Die katholische Kirche und ihre Kinderschänder

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15 Jahre nach dem Kindesmissbrauchs-Skandal um den Wiener Kardinal Groer wurde eine neue Missbrauchs-Affäre an einer Berliner Elite-Schule enthüllt. Hat die Kirche nichts dazugelernt?

Mit einer derben Strafpredigt geißelte der Wiener Kardinal Hans Hermann Groer alle "Unzüchtigen und Knabenschänder". Das Reich Gottes bleibe ihnen verwehrt, donnerte er 1995 im Stephansdom und zitierte aus der Bibel den ersten Timotheusbrief (1,10). Was Groer nicht ahnte: Dem Donner folgte ein Erdbeben. Ein ehemaliger Schüler von ihm enthüllte: Groer war selber ein Kinderschänder. Diese Scheinheiligkeit erschütterte die katholische Kirche. 15 Jahre später fragen sich viele: Hat sie nichts dazugelernt?

Wegen des Missbrauchsskandals an einer katholischen Elite-Schule in Berlin steht die Kirche erneut am Pranger und muss sich unangenehmen Fragen stellen. Dabei hat sich seit dem Fall Groer durchaus etwas verändert: Im Herbst 2002 verabschiedeten die katholischen Bischöfe in Deutschland Leitlinien zum Umgang mit Fällen von Kindesmissbrauch durch Geistliche. Demnach sind alle kirchlichen Mitarbeiter verpflichtet, Verdachtsfälle an einen Beauftragten weiterzuleiten. Dieser nimmt Kontakt zu dem mutmaßlichen Opfer auf.

"Die Fürsorge der Kirche gilt zuerst dem Opfer", heißt es in den Leitlinien. Die Täter sollen eine Kirchenstrafe erhalten, in schweren Fällen sogar aus dem Klerikerstand entlassen werden. Sie dürfen nie mehr "in Bereichen eingesetzt werden, die sie mit Kindern und Jugendlichen in Verbindung bringen."

Ob diese Leitlinien in der Praxis immer angewandt werden, ist fraglich. Der Verdacht liegt nahe, dass mancher Bischof versucht, Fälle zu vertuschen und einen Mantel des Schweigens darüber zu legen. So wie der Kardinal von Boston, Francis Bernard Law, der pädophile Priester einfach in andere, ahnungslose Pfarreien versetzt haben soll. Der Missbrauchsskandal in den USA vor acht Jahren war zu groß. Er kostete so viel Vertrauen bei den Gläubigen und Schmerzensgelder für Opfer, dass auch der Vatikan nicht länger wegschauen konnte: Ende 2002 ordnete er an, dass Priester schon nach einem ersten sexuellen Missbrauch von Kindern aus dem Amt scheiden müssen.

Kritikern geht das nicht weit genug. Sie fordern unter anderem, dass Verdachtsfälle immer auch den staatlichen Justizbehörden gemeldet werden müssen. Nach dem Fall Groer entstand in Österreich - anschließend auch in Deutschland und vielen anderen Ländern - die Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche". Mit Millionen Unterschriften fordert sie eine Reform der katholischen Kirche, unter anderem die Abschaffung des Zölibats, also des Heiratsverbots für Priester.

Ist der Zölibat die Ursache für pädophile Handlungen von Priestern? Die Deutsche Bischofskonferenz bezweifelt das: Sexuellen Missbrauch gibt es schließlich auch bei Lehrern, Ärzten und anderen Berufsgruppen, die viel mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Angesichts von mehr als 15.000 Priestern in Deutschland gehe es um "wenige Einzelfälle im Promillebereich", betonte der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, der als einer der ersten strenge Leitlinien für Missbrauchsfälle erließ.

Dazu gehört auch eine bessere Priesterausbildung, zu der ein Eingangsgespräch mit einem externen Psychologen gehören soll. Wo die Sorge auftaucht, dass ein Kandidat zum Kindesmissbrauch neigt, soll dies diagnostisch geprüft werden.

Für den Paderborner Theologen und Psychotherapeuten Eugen Drewermann löst dies nicht das Grundproblem: Kein anderer Berufsstand sei so anfällig für sexuellen Missbrauch wie der katholische Klerus. Denn kein anderer mache sexuelle Unerfahrenheit und Triebunterdrückung zur Bedingung. Ängste, Schuldgefühle oder innere Blockaden würden von jungen Priesteramtskandidaten interpretiert als eine besondere Erwählung durch Gott. Amerikanischen Studien zufolge sollen etwa 20 bis 30 Prozent der Priester homosexuell sein.

Hinzu kommen das Selbstverständnis der Kirche als "Zeichen des Heils", ein zuweilen überhöhtes Priesterverständnis und die Machtstellung des Papstes als zentraler Vater-Autorität. All dies gilt Kritikern als Nährboden für Machtstrukturen, in denen Geistliche unentdeckt und ungeahndet Kinder missbrauchen können.

Der Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin, Klaus Mertes, will dieses Schweigen nun brechen. Er fragt, wie lange schon weggeschaut wurde und ob die Kirche selbst Mittäter sei. Statt wie Kardinal Groer auf den Timotheusbrief kann er sich auf das Johannesevangelium (8,32) berufen: "Die Wahrheit wird Euch frei machen."

(Ag. )

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