Norwegen: Per Mausklick aus der Kirche austreten

Jesus am Kreuz
Jesus am Kreuz(c) BilderBox.com (BilderBox.com)
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Seit Mitte August der Austritt aus der Norske Kirke per Internet möglich ist, laufen der dominierenden lutheranischen Landeskirche die Mitglieder en masse davon.

Oslo/Stockholm. Norweger sind, wie die meisten Skandinavier, heute größtenteils nicht besonders gläubig. Dennoch sind von den rund 5,2 Millionen Einwohnern rund 3,8 Millionen, etwa drei Viertel der Bevölkerung, in der evangelisch-lutherischen Norske Kirke, der offiziellen Landeskirche (der Rest sind Bekenntnislose, Katholiken, Anhänger diverser protestantischer Denominationen sowie noch gut 2,5 Prozent Moslems).

Nun aber dürfte sich die Dominanz der Staatskirche deutlich schwächen. Grund: Eine „Massenflucht aus der Kirche“, wie etwa der öffentlich-rechtliche Sender NRK berichtet, als dessen Auslöser wiederum sich ein seit erst Mitte August bestehender Onlinedienst der Landeskirche erweist. Die Norske Kirke ist bemüht, sich modern zu gerieren, und bietet im Web kundenorientierte Dienstleistungen an: darunter auch den unkomplizierten Kirchenaustritt.

Und siehe: Mit Abstand am häufigsten wurde bisher diese Austrittsfunktion der Webseite gewählt. Allein bis Ende August traten 25.743 Norweger aus der Norske Kirke aus, ein Aderlass von vorerst fast 0,68 Prozent. Und dieser könnte nur ein Anfang sein, denn erst jetzt ist die Sommerurlaubszeit vorbei. Für die Abmeldung müssen Mitglieder lediglich eine Bank-ID haben, mit der in Norwegen auch Steuererklärungen und andere amtliche Vorgänge einfach vom Heimcomputer aus geregelt werden können.

33 Prozent Atheistenanteil in der Kirche

Die Austrittswelle aufgrund einer technischen Einrichtung führte zu hämischen Kommentaren in der atheistisch geprägten Landespresse. Doch Bischöfin Helga Haugland Byfuglien, Präses der Bischofskonferenz, bleibt gelassen: „Wir waren auf eine erhebliche Anzahl Abmeldungen vorbereitet und haben großen Respekt für die Wahl jedes Einzelnen“, sagte sie. Auch die Leiterin des Kirchenrates, Kristin Gunleiksrud Raaum, sagte pragmatisch: „Alle, die irrtümlich als Mitglied der Norske Kirke geführt werden oder keine Mitgliedschaft wünschen, können nun ganz einfach ihren Status ändern, und wir bekommen ein korrekteres Mitgliederregister.“ Niemand müsse Mitglied gegen seinen Willen sein. „Deshalb bin ich froh über den Selbstbedienungsdienst im Internet.“

Letztlich reagiert die Kirche damit auch auf Kritiker, die meinen, die Mitgliederstatistik sei nicht aussagekräftig. Eine Umfrage der Zeitung „Aftenposten“ vom Frühling etwa ergab, dass sich nur 48 Prozent der Mitglieder überhaupt als „Christen“ sehen. 33 Prozent sagten, sie seien Atheisten. 14 Prozent glaubten an „eine undefinierte göttliche Kraft“.

Trennung Kirche/Staat erst 2012

In Norwegen gibt es keine direkte Kirchensteuer, die wie in Deutschland vom Gehalt abgezogen wird. Allerdings sind die Steuersätze hoch und anerkannte Kirchen- und Weltanschauungsgemeinschaften erhalten Geld vom Staat je nach Mitgliederzahl. Die Landeskirche hatte lang erheblich mehr Rechte als andere Glaubensgemeinschaften. Erst 2012 beschloss das Parlament die formelle Trennung von Landeskirche und Staat. Die Kirche befürwortete das sogar, weil ihr dies mehr Autonomie einbrachte. So war der Staat zuvor mitverantwortlich bei der Ernennung von Bischöfen und Pröpsten, die auch als Staatsbeamte fungierten, etwa bei zivilrechtlichen Trauungen. Derzeit werden neue Finanzierungsmodelle diskutiert, etwa eine Kirchensteuer. Viele Norweger aber meinen, dass sich Glaubensgemeinschaften selbst finanzieren sollten. Laut Umfrage sollen allerdings nur 46 Prozent der Mitglieder der Norske Kirke bereit sein, bis zu umgerechnet 109 Euro im Jahr zu zahlen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2016)

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