"Undercover Muslim": Der Feind in meiner Koranschule

Feind meiner Koranschule
Feind meiner Koranschule(c) AP (Musadeq Sadeq)
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Der Amerikaner Theo Padnos besuchte drei Jahre lang im Jemen Koranschulen und schrieb darüber das Buch "Undercover Muslim". Die "Presse" sprach mit ihm über Lügen, Beten und verbotene Einblicke.

Sie haben über drei Jahre als „falscher Muslim“ im Jemen verbracht. Zu Ihrer Tarnung gehörte es, zum Islam zu konvertieren.

Theo Padnos: Im Herbst 2005 wurde ich offiziell Muslim. Ich habe vor einem Zeugen erklärt: „Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Prophet.“ Eigentlich wird erwartet, davor ein großes Bad zu nehmen, meines war klein und kurz. Bei manchen Muslimen gibt es eine Reihe weiterer Zeremonien. Aber im Jemen geht es nüchtern darum, so schnell wie möglich von A nach B zu kommen. Man kriegt eine Art Zertifikat, wenn man möchte. Ich wollte nicht, ich fand das auffällig, weil keiner eins besaß.

Bald erscheint Ihr Buch. Haben Sie keine Angst, dass viele Muslime Ihnen vorwerfen werden, sie angelogen zu haben?

Viele Muslime im Jemen waren zu mir sehr gastfreundlich und herzlich, und ich habe sie die ganze Zeit getäuscht. Ich wusste, dass sie regelrecht entsetzt sind von der Vorstellung, Ungläubige aus dem Westen könnten ihre heiligen Stätten betreten. Ich hatte oft Angst vor den Konsequenzen, wenn ich entdeckt worden wäre. Trotzdem habe ich einfach weiter den Koran studiert und weiter gelogen. Darauf bin ich nicht stolz.

Wie sieht ein Tag in einer Koranschule aus?

Er beginnt mit dem Gebet um fünf Uhr, dann geht es meist zurück ins Bett. In einigen Schulen gab es Klassen um acht, aber das ist sehr früh für Muslimschüler: Kaum einer war regelmäßig da, viele schliefen im Unterricht, viele Studenten stehen erst gegen zehn Uhr auf. In strengeren Schulen gab es gar Kurse ab sechs Uhr. Wenn man will, kann man dort den ganzen Tag Klassen besuchen, jeden Tag außer im Ramadan. Dazwischen wird gebetet und gegessen, fast alle Klassen machen einen Mittagsschlaf in der Moschee, nachmittags wird der Koran auswendig gelernt. Nach dem Abendgebet gehen die wenigen Verheirateten zu ihren Frauen, die unverheirateten Studenten sitzen vor der Moschee und trinken Tee.

Was wird in den Schulen gelehrt?

Viele vermitteln die Ummah, die Idee von der globalen Familie der Gläubigen. Die Schüler sollen die islamische Gegenwart erforschen und die Vergangenheit entdecken. Die vermeintliche islamische Vergangenheit ist großteils Produkt religiöser Einbildung. Aber sie wird als etwas Großartiges vermittelt, während die Gegenwart für den Islam oft demütigend sein soll. Hauptziel ist, die Schüler dazu zu bringen, sich zu fragen, was kann ich tun, dass die Gegenwart so wird wie das Goldene Zeitalter der drei Kalifate im Mittelalter.

Haben Sie sich in den Schulen wohlgefühlt?

Ich habe mich nicht zu Hause gefühlt, aber man entwickelt das Gefühl, zu einer Gemeinschaft zu gehören, und die Leute vertrauen dir. Das war für mich wichtig, weil ich andere Konvertiten kennenlernen, ihre Faszination für den Islam begreifen wollte. Mein Ziel war, den Koran verstehen zu lernen, die Menschen im Jemen, ihre Gedanken, Träume, Ängste, ich wollte in die Moscheen und Koranschulen gehen, was Ungläubigen nicht erlaubt ist.

Koranschulen verstören viele im Westen, für sie sind sie Brutstätten des radikalen Islam.

Ich bin mir gar nicht mehr sicher, was radikaler Islam abseits des Terrors heißt. Im Koran stehen viele sehr radikale Dinge über Krieg, Gewalt und Frauen, wenn man ihn ohne Interpretation wörtlich nimmt und auswendig lernt. Genau das musste ich tun. Andererseits hat der Islam auch eine ursprüngliche, mystische, fast empfindsame Seite. Ein großes Problem ist das Weltbild, das vermittelt wird, nämlich dass der Islam vom Westen betrogen werde. Schon bald fühlen sich die Schüler persönlich bedroht, wollen zurückschlagen und dabei viele Feinde, und am besten Juden, töten.

