Franziskus vor geschlossenen Grenzen

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VATICAN-POPE-AUDIENCE(c) APA/AFP/TIZIANA FABI
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Der Papst besucht am Wochenende Armenien und trifft Überlebende des Genozids. Die Öffnung der türkischen Grenze aber ist sein „Herzensanliegen“.

Rom. Auch für Päpste gibt es Grenzen. Als Johannes Paul II. ein bisschen Frieden in den Kaukasus bringen wollte, musste er das – die Regierenden ließen es nicht anders zu – in drei getrennten Reisen tun: In Georgien war er 1999, in Armenien 2001, in Aserbaidschan 2002. Bei Franziskus ist die Diplomatie ein kleines Stück weiter. Der Form halber muss er dieses Jahr zwar auch zweimal fliegen, aber die Reise nach Georgien und Aserbaidschan Ende September darf protokollarisch-offiziell nun als Teil eines einzigen Besuchs gelten, als „Vollendung“ der Armenien-Visite, die Franziskus vom 24. bis 26. Juni absolviert.

Doch nicht einmal in Armenien bekommt dieser Papst das, was er wirklich will. Die Öffnung der Grenze zur Türkei hat er schon im Dezember 2014 zu seinem „Herzensanliegen“ erklärt, er darf aber nicht an diese Grenze fahren. Immerhin lassen ihn die Behörden in einem Kloster beten, von dem aus der Berg Ararat sichtbar ist, jener Fünftausender, auf dem die Arche Noah glücklich gestrandet sein soll; das historische Symbol der armenischen Nation, heute auf türkischem Terrain nahe der Grenze.

Die Türkei hat Franziskus gegen sich aufgebracht, als er das Massaker an den Armeniern ganz unumwunden als „ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet hat. Diesen ordnete der Papst damit ein in die Reihe „unerhörter Tragödien“, Diktaturen und Kriege, aus denen die Menschen „nichts zu lernen bereit“ gewesen seien und die sich seiner Ansicht nach bis heute zieht; ein „Dritter Weltkrieg in Stücken“ ist laut Franziskus ja bereits im Gang. Während seiner Reise wird der Papst beim Genozid-Mahnmal auch Nachkommen der Vertriebenen treffen.

In der Welt verstreut

Dabei blieb Franziskus, so spontan seine Sätze manchmal wirken, auf konsolidiertem vatikanischen Sprachboden. Bereits 2001 hatte sich Johannes Paul II. über ein paar verbale Anläufe („tragische Ereignisse“) zur Formulierung vom „ersten Genozid des 20. Jahrhunderts“ vorgearbeitet. Sie findet sich in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Oberhaupt der Armenisch-Apostolischen Kirche, Karekin II., unterzeichnet just in der armenischen Hauptstadt Jerewan.

Die Päpste Johannes Paul II., Franziskus und der Katholikos Karekin II. weisen in einem Atemzug aber immer darauf hin, dass der Völkermord nicht nur ein ethnischer war, sondern auch ein religiöser. 1,5 Millionen armenischer Christen seien ermordet worden, heißt es in der Erklärung von 2001; es habe auch „katholische und orthodoxe Syrer, Assyrer, Chaldäer und Griechen“ getroffen, ergänzte Franziskus – auf die kirchliche Landschaft anspielend, die gerade im Kaukasus nicht weniger zersplittert ist als die politische.

In Armenien ist das Christentum bereits 301 zur Staatsreligion geworden, acht Jahrzehnte früher als im Römerreich. Das Land rühmt sich daher, die „älteste Kirche“ zu sein. Dogmatischer Streit aber (Wer genau war Jesus: nur Gott, nur Mensch, Gott und Mensch? Und in welcher Zusammensetzung?) führte bereits in der Antike zu Spaltungen. Politische Kriege um die Abhängigkeit von Byzanz gaben den Rest. Vom alten Kern ist, grob gesagt, die eigenständige Armenische Apostolische Kirche übrig geblieben. Der Katholikos in der Stadt Etschmiadzin ist das Oberhaupt der etwa sieben Millionen Christen, von denen die Hälfte über die Welt zerstreut lebt.

Es gibt – mit Sitz im Libanon – ein zweites Katholikat, dessen Beziehungen zum ersten nicht immer als harmonisch gelten. Und als Drittes gibt es als Abspaltung von beiden die armenisch-katholische Kirche, welche den Papst als ihr Oberhaupt anerkennt. In Fragen der Lehre stehen, durch Dialog über Jahrzehnte gefördert, die apostolischen und die katholischen Armenier einander heute sehr nahe; wenigstens ökumenisch also trifft Franziskus bei seiner Reise auf offene Grenzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2016)

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