Fall Murphy: Was wusste Papst Benedikt XVI.?

Fall Murphy wusste Papst
Fall Murphy wusste Papst(c) EPA (GREGORIO BORGIA/POOL)
  • Drucken

Zeitung rekonstruiert Prozedere gegen Priester, der 200 Kinder missbrauchte.

WIEN (ag/zenit). Der Fall Murphy hat viel Staub aufgewirbelt. Der US-Priester Lawrence C. Murphy aus der Diözese Milwaukee soll von 1950 bis 1977 in einer Schule für taubstumme Kinder 200 Kinder missbraucht haben. Als der Bischof den Fall 1996 der Glaubenskongregation in Rom meldete, soll deren damaliger Chef, Josef Ratzinger, nicht geantwortet haben. Erst acht Monate später sei ein Verfahren eingeleitet und dann wieder eingestellt worden.

Die italienische Zeitung „Avvenire“ hat nun eine detaillierte Darstellung des Falls veröffentlicht, die die Arbeitsweise der im nebenstehenden Artikel beschriebenen Glaubenskongregation beleuchtet. 1974 wurde demnach Murphy bei den staatlichen Behörden angezeigt, die aber mangels an Beweisen das Verfahren eingestellt haben. Die Diözese setzte die internen Ermittlungen fort und beschränkte den Tätigkeitsbereich Murphys, von dem seit damals keine weiteren Übergriffe bekannt wurden.

Als aber die Zahl der Anzeigen wegen alter Fälle gegen Murphy auf 29 anstieg, wurde er 1993 von Gremien der Diözese vernommen, mit Unterstützung durch Pädophilie-Experten, die eine Therapie empfahlen. Zudem wurde sein Wirken weiter eingeschränkt.

Nach weiteren Nachforschungen schrieb Erzbischof Rembert Weakland am 17. Juli 1996 an den Präfekten Ratzinger der Glaubenskongregation und bat um Klärung der kirchlichen Zuständigkeiten für ein Verfahren. Er erwähnt auch, dass Murphy im Sterben liege. Wie „Avvenire“ schreibt, gehe aus späteren Dokumenten hervor, dass dieser Brief nie beim Präfekt oder seinem Sekretärs gelandet sei.

Trotzdem eröffnet der Erzbischof von Milwaukee dem Beschuldigten am 10. Dezember 1996, dass gegen ihn seit 22. November ein kirchliches Strafverfahren laufe, das auf eine Zurückversetzung in den Laienstand gerichtet sei. Die Taten waren nach Kirchenrecht schon verjährt, doch der Erzbischof wollte eine Ausnahmeregelung erreichen, um den Fall weiterzuverfolgen. Das wurde von Erzbischof Bertone, dem damaligen Sekretär, brieflich am 24. März 1997 unterstützt.

Knapp acht Monate danach bittet Murphy in einem Brief Ratzinger um die Einstellung des Verfahrens aus formalen Gründen, aber auch, weil er seine Taten bereue, schwer krank sei und seit 24 Jahren ein zurückgezogenes Leben führe. Doch weitere drei Monate später, am 6. April 1998, gibt Bertone grünes Licht für eine Fortsetzung des Verfahrens, das in der Diözese Superior begonnen hat. Dessen Bischof begrüßt die Entscheidung angesichts der Schwere des Falls.

Am 30. Mai teilt Bertone aber einigen amerikanischen Bischöfen im Vatikan mit, dass die Kongregation wegen der Schwierigkeit der Tatrekonstruktion und des Fehlens von Anzeigen seit 1974 Zweifel an der Angebrachtheit des Verfahrens hat. Am 19. August schreibt der Erzbischof von Milwaukee an Bertone, dass dessen Auflagen (Murphys Wirkungskreis bleibt eingeschränkt, er muss bereuen) erfüllt seien und die Diözese weiterhin Therapien für die Opfer finanziere. Zwei Tage später stirbt Murphy.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.