Verfolgt im Iran: Friedlich und vogelfrei

Verfolgt Iran Friedlich vogelfrei
Verfolgt Iran Friedlich vogelfrei(c) AP (Katie Falkenberg)
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Weil sie sich vom Islam losgesagt und ihr Zentrum in Israel haben, gelten die Bahai als Ketzer und Spione.

Anders als Jerusalem und Tel Aviv hat Haifa, die dritte israelische Großstadt, wenig Sehenswertes anzubieten. Die Israelis sagen: In Jerusalem wird gebetet, in Tel Aviv gefeiert und in Haifa gewohnt. Die Hafenstadt liegt an einem Berg. Je höher man kommt, umso besser wird die Luft und schöner die Aussicht. Den besten Blick hat man von einer Aussichtsplattform inmitten der „Hängenden Gärten“ der Bahai, einer entlang einer Achse symmetrisch angelegten Parkanlage, die von der Unesco zum Weltkulturerbe gezählt wird: die „Hängenden Gärten“ der Bahai sind das grüne Herz der Stadt, größer als Sanssouci, schöner als Schönbrunn.


Das Haus der Gerechtigkeit. Der Besucher staunt. Mit so etwas hat er mitten im Orient nicht gerechnet. Und wenn er dann in seinem Reiseführer nachschlägt, erfährt er, dass er nicht eine Parkanlage, sondern das Hauptquartier einer Weltreligion besucht. Hier, auf dem Berg Karmel in Haifa, stehen die wichtigsten Institutionen der Bahai: das Haus der Gerechtigkeit, das Internationale Lehrzentrum, das Internationale Archiv sowie das Zentrum für das Studium der Heiligen Texte.

Die meisten Besucher haben noch nie etwas von den Bahai gehört. Sie wissen, dass sie im Heiligen Land unterwegs sind, um das sich Christen, Juden und Moslems seit ewigen Zeiten balgen, aber was haben diese – wie heißen sie noch mal? – Bahai hier verloren?

Von allem etwas. Die Bahai sind keine Christen, keine Juden und keine Moslems – aber doch von allem etwas. Der Bahaismus (oder das Bahaitum) ist eine sehr junge Religion, keine 200 Jahre alt. Man könnte auch von einer Weltanschauung sprechen, die mit religiösen Elementen aus dem Christentum, dem Judentum und dem Islam vermischt wurde.

Die Bahai, so steht es in Wikipedia, „vertreten eine handlungsorientierte Ethik, die sich einer humanitären Vision des sozialen Fortschritts verpflichtet“. Einfacher gesagt: Die Bahai sind Monotheisten, sie glauben an einen transzendenten Gott, dienen aber den Menschen. Wenn es eine Religion des Friedens, des Fortschritts und der Gerechtigkeit gibt, dann ist es der Bahaismus.


Urvater Bab. Als „Urvater“ der Bahai gilt der „Bab“, ein schiitischer Moslem, der 1819 in Schiraz/Iran geboren wurde. 1844 hatte er eine göttliche Offenbarung. Nur vier Jahre später, 1848, trafen sich seine Anhänger zu einem Konzil, auf dem die Loslösung vom Islam beschlossen wurde. Bei dem Konzil waren, für damalige Zeiten eine Sensation, auch Frauen anwesend. Eine von ihnen legte als „Zeichen der Emanzipation der Frau“ (Wikipedia) erstmals in der Öffentlichkeit ihren Schleier ab. Der Bab wurde 1850 in der Stadt Täbris öffentlich hingerichtet, mit ihm starben Tausende seiner Anhänger. Nach einigen Auseinandersetzungen innerhalb der Gemeinde der „Babisten“ setzte sich ein Mann namens Baha'u'llah als Erbe und Nachfolger des Bab durch. Der Name Bahai geht auf ihn zurück.

Baha'u'llah musste Persien verlassen, er ging zuerst nach Bagdad, von dort nach Istanbul, wo er auch nicht willkommen war. Die Türken schoben ihn nach Akkon ab, in das heutige Akko, in eine Festungsstadt nördlich von Haifa in der osmanischen Provinz Palästina. So kam der Bahaismus ins Heilige Land. Sowohl der Bab als auch sein Nachfolger Baha'u'llah, der 1892 gestorben ist, sind in Haifa begraben.


Keine Priester. Heute gibt es weltweit etwa fünf Millionen Bahai, allein in Indien leben mehr als zwei Millionen, in den USA etwa 700.000. Quantitativ spielen sie im Konzert der Konfessionen keine Rolle, qualitativ schon, denn die Bahai legen großen Wert auf Bildung, Erziehung und Gleichberechtigung. Es gibt keine Priester, der einzelne Gläubige entscheidet, wann und wie er mit Gott kommunizieren möchte.

Im heutigen Iran leben noch etwa 300.000 Bahai – unter Bedingungen, die man am besten mit der Lage der Juden im Nazi-Deutschland vergleichen kann. Seit der „Revolution“ im Jahre 1979 wurden zahllose Bahai festgenommen, gefoltert und getötet, sie sind der Willkür der Behörden ausgesetzt und faktisch vogelfrei.

Da sie sich vom Islam losgesagt haben, gelten sie als Ketzer, worauf im Koran die Todesstrafe steht; da sich ihr spirituelles Zentrum im heutigen Israel befindet, stehen sie unter dem Verdacht, zionistische Spione zu sein. Vor zwei Monaten wurden sieben führende Mitglieder der Bahai-Gemeinde, zwei Frauen und fünf Männer, festgenommen. Ihnen wird Spionage für Israel, Beleidigung religiöser Gefühle, Propaganda gegen die Islamische Republik Iran und Verbreitung von Verderbtheit auf Erden vorgeworfen. Sollte es zum Prozess kommen, droht ihnen die Todesstrafe. Die Welt schaut ihrem Schicksal ungerührt zu.


Selbst schuld. Denn die Bahai haben keinen eigenen Staat, keine Armee, sie entführen keine Flugzeuge, nehmen keine Geiseln und sprengen sich nicht in die Luft.

Selbst schuld, wenn sie nicht ernst genommen werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2010)

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