Grazer Bischof: "Ein gefährliches Gemisch"

PK NEUER BISCHOF DER DIOeZESE GRAZ-SECKAU: WILHELM KRAUTWASCHL
PK NEUER BISCHOF DER DIOeZESE GRAZ-SECKAU: WILHELM KRAUTWASCHLAPA/ELMAR GUBISCH
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Ausgelöst durch Flüchtlingsansturm, Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit sieht der Grazer Bischof Wilhelm Krautwaschl eruptiv Probleme an die Oberfläche gelangen.

Sie wurden vor fast genau einem Jahr zum Grazer Bischof ernannt. Was haben Sie in dieser Zeit gelernt?

Wilhelm Krautwaschl: Aufmerksam zuzuhören.

Und wohl dann auch zu antworten?

Ich bin vielen begegnet, die gesagt haben, sie wünschen sich mehr Selbstständigkeit, gleichzeitig aber sagen sie, der Bischof solle sagen, wo es langgeht. Da irritiere ich den einen oder anderen. Indem ich sage: Der Rahmen, der abgesteckt ist, ist klar: das Evangelium, die Lehre der Kirche. Mein Dienst ist, dass Kirche neu buchstabiert und gelebt werden kann. Der Dienst des Amtes ist es, auf den einen Herrn zu verweisen und nicht zu sagen: Nur so geht es. Wenn ich von Kirche spreche, ist zuerst einmal der Hebammendienst gemeint, was der andere unter Kirche versteht. Einfache Antworten gibt es nicht mehr. Wir haben die längste Zeit gemeint, Einheit bedeute Einheitlichkeit. Aber es kann sehr wohl sein, dass jemand berechtigterweise aufgrund seiner Lebenserfahrung einen anderen Weg zum selben Ziel wählt. Wir sind nicht eine Firma, in der einer sagt, wie es laufen muss. Das ist ein Paradigmenwechsel, den der Papst eingeleitet hat.

Ebendieser Papst Franziskus hat von den Bischöfen mutige Vorschläge zur Zukunft der Kirche verlangt. Wo sind diese mutigen Antworten aus Österreich?

Vielleicht ist das wieder eine Frage der Sichtweise. Was heißt mutig? Wenn ich jüngst beim diözesanen Studientag Vorschläge gemacht habe, dann finde ich die sehr mutig, nur vielleicht ist es nicht das, was manche erwartet haben. Ich habe beispielsweise gesagt: Es kommt auf das Leben an, und Leben ist zu fördern. Eine Struktur ist dem nachzuordnen. Dann ist das für mich radikaler als etwas zur Priesterweihe zu sagen, weil Taufe und Firmung ernst zu nehmen sind. Das wird aber unter Umständen anders gehört, nämlich so, dass ich bewahrend bin. Wir tun uns sehr schwer, von manchen Formen, die über Jahrhunderte gewachsen sind, Abschied zu nehmen. An Jugendlichen heute und wie sie leben ist absehbar, wie Kirche in Zukunft aussieht. Sie wollen authentischen Zeugen und nicht einem System begegnen. Jugendliche sind heute um nichts weniger suchend, ich würde sogar sagen, sie sind mehr suchend. Denn früher habe ich nichts suchen müssen, weil ohnedies alles geregelt war. Es geht um die Frage, was das Evangelium dir für dein Leben mitgeben kann. Da haben wir viel zu lernen, auch ich in Beantwortung der Frage: Was ist das Wesentliche von Kirche?

Und wie beantworten Sie diese Frage? Was ist das Wesentliche von Kirche?

Das Wesentliche ist die Wirklichkeit Gottes mitten unter den Seinen, wie es in der Offenbarung heißt. Klaus Hemmerle (1994 verstorbener Aachener Bischof und Theologe; Anm.) hat es so formuliert: Das, was auf ewig bleiben wird – wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen –, können wir jetzt schon erfahren. Mein Beitrag ist zu leisten, dass möglichst viele Menschen in diese Erfahrung eintauchen können. Da kann sich rundherum alles ändern, da können Dinge passieren, die das Leben der Kirche in ihrer äußerlich sichtbaren Struktur gefährden, aber dass sich zwei oder drei im Namen Jesu versammeln, das kann niemand gefährden. Aus dem heraus muss Kirche in einer sich gewaltig ändernden Gesellschaft neu gedacht werden. Wir haben ein sehr eng geführtes Bild von Kirche. Kirche hat mehrere Standbeine, nicht nur die Liturgie, da gibt es auch Caritas, Verkündigung, die Communio (Gemeinschaft; Anm.). Alle diese Standbeine braucht es, damit Kirche lebt. Da ist für mich eine radikaler verstandene Änderung der Kirche als bloß über das Amt nachzudenken. Das ist mir zu eng.

