Scheuer: „Rechtfertigungsdruck für Kirche wird größer“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der neue Linzer Bischof, Manfred Scheuer, räumt ein, dass Franziskus manche enttäuscht hat. Seine Akzente sind für ihn aber unumkehrbar. Den gesellschaftlichen Einfluss der Kirche sieht er schwinden.

Die Presse: Oberösterreich wird nicht zu den einfachsten Diözesen gezählt. Laien spielen in Leitungsteams eine große Rolle, manche Priester fühlen sich gar an den Rand gedrängt. Was sehen Sie auf sich zukommen?

Manfred Scheuer: Als Noch-nicht-Bischof von Linz möchte ich zur Diözese (die Amtseinführung erfolgt am 17. Jänner, Anm.) erst Stellung nehmen, wenn ich mit den Leuten gesprochen habe. Die Diözese ist aber besser als ihr Ruf.

Vor sechs Jahren haben Sie bei einer Predigt gemeint, der Kirche müsse ein Befreiungsschlag in Sachen Zölibat, Homosexualität, Kondome und Pille gelingen. Dieser ist bisher nicht erfolgt, oder habe ich etwas verpasst?

Ich habe das damals als Postulat von relativ vielen in der Kirche zitiert – dass man sich das erwartet – und gemeint, wenn man ausschließlich auf diese Bereiche setzt, wird man auch enttäuscht werden. Ich glaube schon, dass sich in manchen Bereichen atmosphärisch etwas verändert, auch und gerade durch Franziskus in den letzten zweieinhalb Jahren. Insgesamt ist die Bedeutung von Moral, übrigens auch schon unter Papst Benedikt, doch etwas in den Hintergrund getreten, weil das Evangelium nicht zuerst eine Moral ist. Auch die Botschaft von der Liebe ist nicht zuerst ein nur Sollen oder Müssen oder Nicht-Dürfen. Ich hoffe, dass sich auch in der Fremdwahrnehmung von Kirche etwas verändert hat und weiterentwickeln wird.


Sie sprechen selbst von atmosphärischen Änderungen. Faktisch ist relativ wenig passiert, auch nach der mit Spannung erwarteten Familiensynode.

Es hat sich durch die Synode mehr bewegt als zunächst wahrnehmbar gewesen ist. Es sind Türen geöffnet beziehungsweise Akzente gesetzt worden, die nicht mehr zurückzunehmen sind. Ich hoffe, dass der Papst in seinem Schlussdokument zur Synode diese Wege weiter beschreiten wird.


Ist Franziskus drauf und dran, die in ihn gesetzten hohen Erwartungen zu verspielen, wenn er im Atmosphärischen bleibt?

Er ist in vielen Bereichen sehr konkret und durchaus handfest. Natürlich sind viele seiner Handlungen Symbolhandlungen, die aber auch etwas bewirken. Was sind denn die Erwartungen? Sind die Erwartungen, dass er die gesamte kirchliche Tradition, das gesamte Kirchenrecht auf die Seite schiebt? Diese Erwartung wollte er von sich aus sicher nie wecken. Da wird natürlich auch manches in ihn hineinprojiziert. Er hat auch manche, glaube ich, enttäuscht. Aber das gehört zu seinem Amt, zu seinem Dienst dazu. Es ist nicht seine Aufgabe, dass er Bedürfnisse aufgreift oder Erwartungen erfüllt, sondern er ist eher eine prophetische Stimme, die Dimensionen des Evangeliums ins Spiel bringt, die vielleicht bei einer Verkürzung von Religion auf Ethik nicht mehr gesehen werden. Das sind zum Beispiel die ganz starken sozialen Akzente, das ist auch seine Zentrierung auf Jesus Christus, seine Kritik an der Kirche als selbstreferenziellem System, das sich in sich selbst erschöpft und mit der Selbsterhaltung beschäftigt ist. Dass es da Reibungen gibt, Konflikte – vielleicht lassen ihn manche anlaufen, ja, das ist so. Aber er hält das aus.


In Ihrem aktuellen Buch „Wider den kirchlichen Narzissmus“ sprechen Sie von Sterbestunden der Kirche. Wo sehen Sie diese?

Manches wird es nicht mehr geben. Es wird sich auch an den öffentlich-rechtlichen Rahmenbedingungen manches verändern. Wir werden finanziell ärmer, auch an gesellschaftlichem Einfluss. Die Gesellschaft ist pluraler geworden. Wir sind eine Kirche, eine Glaubensgemeinschaft unter mehreren. Ich sehe das als Herausforderung. Die Gegenwart ist die beste Gelegenheit, Christ zu sein oder Nachfolge Jesu zu leben, nicht in einer verklärten Vergangenheit, die auch nicht so gut war, und auch nicht in einer utopischen Zukunft.

Wo erwarten Sie im öffentlich- rechtlichen Bereich derartige Änderungen?

Das Gefüge im Hinblick auf den Religionsunterricht ist in Bewegung. Das gilt auch, weil inzwischen viele anerkannte Religionsgemeinschaften Anspruch auf Religionsunterricht haben. Es ist wichtig, dass der Religionsunterricht an den Schulen bleibt und öffentlich verantwortet wird. Die Alternative wäre eine Ghettobildung der Religionsgemeinschaften, das halte ich für fatal.


Der Rechtfertigungsdruck wird wohl größer werden.

Der Rechtfertigungsdruck für die Kirchen oder die Religionsgemeinschaften insgesamt wird größer, das gilt auch für den Einfluss auf die Gesetzwerdung.


Könnte es durch das Steigen der Zahl der Muslime in Österreich zu einer Art Rückbesinnung auf die christlichen Wurzeln oder zumindest zu einer Spurensuche kommen?

Ich hoffe das durchaus. Ich mache in manchen Gemeinden die Erfahrung, dass das Engagement für Flüchtlinge zum einen mit einem hohen sozialen Impetus verbunden ist, zum anderen mit der Rückfrage: Wer bin ich eigentlich als Christ? Aus welchen spirituellen Ressourcen lebe ich? Ich hoffe, dass wir zu einem demütigen Selbstbewusstsein kommen. Dass ich als Christ weiß, was ich glaube, dass ich korrekturfähig bin, lernbereit, dass ich mich infrage stellen lasse, aber auch, dass ich nicht nur aus der Defensive heraus handle.


Welche Veränderungen erwarten Sie in der Gesellschaft angesichts des steigenden Anteils an Muslimen, und rechnen Sie mit Veränderungen in einem Islam westlicher Prägung?

Innerhalb der muslimischen Gemeinden gibt es unterschiedliche Entwicklungen. Es sollte kein Generalverdacht auf Muslime fallen. Da gilt schon die Herangehensweise des Zweiten Vatikanischen Konzils, dass die Kirche den Muslimen mit Wertschätzung begegnet. Das zeigt ja Frankreich: Die reine Laizität (Trennung von Kirche und Staat, Anm.) funktioniert nicht im Zusammenleben. Da braucht es eine neue kulturelle Synthese auf der Basis der Menschenrechte und der Demokratie mit einer aktiven Rolle der Religionsgemeinschaften.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2016)

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