Auch Ordensschwestern vergingen sich an ihren Zöglingen

(c) EPA (Danilo Schiavella)
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Die Niederlande und Deutschland setzen auf externe Ermittler und neue Gesetze.

Den Haag/Berlin.Nicht nur Priester und Patres haben Kinder sexuell missbraucht – auch Nonnen stehen zunehmend unter Verdacht. In den Niederlanden, wo sich binnen weniger Tage mehr als 350 Opfer sexueller Übergriffe Geistlicher gemeldet haben, werden Ordensschwestern beschuldigt, sich an kleinen Buben vergangen zu haben.

In einem Bericht des „Telegraaf“ schildert ein heute 63-Jähriger, wie er mit knapp elf Jahren von Nonnen in der katholischen Internatsschule „De Munt“ in Tegelen nahe der Grenze zu Deutschland sexuell missbraucht wurde.

Auch in dem Zwischenbericht der Berliner Anwältin Ursula Raue, die im Auftrag der Jesuiten Missbrauchsfälle aufklärt, finden sich unter den Beschuldigten Frauen. Schwere Vorwürfe erhebt außerdem ein früheres Heimkind der Einrichtung „Sancta Maria“ in Wannsee gegen eine Nonne der Hedwigschwestern – die Frau berichtet, über sechs Jahre hinweg mit Schlägen auf das nackte Gesäß, intimen Körperpflegeritualen und unangemessenen Berührungen traktiert worden zu sein.

Erziehung mit Gewalt

Erziehungsmethoden mit Schikanen und Schlägen waren in den 50er- und 60er-Jahren nicht nur an kirchlichen Einrichtungen gang und gäbe. Dass aber ebenfalls Frauen ihre Schützlinge nicht nur geschlagen, sondern auch sexuell missbraucht haben sollen, verstört die Öffentlichkeit besonders, da dies dem Bild des fürsorglichen Muttertyps völlig entgegensteht. Aber der Missbrauch werde „von Männern wie Frauen begangen“, so der Berliner Sozialpädagoge Manfred Kappeler. Unzählige ehemalige Heimkinder, männliche wie weibliche, haben ihm gegenüber davon Zeugnis abgelegt.

Aufsehen erregte in dem Zusammenhang ein Leitartikel im gestrigen „Osservatore Romano“, in dem die Historikerin Lucetta Scaraffia die These vertritt, Frauen seien eher bereit, Kinder und Jugendliche vor Missbrauch zu verteidigen. Scaraffia macht den Ausschluss von Frauen aus kirchlichen Leitungsämtern mitverantwortlich für die Missbrauchsskandale. Größere weibliche Präsenz in der Entscheidungsebene hätte wohl „den Vorhang männlicher Verschwiegenheit“ angesichts derartiger Verbrechen zerrissen.

In den Niederlanden hat nun die Bischofskonferenz den Opfern ihr „tiefes Bedauern“ ausgesprochen und eine „breite, externe und unabhängige“ Untersuchung angeordnet. Geleitet wird diese vom früheren Vorsitzenden des niederländischen Parlaments und Ex-Bürgermeister von Den Haag, Willem Joost (64, Christdemokrat).

Die meisten Fälle gehen auf die 50er- und 60er-Jahre zurück, ab den 70ern wurden die katholischen Internate in den Niederlanden geschlossen, das letzte 1981. Rund ein Viertel der holländischen Bevölkerung ist katholisch.

Neue Gesetze in Vorbereitung

In Deutschland, wo die Lawine losgetreten wurde, die nun auch Nachbarländer überrollt, will Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) noch vor der Sommerpause eine Verlängerung der zivilrechtlichen Verjährungsfrist von Missbrauchsfällen in die Wege leiten, Familienministerin Kristina Schröder (CDU) will die Auflagen bei der Anstellung von Erziehern verschärfen.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, wurde für nächste Woche ins Justizministerium geladen; am heutigen Freitag hält Zollitsch in Rom ein Krisentreffen mit Papst Benedikt XVI. ab. Dieser beklagte indes am Donnerstag einen „Teufelskreis“ von Glaubensschwund und Verlust eines Sündenbewusstseins. Die „lustbezogene“ Gegenwartskultur helfe keineswegs bei der Unterscheidung zwischen Gut und Böse oder der „Reifung eines Sinns für die Sünde“.

AUF EINEN BLICK

Unter den Beschuldigten
in den Niederlanden und Deutschland finden sich auch etliche Nonnen. Pädophilie von Frauen, die nach Schätzungen mindestens zehn Prozent der Missbrauchsfälle ausmacht, wird besonders oft verschwiegen.

Die italienische Historikerin Lucetta Scaraffia glaubt indes, mehr Frauen in kirchlichen Führungspositionen hätten den Missbrauch verhindern können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2010)

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