus dem sie kommen, das halbmythische „Shir“ (das einige Forscher mit China identifizieren). Dort besteigen die Magier jedes Jahr einen Berg und warten in einer Höhle auf die in einer Offenbarung angekündigte Erscheinung des Erlösers (auch diese Höhlenerwartung ist ein typisch persisches Motiv).

Einmal ist es dann so weit, ein helles Licht erstrahlt, in dessen Mitte wird ein Kind sichtbar. Es geleitet die Männer auf der Reise, schützt sie vor Gefahren und sorgt wie durch Zauberhand dafür, dass der Proviant niemals ausgeht.

Der Stern zeigt nicht das Kind, er ist es

Reale Phänomene sind hinter dem biblischen Stern vermutet worden, etwa ein Komet, eine Nova oder eine spezielle Gestirn-Konstellation. Die „Offenbarung der Magier“ ist die einzige Quelle, in der der Stern und das Erlöserkind ein und dasselbe sind. Dass die Geburt eines bedeutenden Menschen mit auffälligen Himmelserscheinungen verbunden wird, ist ein nicht nur in der Bibel häufiges Phänomen. Hier aber ist das Kind sogar der Stern. Wie ein fernes Echo dazu könnte man Saint-Exupérys Vorwort zu „Der kleine Prinz“ lesen: „Und wenn ihr dort vorbeikommt, darum bitte ich euch dringend, beeilt euch nicht, verweilt ein wenig, genau unter dem Stern! Wenn dann ein Kind auf euch zukommt, wenn es lacht, wenn es goldene Haare hat [. . .], dann werdet ihr leicht erraten, wer es ist.“

Die syrische Legende über jene Jesus-Besucher, die bei uns als die Heiligen Drei Könige oder die Weisen aus dem Morgenland geläufig wurden, ist in Europa heute fast vergessen. Im Mittelalter war das noch nicht so. Thomas von Aquin zitiert diese Tradition in seiner „Summa theologica“; Gemälde zeigen zwölf Magier; auch das Motiv von Jesus im Stern findet man.

Kein Wort von „Jesus“ und „Christus“

Am Ende werden die Magier vom Apostel Thomas getauft und schwärmen in ihrer Heimat aus, um die Menschen zu bekehren – aber wozu, zu wem eigentlich? Auch wenn die Parallelen zum Matthäus-Evangelium offensichtlich sind: Die Worte „Jesus“ und „Christus“ kommen im ganzen Text nicht vor. Er sei überall, ein Licht, gesandt zu allen auf der Welt, heißt es im Text. Man kann ihn als spannendes Dokument einer religiös brodelnden Zeit betrachten – und als inspirierende Einladung zur Ökumene.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2016)

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