Wie sehr bedrückt es Sie persönlich, dass die Zahl der Katholiken, der Messebesucher stetig zurückgeht? Das hat ja auch mit Relevanz zu tun. Sie sind Priester unter ganz anderen Bedingungen geworden.

Ich kann das selbst sehr nachfühlen, dass es manche Priester gibt, die darunter leiden, die fragen: Habe ich auf das falsche Pferd gesetzt?

Sie gehören wohl nicht zu diesen Priestern.

Ich kann das anders sehen: Angesichts der Veränderungen der Gesellschaft ist es ein Wunder, dass so viele am Sonntagvormittag ohne gezwungen zu werden in die Kirche kommen. Wir machen uns selbst unsere Zukunftsperspektiven zunichte, indem wir nur auf den Mangel schauen. Abgesehen davon, dass Mangel ein relativer Begriff ist, weil ich mir die Frage stellen muss, ob die Situation, die nicht als Mangel gesehen wird, richtig ist. Heißt es automatisch, wenn es mehr Priester gibt, ist die Kirche besser?


Die Flüchtlingssituation macht manchen Angst. Kardinal Schönborn hat vom heiligen Recht des Asyls gesprochen, andererseits Verständnis für die Regierungslinie geäußert. Sind die Flüchtlinge für Europa Chance oder Gefahr?

Wir lernen, dass Europa auf rein wirtschaftliche Zusammenarbeit beschränkt nicht funktionieren wird. Es müssen auch die Menschen zueinanderkommen. Als Christ würde ich sagen: Vielleicht haben wir uns zu bequem eingerichtet, obwohl wir eigentlich sagen, unsere Heimat ist im Himmel. Es wird uns vielleicht abverlangt nachzudenken, wer wir wirklich sind.


Auch in einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Islam?

Natürlich. Der Papst hat gemeint, da ist auch eine Chance für uns, uns selbst als Christen neu zu entdecken.

Wie weit sehen Sie den Islam kompatibel mit Demokratie, Pluralismus, Gleichberechtigung? Da wird es wenig Eindruck machen, wenn die Christen die Zehn Gebote kennen.

Gelingendes Miteinander ist möglich. Aber es ist fast nicht mehr möglich, über dieses Thema zu sprechen. Dabei können wir nur so den Fallstricken des Terrors etwas entgegensetzen.


Sehen Sie den sozialen Frieden gefährdet?

Nein, aber wir haben aufmerksam zu sein. Die Reste des nicht vorhandenen Ichs werden mit allen Geschützen verteidigt. Ausgelöst durch die Flüchtlinge kommen andere Probleme an die Oberfläche, eruptiv, fast wie bei einem Vulkan: Arbeitslosigkeit, demografische Entwicklung. Das ist ein gefährliches Gemisch. Ich beneide niemanden, der Entscheidungen für die Gesellschaft zu treffen hat. Das sind Herausforderungen, vor denen wir jahrzehntelang nicht gestanden sind.

Steckbrief

1963
Geburt in Gleisdorf.

1981
Beginn des Theologiestudiums und Eintritt in das Grazer Priesterseminar.

1989
Weihe zum Diakon.

1990
Priesterweihe durch Bischof Johann Weber, Doktorrat der Theologie, Kaplan in Hartberg.

1999
Pfarrer in Bruck/Mur.

2006
Regens im Grazer Bischöflichen Seminar Augustinum.

2015
Ernennung zum Grazer Diözesanbischof durch Papst Franziskus (16. 4.) und Weihe zum Bischof (14. 6.) durch den Metropoliten Erzbischof Franz Lackner.

2016
Referatsleitung in der Bischofskonferenz für die Bereiche Schule und Katholische Aktion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2016)

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