Indien: Wo Christen zur Zielscheibe werden

(c) AP (Biswaranjan Rout)
  • Drucken

Im indischen Bundesstaat Orissa werden Christen immer wieder zum Ziel gewalttätiger Übergriffe. Ein Besuch in einem überwiegend christlichen Dorf, dessen Bewohner noch dazu "Unberührbare" sind.

Ein „Dorf“ kann man Dihnudi nicht wirklich nennen. Es sind zwei Reihen armseliger Behausungen entlang eines staubigen, unbefestigten Wegs.

Einige der kleinen Häuser sind mit Stroh gedeckt, manche haben ein Blechdach. In den meisten sorgt nur eine Glühbirne für kärgliche Beleuchtung. Die einzige Wasserleitung am Rand des Orts ist seit zwei Jahren von der Gemeinde gesperrt. Trinkwasser müssen die Bewohner aus einem nahen Teich holen, in dem sie auch sich und die Wäsche waschen. Brennholz aus den großen Wäldern der Umgebung zu holen, ist ihnen nicht erlaubt.

Als wir ankommen, werfen sich die Menschen, es sind fast nur Frauen, vor uns auf den Boden, berühren unsere Schuhe als Geste der Begrüßung und küssen uns die Hände. Man fühlt sich beschämt, möchte es verhindern, kann es aber nicht. Dann ziehen wir die Schuhe aus, stellen die Füße auf ein Brett, wo sie von den Frauen mit einer wohlriechenden gelben Flüssigkeit gewaschen und sorgfältig getrocknet werden. Jeder der Gäste bekommt noch eine Blumengirlande umgehängt, die Süßigkeiten geben wir gleich den vielen Kindern weiter.

Christen als Sündenböcke

Dihnudi liegt in einer abgeschiedenen Berglandschaft im indischen Staat Orissa, es gehört zur katholischen Diözese Berhambur (siehe Interview unten), einer Stadt an der Küste des Golfs von Bengalen. Wie hunderte anderer christlicher Dörfer im Staat wurde es am 8. August 2008 von Gruppen bewaffneter Hindus überfallen, die kleine Kirche der evangelikalen Gemeinde fast gänzlich zerstört.

Nach offiziellen Angaben kamen damals in ganz Orissa 67 Menschen ums Leben, nach Zählungen der Kirche waren es über hundert. 50.000 Menschen wurden vertrieben, Dutzende Dörfer niedergebrannt, über tausend Kirchen zerstört. Einige der Täter wurden zwar verhaftet, verurteilt wurde bisher keiner. Anlass für die offenkundig von langer Hand vorbereiteten und organisierten Überfälle war die Ermordung eines Hinduführers, die man Christen in die Schuhe schob.

Nach unserer Begrüßung versammeln sich die Bewohner von Dihnudi in der Kirche – oder was davon noch vorhanden ist. Die Frauen sitzen in der Mitte am Boden, die wenigen Männer auf Bänken an den Seiten. Wo einmal die Stirnwand des Gebäudes war, hängen jetzt Planen, um den Raum abzuschließen. Die Menschen trauen sich nicht, die Kirche wieder herzurichten, denn sie fürchten, damit neue Überfälle zu provozieren. Dass die Feindseligkeit der Nachbarschaft nicht nachgelassen hat, erfahren sie jeden Tag. Die 31 Familien in den zwanzig Häusern sind ausnahmslos Dalits, „Unberührbare“ also, die außerhalb der indischen Kastenordnung stehen. Dalits dürfen keinen Landbesitz haben, nur zwölf der Familien von Dihnudi sind Eigentümer ihrer Häuser. Die Grundbesitzer der Gegend sind „tribals“, Angehörige nichtarischer Stämme indischer Urbevölkerung. Sie sind in dieser Gegend Hindus und christlichen Dalits gegenüber feindselig eingestellt. Anderswo in den zentralindischen Staaten sind unter diesen „Adivasis“ auch viele Christen.

Frauen klopfen Steine

Die Menschen sind gezeichnet von einem Leben in Armut und mit härtester Arbeit. Die meisten Männer sind auswärts und schicken Geld, die Frauen des Dorfes arbeiten als Steinklopferinnen im Straßenbau. Ihnen steht die Unsicherheit ins Gesicht geschrieben. 20 Familien aus Dihnudi ist es gelungen, Grund zu kaufen. Die Kirche versucht, solche Aktionen zu unterstützen und die Christen an einigen Orten zusammenzuziehen, damit sie besser geschützt sind.

Die Priester der Gemeinde sind Father Marshal, Generalvikar der Diözese, auch er ein Dalit, der andere kommt aus Kerala in Südindien. Verzweifelt und ratlos schauen sie auf die Menschen zu ihren Füßen, die von ihnen Hilfe erwarten, obwohl sie doch so wenig Macht haben. Ihre einzige Kraft ist – soll man sagen: paradoxerweise? – die Friedlichkeit.

Brabash und Dayaman, zwei junge Männer aus dem Dorf, berichten von einem kirchlichen Projekt, an dem sie mitarbeiten und das sich „Peace building program“ nennt. Es wird von „Missio“, den Päpstlichen Missionswerken in Österreich, unterstützt. „Wir haben versucht, mit den Anführern der Hindus, die die Überfälle auf unsere Dörfer verübt haben, ins Gespräch zu kommen“, erzählen sie. „Wir haben ihnen gesagt, dass wir nicht zurückschlagen, sondern nur in Frieden mit ihnen leben wollen.“ Mit einem der Hindus sei er nun befreundet, sagt Brabash. Der sorgte dafür, dass man dem Dorf eine Reismühle zurückbrachte, die weggeschleppt worden war.

Mit dieser Friedensbewegung versucht die Kirche, die Spannungen zu mindern und Vorurteile abzubauen. Sie hat ein Konzept des „interreligiösen Dialogs“ ausgearbeitet, das sie in allen Diözesen von Orissa mit mehr oder minder großem Erfolg verwirklicht.

In der Provinzstadt Paralakhamendi fand ein solcher Abend in der katholischen St. Joseph English Medium School statt, der die ganze Vielfalt und den Reichtum kultureller und religiöser Traditionen Indiens zeigen und daraus die Notwendigkeit des friedlichen Zusammenlebens erkennen lassen sollte. „Wir wollen die Verschiedenheit feiern, die unser Leben ausmacht“, sagte Father Marshal in Anspielung auf die indische Verfassung, in der von „Einheit in der Vielheit“ die Rede ist. „Da darf es keine Diskriminierung einer Religion geben, wir müssen respektvoll mit jeder Religion umgehen.“

Dialog des Friedens

Nachdem jeder ein Licht angezündet hat, spricht die Vertreterin einer Hindusekte, dann der örtliche Imam, ein evangelischer Pastor und ein Journalist, der gewissermaßen die Zivilgesellschaft vertritt.

Eine Broschüre, die bei den Veranstaltungen verteilt wird, verrät, was mit dem Dialog gemeint ist. Sie enthält Friedenszeugnisse von Mutter Teresa und Martin Luther King, Mahatma Gandhi, Nelson Mandela bis zu Rabindranath Tagore. Erst auf der letzten Seite erscheint Jesus: „Wenn dich einer auf die eine Wange schlägt, halte ihm auch die andere hin.“

Spenden an missio, Kontonummer: 7.015.500, BLZ: 60.000, Kennwort: Verfolgte Christen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.