Wenn Hindus „mächtige Christen“ fürchten

Gespräch mit Bischof Sarat Chandra Nayak von Berhampur über die Beziehungen zu den Hindus.

Die Diözese Berhampur im indischen Staat Orissa hat 107.000 Katholiken bei acht Millionen Einwohnern. Auf einer Fläche, die fast zwei Drittel jener Österreichs entspricht, leben die wenigen Katholiken verstreut, daher waren sie den Verfolgungen von 2008 leicht ausgeliefert.

„Die Gewalt gegen Christen in unserem Staat hat soziale, wirtschaftliche und politische Gründe“, sagt Bischof Sarat. „Die sozialen Ursachen hängen mit dem Kastensystem zusammen. Die meisten Christen gehören niedrigen Kasten an oder sind Dalits (Unberührbare). Angehörige höherer Kasten können nicht akzeptieren, dass jemand, der gesellschaftlich unter ihnen steht, ihr Chef wird.“ Das könne aber passieren, wenn ein Angehöriger einer niedrigen Kaste durch gute Ausbildung einen besseren Posten bekommt – und die Kirche sorge für gute Schulen, und dadurch den sozialen Aufstieg.

„Wenn Menschen aus niedrigen Kasten aufsteigen, geht ein Reservoir billiger Arbeitskräfte verloren. Das beeinträchtigt die Geschäfts-interessen der höheren Kasten“, so Sarat weiter. Da Dalits keinen Grundbesitz haben dürfen, arbeiten viele von ihnen als Händler, die Lebensmittel von Bauern kaufen und in städtischen Märkten weiterverkaufen. Damit seien sie sehr erfolgreich gewesen, und das Vordringen von Christen in die Geschäftswelt werde generell von vielen Hindus als Herausforderung empfunden. Tatsächlich wurden bei Übergriffen gegen Christen immer wieder deren Geschäftslokale zerstört.

Erinnerung an Britenherrschaft

Dazu schürten radikale Hindus noch ein historisches Ressentiment und weckten die Erinnerung an die Britenherrschaft. „Die Christen wollen uns schon wieder regieren“, sei auch das Argument gewesen, mit dem eine EU-Delegation abgelehnt wurde, die die Unruhen untersuchen wollte. „Es herrscht unter Hindus das Gefühl, die Christen werden immer mächtiger.“ Die Kirche müsse sich aber auch selbst fragen, was sie falsch gemacht haben könnte. „Waren wir vielleicht zu naiv?“, fragt Sarat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2010)

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