Aber nicht jeder Muslimschüler wird Terrorist.

Aber sie haben fast alle das Gefühl, in einem Krieg mit dem Westen zu sein, der Gewalt jederzeit rechtfertigt. Als letztes Jahr die zwei deutschen Krankenschwestern im Jemen ermordet wurden, war ich in einer Koranschule, wir sprachen über den Vorfall in der Klasse. Die Tat wurde gutgeheißen, denn es herrschte Einigkeit, dass die Schwestern nicht im Jemen waren, um Frauen bei der Geburt zu helfen, sondern damit sie in Zukunft keine Kinder mehr kriegen können: Der Westen wolle immer alles kontrollieren und nun eben auch die Gebärmutter der jemenitischen Frau, damit es nicht mehr so viele Gläubige gebe.

Am Ende sagte der Lehrer: „Ihr seid Muslime. Die UNO und die Christen wollen nicht, dass ihr Kinder kriegt. Jeder von euch muss rausgehen und zehn Kinder bekommen.“ In einem Raum mit sexuell frustrierten Männern, in den Koranschulen sind natürlich keine Frauen erlaubt, kam die Idee sehr gut an. Ich war überrascht, dass die zwei Schwestern überhaupt so lange im Jemen überlebt hatten.

Sie waren auch in Daru-l-Hadith, einer Koranschule in Dammaj, Nordjemen. Sie ist angeblich Ausbildungsstätte für den Dschihad.

Die Schule gründete der saudische Scheich Muqbil al Wadi, der 1979 zum geistigen Umfeld der Attacke auf die Große Moschee in Mekka gehörte. Damals hatten einige hundert Bewaffnete die Moschee besetzt und einen islamischen Staat ausgerufen. Alle wurden hingerichtet, Muqbil ausgewiesen. In Dammaj scharte er Getreue um sich. In den 80ern schickte er wohl auch Schüler nach Afghanistan, aber als ich dort war, war die Schule kein Ausbildungslager für den Dschihad in dem Sinn, dass man etwa Bombenbau lehrte. Vielleicht weil Muqbil 2001 starb. Aber sicher wird dort ein reiner, sehr antiwestlicher Islam gelehrt, der Salafismus; die meisten Schüler sind jedenfalls größenwahnsinnig und glauben, den Islam irgendwann allein retten zu können.

Warum radikalisiert sich der Islam weiter?

Ich finde, viele islamische Länder haben etwas von einer verfallenden Burg. Und nirgendwo brechen die Steine derzeit schneller aus der Mauer als im Jemen. Natürlich würden die Bewohner der Burg gerne sehen, dass Zinnen und Türme stolz in den Himmel ragen, sie hassen den Niedergang. Viele haben das Gefühl, dass die Mächtigen alles verkaufen: Felder, Land, Bodenschätze, alles geht über die Theke für Cash. Für viele Moslems im Jemen ist das Land aber für die Familie der Gläubigen da, nicht für westliche Firmen, Soldaten, Missionare oder Touristen.

Wären Sie überrascht, wenn Muslime sagen würden: „Theo, du bist ein Lügner, du hast uns hintergangen, du hast unseren Propheten betrogen, die Strafe dafür ist der Tod.“

Nein, das wäre ich nicht.

Theo Padnos (41) ist US-Amerikaner. Er studierte Literatur, in Syrien und im Jemen den Islam. 2005 gab er im Jemen vor, zum Islam zu konvertieren, und verbrachte dort drei Jahre an Koranschulen.

Das Buch „Undercover Muslim“ erscheint in Bälde im Verlag Bodley Head (Random House). 1999/2000 leitete Padnos in einem US-Gefängnis eine Literaturklasse. Darüber schrieb er das Buch „My Life Had Stood a Loaded Gun“.

Eine Madrasa (Plural: Madāris) ist eine islamische religiöse Schule, meist eine Hochschule. Im weiteren Sinne bezeichnet der Begriff, der so viel wie „Ort des Lernens“ bedeutet, aber auch gewöhnliche weltliche Schulen jeder Ebene und Universitäten.

Im Jahr 859 wurde die vermutlich älteste noch existierende Madrasa gegründet: die „Al-Qarawiyyin“ in der gleichnamigen Moschee von Fès in Marokko.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2010)

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