Missbrauch: Der Kampf um die Opfer

Missbrauch Kampf Opfer
Missbrauch Kampf Opfer(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Wie die katholische Kirche hat nun auch eine unabhängige Plattform eine Opferhotline eingerichtet. Bereits 150 Betroffene haben sich gemeldet. Die Proteste gehen indes weiter: mit einer "Kreuzigung" am Stephansdom.

WIEN (duö/j. s./eko). Es passiert wohl selten, dass Anrufer einer Informationshotline in Tränen ausbrechen und davon erzählen, wie sie immer wieder ihr Erbrochenes essen mussten. So gesehen hat sich die Plattform „Betroffene kirchlicher Gewalt“ viel vorgenommen. Mit einer Telefonhotline wollen sie sich der Opfer professionell annehmen – ohne die Kirche im Hintergrund.

Die Hotline (0699/10 369 369, Montag bis Freitag, 9 bis 12 Uhr), die von Psychologen, Betroffenen und Anwälten ins Leben gerufen wurde, existiert seit dem 23. März. Die Betreiber der Hotline hatten zuvor die Webseite betroffen.at erstellt. Am gestrigen Karfreitag – just am Trauertag zum Tode Christi – stellten die Initiatoren die ersten Ergebnisse vor. Mehr als 150 Betroffene hätten sich innerhalb der ersten acht Tage gemeldet, so Psychologe und Mitbegründer der Plattform, Holger Eich. Man habe von 174 Fällen erfahren, die allesamt als „Gewalt gegen Kinder“ einzustufen seien: 43 Prozent der Fälle waren „körperliche Misshandlungen“, 34 Prozent sexuelle Übergriffe (unsittliche Berührungen bis hin zu Vergewaltigung) und 23 Prozent der Anrufer hätten seelischen Missbrauch erfahren (Demütigung, Isolation). Entgegen der medialen Berichterstattung seien viele – ihrer Statistik nach ein Drittel – der Opfer weiblich, so Eich. Fast genau so viele Frauen tauchen als Täter auf.

Sammelklage gegen Kirche

Eich betonte zudem, dass die Betroffenen sich nicht melden, um Kapital aus ihren Leiden zu schlagen: Die meisten wollten lediglich darüber sprechen und wissen, ob auch andere Personen von ihrem Peiniger misshandelt wurden. Und genau das hat sich die Plattform zum Grundsatz gemacht: „Das Ausforschen von Serientätern.“

Opferanwalt Werner Schostal unterstützt den Verein in rechtlichen Dingen. Er kritisiert die Verjährungsfristen bei Missbrauchsfällen. Das Problem: Die meisten Opfer berichten von Fällen, die rund 50 Jahre zurückliegen (die älteste Anruferin war 90). So fordert der Anwalt jüngere Opfer auf, ihre Erlebnisse zu dokumentieren. Viele ältere Fälle, so Schostal, könnten dadurch mitaufgeklärt werden.

Schostal kündigte auch eine Prüfung an, ob und wie sich kirchliche Würdenträger bis hin zum Papst durch „Unterlassung und Wegschauen“ schuldig gemacht haben. Eine Sammelklage gegen die Kirche sei in Österreich allerdings nicht möglich. Im Rahmen der Plattform wolle man diesen Schritt trotzdem wagen, in Form einer Klage mittels eines Vereins. Die Opfer würden ihre Ansprüche an den Verein abtreten, der als Kläger auftritt.

Der Verein wolle sich „nicht nur mit kirchlichen Schuldeingeständnissen zufriedengeben“. Und auch die kirchlichen Anlaufstellen stehen in der Kritik: Sie böten keine Transparenz. Diese Aussage richtet sich direkt an die erst jüngst von Kardinal Christoph Schönborn eingerichtete Opferanwaltschaft und ihre Leiterin Waltraud Klasnic, der die Plattform „zu große Kirchennähe“ vorwirft.

Weitere Hotline von Klasnic

Die ehemalige steirische Landeshauptfrau hat ihrerseits eine Hotline für Opfer eingerichtet (unter 0664/980 78 17 ist die Opferanwaltschaft erreichbar – in der „Presse“ vom Freitag wurde versehentlich eine falsche Nummer angegeben). Dort würden aber die Opfer nicht so gern anrufen, vermutet der Psychotherapeut Manfred Deiser von der Plattform. Sie würden befürchten, dass ihre Fälle dort vertuscht würden. Doch erst gestern hat die katholische Kirche zusätzlich zur Hotline die Webseite ombudsstellen.at erstellt, die Opfer über alle kirchlichen Hilfsangebote informieren soll.

Kritik, dass sie zu kirchennah sei, weist Klasnic unterdessen zurück. Sie habe das Amt nur übernommen, weil ihr Kardinal Schönborn versichert habe, dass sie unabhängig und weisungsfrei arbeiten könne.

Aktion am Dom

Neben der Arbeit der mittlerweile schon schwer zu überblickenden Opferanwälte und Kommissionen, versuchen es andere mit Aktionismus. So lehnte sich der Künstler Emmerich Weissenberger am Karfreitag in 20 Meter Höhe in Kreuzigungspose aus dem Stephansdom. Nur mit einem Lendenschurz und einer Stacheldrahtkrone bekleidet war er auf das Gerüst vor dem Haupttor geklettert, hatte einen Spalt in die Abdeckplane geschnitten und sich mit Seilen an den Armen nach außen gelehnt. Die Aktion sei als Gedenken an den sozialen Tod der Missbrauchsopfer gedacht, so Weissenberger. Der Künstler wurde wegen schwerer Sachbeschädigung angezeigt. Dompfarrer Toni Faber meinte, das Anliegen sei zwar zu akzeptieren; es sei aber „nicht in Ordnung“, seinen Protest mit Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch zu verbinden.
Die katholische Krise (letzter Teil der Serie), S. 8

Leitartikel von Michael Prüller, Seite 29

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2010)

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